| # taz.de -- Wasserversorgung in Addis Abeba: Eine Stadt vergiftet sich selbst | |
| > Äthiopiens Haupstadt wächst und wächst. Der Bulbula-Fluss dient vielen | |
| > als Müllkippe. Doch die Bewohner beziehen auch ihr Trinkwasser daraus. | |
| Bild: Hat keine eigene Toilette: Meseret in der äthiopischen Hauptstadt Addis … | |
| Addis Abeba taz | Auf der Brücke über den Bulbula-Fluss laufen ständig | |
| Menschen – aber nicht immer, um den Fluss zu überqueren. Eine Frau mit | |
| einem farbigen Kopftuch kommt aus einer Holzbude am Flussrand, die als | |
| Friseursalon dient. Sie trägt eine Wanne und schüttet eine braune | |
| Flüssigkeit in den Fluss. Etwas später kippt ein älterer Mann den Inhalt | |
| eines Jutesacks ins Wasser. Es sieht aus wie mit Öl beschmierte Lappen, | |
| Plastiktüten und Gemüseabfall. | |
| Bei Fragen laufen die beiden schnell davon. Nicht, weil sie Abfall in den | |
| Fluss werfen – das ist für viele Einwohner der äthiopischen Hauptstadt | |
| Addis Abeba ganz normal. Sondern weil die [1][politische Lage im Land] | |
| ungewiss ist und fast jeder bevorzugt, den Mund zu halten. | |
| Der Bulbula windet sich durch Addis Abeba wie noch ein halbes Dutzend | |
| anderer kleiner Flüsse, die vor allem aus nördlicher Richtung kommen. Sie | |
| reißen große Mengen an flüssigen und festen Abfällen mit sich, aus | |
| Haushalten, Tankstellen, Krankenhäusern, Baustellen und Fabriken. Die | |
| meisten der Flüsse strömen in den Akaki, der südwärts in den Aba-Samuel-See | |
| fließt – ein Trinkwasserreservoir für die Hauptstadt. Addis Abeba | |
| verschmutzt sein Wasser selbst. | |
| Addis Abeba wächst schnell, die Infrastruktur hält nicht Schritt. Vor zehn | |
| Jahren betrug die Einwohnerzahl etwas über 3,2 Millionen, jetzt sind es | |
| etwa 5 Millionen. Obwohl es eine Stadt mit vielen Hochhäusern ist, leben | |
| viele in Armenvierteln, in kleinen Wohnungen aus Holz, Stein, Wellblech | |
| oder Lehm, wo es kaum Sanitäranlagen gibt. | |
| ## Klos als purer Luxus | |
| 30 Prozent der Einwohner von Addis Abeba haben [2][keinen Zugang zu einem | |
| Klo]. 57 Prozent nutzen Grubenlatrinen, wobei oft Kot und Urin in den Boden | |
| sickern. Der Rest besitzt eine Toilette, die durchgespült werden kann und | |
| an das Abwassersystem angeschlossen ist. Aber das ist eine Luxussache. Für | |
| die anderen ist meistens der Flussrand die Toilette oder sie benutzen zu | |
| Hause einen Eimer, der dann in den Fluss geleert wird. | |
| Meseret, die wie die meisten in Äthiopien nur ihren Vornamen benutzen will, | |
| lebt mit ihren zwei Kindern in einem vom Staat subventionierten Häuschen | |
| für 7 Brr (0,13 Euro) Monatsmiete. Es gibt ein winziges Schlafzimmer und | |
| Wohnzimmer – und eine Gemeinschaftstoilette, „zu weit weg nachts und wenn | |
| jemand an Durchfall leidet“, meint die Witwe, die als Kellnerin ein kleines | |
| Gehalt verdient. Sie und die Kinder nutzen deshalb lieber den kleinen | |
| Seitenhof neben dem Haus als Klo. Sie bedecken ihre Ausscheidungen mit Sand | |
| und spülen sie mit Wasser in die Erde. | |
| Nicht weit weg lebt die Krankenschwester Yetm, die in einer Privatklinik | |
| arbeitet, zusammen mit ihrer Mutter und kleinen Schwester in einem | |
| ähnlichen Häuschen. Sie hat sich mit zwei Nachbarn zusammengetan und im | |
| kleinen Gemeinschaftshof eine Toilette und Dusche bauen lassen. Alle haben | |
| mitgezahlt und halten es sauber. | |
| „Mir kam der Gedanke dazu, nachdem mein Vater, der mittlerweile gestorben | |
| ist, einen Schlaganfall hatte, wodurch er nicht weit laufen konnte. Er | |
| benutzte einen Eimer als Toilette, aber das hat vor allem nachts | |
| unerträglich gestunken“, erzählt sie. „Hygiene ist so wichtig für die | |
| Gesundheit, das weiß ich aus Erfahrung.“ | |
| [3][Mangel an sanitären Anlagen] ist nicht die einzige Ursache für die | |
| Verschmutzung der Flüsse. In und rund um Addis Abeba gibt es immer mehr | |
| Industriebetriebe, und die stehen meistens entlang der Flüsse und leiten | |
| ihr Abwasser oft unbehandelt hinein, obwohl es für die Reinigung | |
| Stadtverordnungen gibt. Feste Abfälle der Industrie werden oft auf offenen | |
| Flächen entsorgt, bei Regen fließen dann schädliche Substanzen in Flüsse | |
| oder versickern ins Grundwasser. Forscher und Umweltaktivisten, die dies | |
| aufdeckten, sprechen momentan nicht mit Medien, aus Furcht, dass Kritik | |
| Folgen haben kann. Sie verweisen auf ihre Berichte. | |
| ## Mehr Industrie, weniger Landwirtschaft | |
| Seit zwanzig Jahren ist Äthiopien eine der am schnellsten wachsenden | |
| Volkswirtschaften der Welt, mit durchschnittlich über 10 Prozent Wachstum | |
| im Jahr seit 2000. Selbst dieses Jahr werden trotz Pandemie und Krieg 8,7 | |
| Prozent erwartet. Äthiopien hat diese beeindruckende wirtschaftliche | |
| Leistung erreicht, weil der Staat den Fokus von Landwirtschaft auf | |
| Industrie und Dienstleistungen verlegt hat. Im ganzen Land sind | |
| Industrieparks entstanden, die vor allem für die junge Landbevölkerung | |
| große Anziehungskraft haben. Sie geben die Landwirtschaft auf, die durch | |
| den Klimawandel immer schwieriger wird. | |
| Etwa zwei Drittel der Industrie befindet sich in und um Addis Abeba. Mehr | |
| als 90 Prozent dieser Industriebetriebe verfügen über keinerlei | |
| Aufbereitungsanlagen. Für die meisten Schadstoffe in den Flüssen ist die | |
| Lebensmittel- und Textilindustrie verantwortlich: Chrom, Sulfide, | |
| Ammoniumsalze, Chloride und Natriumhydroxid. Nur wenige Industrien recyceln | |
| ihr Wasser – sie haben weder die Kapazitäten noch die finanziellen | |
| Ressourcen, um sie aufzubauen. | |
| Trotzdem wird am Flussufer Gemüse angebaut, bewässert mit Flusswasser. Es | |
| gibt Karotten, Kartoffeln, Spinat, Salat und Tomaten. Alles sieht auf dem | |
| ersten Blick hübsch grün aus und ein Mann, der Unkraut jätet, freut sich | |
| über seine Gemüsepflanzen. Er sagt, er sei stolz auf seine Arbeit und | |
| dankbar, dass er seine Ernte „mit sauberem Flusswasser begießen kann. Bald | |
| kann ich das Gemüse auf dem Markt verkaufen.“ | |
| Auf die Frage, ob er weiß, wie verschmutzt der Fluss ist, antwortet er | |
| nicht. | |
| ## Kinder sterben bei Durchfall | |
| Nach Angaben des UN-Kinderhilfswerks Unicef sind in Äthiopien 60 bis 80 | |
| Prozent der übertragbaren Krankheiten auf den eingeschränkten Zugang zu | |
| sauberem Wasser und unzureichende sanitäre Einrichtungen zurückzuführen. | |
| „Darüber hinaus werden schätzungsweise 50 Prozent der Folgen von | |
| Unterernährung durch Umweltfaktoren verursacht, darunter mangelnde Hygiene | |
| und fehlender Zugang zu Wasserversorgung und sanitären Einrichtungen“, | |
| berichtet Unicef. „Es gibt einen starken Zusammenhang zwischen Hygiene und | |
| Wachstumshemmung, und ein offener Stuhlgang kann zu fäkal-oralen | |
| Erkrankungen wie Durchfall führen, die Mangelernährung verursachen.“ | |
| Durchfall sei die häufigste Todesursache bei Kindern unter fünf Jahren in | |
| Äthiopien. | |
| Ungekochtes Wasser ist in Addis Abeba ein Rezept für Durchfall, auch wenn | |
| es aus dem Hahn kommt. Aber [4][sauberes Trinkwasser] in Geschäften zu | |
| kaufen, ist für viele Einwohner zu teuer. Ein Paket mit 6 Flaschen mit 2 | |
| Litern kostet 4 Birr (0,08 Euro), die Hälfte der Monatsmiete einer | |
| subventionierten Wohnung. | |
| Die Brücke über den Bulbula führt zum Peacock Park, ein grüner Fleck mitten | |
| in der vor allem aus Beton bestehenden Hauptstadt. Nach dem Vorbild von New | |
| York wird es auch Central Park genannt. Am Wochenende gehen hier | |
| Stadtbewohner spazieren, Kinder können toben oder Fußballspielen. Der Park | |
| ist auch ein beliebter Ort für Hochzeitsfeiern: Brautpaare lassen sich im | |
| Grünen und am Fluss fotografieren. Wenige merken, dass hinter ihnen Gift | |
| vorbei fließt. | |
| 1 Sep 2021 | |
| ## LINKS | |
| [1] /Gewalttaetiger-Konflikt-in-Aethiopien/!5785789 | |
| [2] /Zum-internationalen-Welttoilettentag/!5725602 | |
| [3] /Internationaler-Tag-der-Menstruation/!5775167 | |
| [4] /Weltweite-Versorgung/!5792421 | |
| ## AUTOREN | |
| Ilona Eveleens | |
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