| # taz.de -- Syrische Geflüchtete in Jordanien: „Wir teilen Brot und Wasser“ | |
| > Im jordanischen Irbid gibt es ohnehin zu wenig Trinkwasser. Dann kamen | |
| > noch die Flüchtlinge aus Syrien. Aber zusammen wurden Lösungen gefunden. | |
| Als der Syrer Ali Helal Kraim nach Irbid kam, wunderte er sich, warum das | |
| Wasser nicht alle sieben Tage die Woche aus dem Hahn floss. „Um ehrlich zu | |
| sein, konnten wir in Syrien so viel Wasser nutzen, wie wir wollten. Als wir | |
| nach Jordanien kamen, waren wir überrascht, dass es nicht so ist“, erzählt | |
| der 55-Jährige. | |
| Dabei war Irbid den Menschen, die ab 2011 wegen des Krieges aus Syrien nach | |
| Jordanien flohen, nicht gänzlich fremd. Die zweitgrößte jordanische Stadt | |
| liegt nur 30 Kilometer vom Ort Daraa im Südwesten Syriens entfernt, dem | |
| Ausgangspunkt des Aufstandes gegen das syrische Assad-Regime. | |
| Die Häuser in Irbid sind mit lokal abgebauten Kalksteinen errichtet, | |
| höchstens vier oder fünf Stockwerke hoch, und der meist großzügige Abstand | |
| zwischen den Gebäuden lässt viel Platz für eine lebendige Stadtgemeinschaft | |
| und Grünflächen mit Olivenbäumen. In den Straßen verkaufen junge Männer | |
| frische Bananen oder Erdbeeren. An der Hauptverkehrsader, die in die Stadt | |
| führt, stehen ein Freizeitpark, Tankstellen, McDonalds-Filialen und ein | |
| Nachbau der Pyramiden von Gizeh – darin ein ägyptisches Restaurant. | |
| Nicht die lokalen Gepflogenheiten oder die Sprache waren für die syrischen | |
| Flüchtlinge, die nach Irbid kamen, ein Problem. Es war die Infrastruktur. | |
| [1][In Jordanien ist das Wasser knapp]: Der staatliche Versorger liefert | |
| Wasser nur an durchschnittlich einem Tag in der Woche, an vielen Orten | |
| sogar nur alle drei bis vier Wochen. Es fließt durch marode Leitungen und | |
| Pumpen in die Haushalte. Dort geht es durch einen Zähler und wird auf die | |
| Hausdächer gepumpt, in Wassertanks aus Plastik. Von dort aus führen | |
| Leitungen in die Häuser. | |
| Wenn die Menschen zu viel duschen oder zu oft die Klospülung betätigen und | |
| der Tank leer ist, müssen sie warten, bis der lokale Wasserversorger | |
| nachliefert – oder teures zusätzliches Wasser von privaten Anbietern | |
| kaufen, was sich nur die reiche Bevölkerung leisten kann. | |
| ## Mehr Menschen, aber weniger Wasser | |
| Nach dem jordanischen Zensus von 2015 haben rund 300.000 [2][syrische | |
| Geflüchtete in Irbid] und Umgebung ein neues Zuhause gefunden. 80 Prozent | |
| der [3][Geflüchteten in Jordanien] leben mit der lokalen Gemeinschaft | |
| zusammen. Die Aufnahmegemeinde fand, die Geflüchteten würden zu viel Wasser | |
| verbrauchen. „Als die Syrer*innen her kamen, haben sie ihr Verhalten | |
| zunächst nicht geändert. Es hat etwas gedauert, bis sie verstanden haben, | |
| dass es einen Wassermangel gibt“, erzählt der 45-jährige Jordanier Nimer | |
| Al-Shloul. „Der Verbrauch ist gestiegen und die Stunden der | |
| Wasserversorgung wurden reduziert. Wir erhielten einen Tag pro Woche | |
| Wasser, aber als die syrischen Geflüchteten kamen, änderte sich das auf nur | |
| einen halben Tag. Und wir haben nicht genug Speicherkapazität.“ | |
| Das Gouvernorat Irbid umfasst mehr als 1,7 Millionen Einwohner*innen | |
| und hat nach der Hauptstadt Amman die höchste Bevölkerungsdichte in | |
| Jordanien. Die Bevölkerung wächst auch ohne den Zuzug aus Syrien, womit der | |
| Wasserbedarf ohnehin steigt. Den größten Teil deckt Grundwasser – das schon | |
| Jahrzehnte vor dem [4][Ausbruch des Syrienkriegs] übernutzt war. | |
| In den 1980ern pumpte die Regierung massiv Wasser aus einem der wichtigsten | |
| Reservoirs des Landes nach Irbid: aus Azraq, knapp 100 Kilometer von der | |
| damals wachsenden Hauptstadt Amman entfernt. Nach Angaben der Deutschen | |
| Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ) ist der | |
| Grundwasserspiegel in Irbid um 50 Meter gesunken. | |
| Nicht nur der Kampf um das Frischwasser sorgt für Spannungen, sondern auch | |
| Arbeitslosigkeit und gestiegene Mieten. Um diese Probleme zu lösen, bekam | |
| Irbid viel Aufmerksamkeit von internationalen Entwicklungsorganisationen – | |
| auch um die syrischen Geflüchteten in Jordanien zu halten, damit sie nicht | |
| Richtung Europa weiterziehen. | |
| Das deutsche Entwicklungsministerium (BMZ) hat seit 2012 knapp 2,5 | |
| Milliarden Euro in die „Reduzierung struktureller Fluchtursachen“ gesteckt, | |
| also in verbesserte Infrastruktur oder Ausbildungsprogramme. In Irbid | |
| wurden alleine im vierten Quartal 2016 nach Angaben des UNHCR über 26 | |
| Millionen US-Dollar finanzielle Hilfen an syrische Geflüchtete verteilt. | |
| In den vergangenen Jahren hat Jordaniens Wasserministerium | |
| Machbarkeitsstudien für bessere Wasserversorgung und Abwasserbehandlung in | |
| Auftrag gegeben. Sie konzentrierten sich hauptsächlich auf die Gebiete von | |
| Irbid, die den stärksten Zuzug an syrischen Geflüchteten hatten. Im | |
| Dezember 2017 trafen sich Vertreter*innen der UN und | |
| Nichtregierungsorganisationen mit Beamten aus Irbid, um die humanitäre | |
| Hilfe zu koordinieren. Laut Protokoll einigten die Anwesenden sich, dass | |
| Hilfen auch arme Jordanier*innen in den Fokus rücken sollten. | |
| „Anfangs gab es manchmal Neid, weil alle Organisationen ihre Arbeit auf | |
| Syrer*innen ausrichteten“, erzählt die 46-jährige Kholoud Trad, die in | |
| einer Freiwilligenorganisation arbeitet. „Doch dann haben die meisten | |
| Organisationen dieses Problem erkannt und jetzt gibt es einen Prozentsatz | |
| für syrische Geflüchtete und einen weiteren Prozentsatz für | |
| Jordanier*innen. Das schafft Ausgleich und baut Spannungen oder Eifersucht | |
| ab.“ | |
| ## 10 Millionen Euro für besseres Wassermanagement | |
| Auch die GIZ hat das Problem erkannt. Natürlich gebe es Neid, wenn der | |
| Nachbar einen neuen Wassertank bekäme und der eigene weiter tropfe, sagt | |
| GIZ-Projektmitarbeiterin Juliana Turjman. „Aber wenn du bestimmte Kriterien | |
| hast, die du verteidigen kannst, dann braucht niemand mehr neidisch sein“. | |
| Über 10 Millionen Euro hat die GIZ im Auftrag der Bundesregierung | |
| ausgegeben, um in Irbid unter anderem das Wassernetz zu rehabilitieren und | |
| Haushalte in zehn Gemeinden mit insgesamt 12.000 neuen Geräten | |
| auszustatten: wasserspeichernde Dachwassertanks, sparsame Wasserhähne und | |
| Toiletten. So konnte laut GIZ die Wassernutzungseffizienz in mehr als 75 | |
| Prozent der Haushalte verbessert werden. | |
| Außerdem hat sich die GIZ einer Geflüchtetengemeinde gewidmet, die oft | |
| vergessen wird: [5][Palästinenser*innen im Jerash Camp]. Das Notlager | |
| war ursprünglich für 11.500 palästinensische Geflüchtete gedacht, die | |
| infolge des arabisch-israelischen Krieges 1967 aus dem Gazastreifen flohen. | |
| Mittlerweile ist es der ständige Wohnort von 15.500 Menschen, mit Häusern | |
| aus Betonwänden und Zink- oder Asbestplatten als Dächer. Hühner schauen aus | |
| ihren Käfigen auf die Straße, über die sich Abwasser verteilt, das aus | |
| Abläufen wieder nach oben gespült wird. | |
| Ein paar Jungen rennen einen sandigen Weg hinunter, vorbei an einem | |
| kleinen, zweistöckigen Gebäude. Das Haus ist unverputzt, eine gelb-rot | |
| geflieste Rampe führt an die Haustür, vom Betondach tropft Wasser herunter. | |
| Es ist das Haus von Basameh Mohammad Reyad. Sie lebt mit ihrem Mann, ihrer | |
| Tochter sowie ihrem Sohn und dessen Frau und Tochter zusammen. Zu sechst | |
| teilen sie sich ein Badezimmer. | |
| „Wir hatten so viele Probleme mit dem Wasser. Wir hatten nur einen | |
| Wasserbehälter und der war verrostet und voller Löcher“, erzählt die | |
| 70-Jährige. Dadurch konnten sie kaum Wasser speichern, um es später zu | |
| nutzen. Die Mutter wusch die Wäsche dann, wenn der staatliche Anbieter die | |
| Leitungen aufdrehte. Manchmal stapelte sich bis dahin auch das Geschirr. | |
| Durch das GIZ-Projekt hat die Familie nun zwei neue Plastikzisternen und | |
| ist etwas unabhängiger. | |
| Reyads Mann sowie der Sohn sitzen im Rollstuhl. Daher hat die Familie | |
| Rampen installiert bekommen, die den Zugang zur Küche und ins Bad einfacher | |
| machen. Außerdem profitieren sie von neuen Wasserhähnen und einem neuen | |
| Duschkopf. | |
| Ob sie Wasser spare? „Natürlich! Ich öffne die Hähne nur wenn nötig und | |
| schließe sie auch gleich wieder.“ Auch mit wassersparenden Amaturen muss | |
| sie auf den Verbrauch achten. „Die geringe Menge an Wasser zwingt uns, | |
| Wasser von privaten Anbietern zu kaufen.“ Sie zahlen alle drei Monate | |
| umgerechnet knapp 21 Euro für die staatliche Wasserrechnung, drei | |
| Kubikmeter der privaten Anbieter kosteten rund 12 Euro. Im Winter kaufe sie | |
| zwei, drei Mal im Monat vom Wasserlieferanten, im Sommer käme noch weniger | |
| Wasser aus den Leitungen, da seien diese Zusatzausgaben besonders hoch. | |
| ## Fast die Hälfte des Wassers geht verloren | |
| „Viele Zähler sind kaputt, Wasser geht beim Transport verloren, Menschen | |
| melden Störungen nicht, aber viel wichtiger: Wir brauchen neue | |
| Wasserressourcen“, erklärt Muntasir Al Momani, Generaldirektor vom | |
| Wasserversorger Yarmouk Water Company. Er sitzt an einem großen | |
| Konferenztisch in der Zentrale des Versorgers in Irbid, trinkt Tee und | |
| räumt ein, dass 48 Prozent des von Yarmouk bereitgestellten Wassers | |
| verloren geht. | |
| Hinzu kämen Energiekosten von knapp 48 Millionen Euro jährlich für | |
| Pumpstationen und Abwasserbehandlung und der finanzielle Verlust durch die | |
| alten Zähler, wodurch nicht richtig abgerechnet werden könne. „Wir als | |
| Versorger sind dafür verantwortlich, Wasser zu Verfügung zu stellen, | |
| Energiekosten zu senken und den Wasserverlust zu verringern. Und die | |
| Verantwortung der Leute ist es, Wasser effizient zu nutzen und ihre | |
| Rechnungen zu bezahlen.“ Es seien noch Wasserrechnungen im Wert von | |
| umgerechnet 66,5 Millionen Euro offen. Solange das Geld fehlt, können alte | |
| Rohre und Zähler nicht repariert werden. | |
| Hier zeigt sich ein zentraler Konflikt: Die Menschen sehen Wasser als ihr | |
| Grundrecht an, während der Wasserversorger finanziert werden möchte. Um | |
| darüber zu sprechen, kommen Gemeindemitglieder und Versorger in sogenannten | |
| Stakeholder-Dialogen zusammen, organisiert von lokalen Organisationen und | |
| unterstützt von der GIZ. | |
| ## Eine App soll helfen | |
| In einem Restaurant in Doaqarah sitzen der Syrer Ali Helal Kraim, der | |
| Jordanier Nimer Al-Shloul und fünf weitere Gemeindemitglieder mit Abstand | |
| zusammen. Es gibt Kekse, ein Springbrunnen plätschert in der Mitte des | |
| großen Raumes. Vor der Coronapandemie trafen sich die Teilnehmenden öfter. | |
| „Unter der Wasserknappheit leiden wir als Jordanier genauso wie die Syrer“, | |
| sagt die 46-Jährige ehrenamtlich arbeitende Kholoud Trad. „Da wir alle am | |
| selben Ort leben, sind wir Partner bei allen Problemen – und auch darin, | |
| Lösungen zu finden. Wir müssen uns also mit dem Wasserversorger | |
| zusammensetzen und über diese Fragen sprechen, denn es ist das Recht aller, | |
| zu verstehen, was vor sich geht.“ | |
| Sie habe bei Wasserproblemen zigmal bei der Yarmouk Water Company angerufen | |
| – „aber niemand ist rangegangen.“ Deshalb hat das Projekt eine mobile App | |
| entwickelt. So können die Menschen Störfälle melden, die der | |
| Wasserversorger dann beheben kann. „Es gibt viele Funktionen wie | |
| Chat-Gruppen zwischen uns und Yarmouk, wir können Beschwerden einreichen, | |
| im Wasserplan überprüfen, wann wir Wasser erhalten haben, und auch unsere | |
| Rechnungen sehen und bezahlen. Wir befinden uns noch in der Testphase, aber | |
| es scheint, dass es eine vielversprechende App ist.“ | |
| Das Verständnis zwischen den Bewohnenden und dem Wasserversorger hat sich | |
| damit verbessert. Die Vorurteile konnten durch bessere Infrastruktur, | |
| Wissensvermittlung und Dialog abgebaut werden. Nun bestünde ein gutes | |
| Verhältnis zwischen Geflüchteten und Jordanier*innen, sagt der Lehrer Nimer | |
| Al-Shloul: „In Jordanien haben wir seit langer Zeit Migrant*innen. Vor den | |
| Syrer*innen kamen Palästinenser*innen und Iraker*innen. Einige von | |
| ihnen leben hier seit fünfzig, sechzig Jahren. Wir heiraten einander, wir | |
| teilen das Brot, das Wasser. Auch wenn Wassermangel herrscht und wir nur | |
| eine Tasse Wasser haben, werden wir es unter uns aufteilen.“ | |
| 7 Sep 2021 | |
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| Julia Neumann | |
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