| # taz.de -- Debattenkonvent der SPD: Sozialdemokraten in gerechter Mission | |
| > Die SPD schlägt Pflöcke für künftige Wahlen ein – mit Klimaneutralität | |
| > und Umverteilung. Unklarheit herrscht beim Thema Rolf Mützenich und | |
| > „Terrorliste“. | |
| Bild: SPD-Chef Lars Klingbeil erinnert beim Debattenkonvent an den SPD-Sieg bei… | |
| Berlin taz | Wenn es künftig an der Tür klingelt und Menschen missionieren | |
| wollen, dann sind es möglicherweise nicht die Zeugen Jehovas, sondern | |
| Saskia Esken, Lars Klingbeil oder Kevin Kühnert. Die SPD hat auf ihrem | |
| Debattenkonvent am Wochenende – eine Art kleiner Parteitag – vier Missionen | |
| beschlossen, und die beiden SPD-Vorsitzenden sowie der Generalsekretär | |
| wollen diese nun unters Volk bringen. | |
| Man will einen klimaneutralen Umbau der Wirtschaft und einen starken Staat, | |
| der dabei für soziale Gerechtigkeit sorgt. Man will Digitalisierung | |
| fördern, aber kein digitales Prekariat. In der alternden Gesellschaft will | |
| die SPD für Fachkräfte sorgen und für ein modernes Einwanderungsrecht. Und | |
| sie will die Zeitenwende nutzen, um Globalisierung gerecht zu gestalten. | |
| Und das alles unter dem Logo der Verteilungsgerechtigkeit, mit einem Staat, | |
| der deutlich mehr in Infrastruktur und den ökologischen Umbau investiert – | |
| ein unverhohlenes Bekenntnis zur weiteren Aussetzung der Schuldenbremse. | |
| Außerdem bekennt sich die SPD zur Besteuerung von Vermögen, Kapitalerträgen | |
| und Erbschaften und wagt sich mit einer kleinen Kampfansage an die von ihr | |
| geführte Ampelkoalition vor: Sie will eine Debatte über eine einmalige | |
| Vermögensabgabe, einen sogenannten Transformationssoli, „um die anstehenden | |
| Aufgaben auskömmlich finanzieren zu können“. „Deutschland hat viele starke | |
| Schultern – wir brauchen sie jetzt“ heißt es in der Passage, die auf Antrag | |
| der Jusos in den Leitantrag übernommen wird. Einstimmig. Die FDP wird | |
| absehbar dagegenhalten. Mit diesen Botschaften läuft sich die SPD nicht nur | |
| warm für ihren Parteitag im nächsten Jahr, sondern auch für die Europawahl | |
| 2024 und die Bundestagswahl 2025. | |
| Das Format ist ein Experiment: Einen Tag lang diskutiert die Partei mit | |
| Delegierten und Gästen, schon am nächsten Tag sollen Ergebnisse in | |
| Beschlüsse gegossen werden. Debatte und Entscheidung an einem Ort. Rund | |
| 1.000 Genoss:innen sind in eine ehemalige Brauerei in Berlin-Neukölln | |
| gekommen, die doppelte Anzahl ist online dabei. Das Bild prägen viele | |
| Jüngere. Der Juso-Erfolg hat eine Basis. | |
| Eine der interessantesten Debatten findet nur online statt: Fraktionschef | |
| Rolf Mützenich und Ursula Schröder, Direktorin des Hamburger Instituts für | |
| Friedensforschung, diskutieren über den Ukrainekrieg. Mützenich, sonst | |
| stets ausgeglichen und freundlich, wirkt angefasst. Diplomatie, die er | |
| fordere, werde auch von den Koalitionspartnern diskreditiert – das habe ihn | |
| „entsetzt“. Der Westen verfolge eine enge, selbstbezügliche Politik, | |
| anstatt global Partner zu suchen. | |
| „Die meisten Kriege seit 1945 sind nicht auf dem Schlachtfeld beendet | |
| worden“, sagt Mützenich. Mit Rigorismus werde auch der Ukrainekrieg nicht | |
| beendet werden. Im Übrigen sei die Mehrheit der Deutschen laut Umfragen für | |
| mehr Diplomatie. Es sei ein Fehler, „dass diejenigen, die sich um | |
| Diplomatie zu kümmern haben, mehr über Waffen reden, als sie über | |
| Diplomatie reden“, sagt Mützenich. Eine Breitseite gegen die grüne | |
| Außenministerin Annelena Baerbock. | |
| Ursula Schröder hält dagegen: Waffen oder Diplomatie – das sei die falsche | |
| Alternative. Bei der Ukraine sei man allenfalls im Stadium von | |
| Verhandlungen über Verhandlungen. Diese jetzt öffentlich zu fordern, sei | |
| kurzsichtig. Syrien habe gezeigt, dass Verhandlungen auch genutzt werden | |
| können, um den Krieg radikal zu verschärfen. Die Debatte hat Niveau, ist | |
| kontrovers und trifft den Kern. | |
| Mützenich kritisiert, dass er „von der ukrainischen Regierung auf eine | |
| Terrorliste gesetzt wurde“, nur weil er einen Waffenstillstand oder lokale | |
| Waffenruhen für sinnvoll hält. Steht der Fraktionschef der Regierungspartei | |
| in Berlin, das die Ukraine massiv unterstützt, auf einer Terrorliste? Das | |
| ukrainische Außenministerium dementiert am Samstagabend. | |
| Träumt Mützenich? Weder noch. Es gibt seit Sommer eine offizielle, vom | |
| „Zentrum gegen Desinformation des nationalen Sicherheits- und | |
| Verteidigungsrats der Ukraine“ veröffentlichte Liste mit „Personen, die | |
| russische Propagandanarrative verbreiten“. Dort wird Mützenich aufgeführt, | |
| neben Alice Schwarzer, Christian Hacke, Roger Waters und Marine Le Pen und | |
| vielen anderen. | |
| Terrorliste ist eine zu dramatische Formel – aber den SPD-Fraktionschef in | |
| eine Reihe mit Le Pen und Leuten, die Kreml-Falschmeldungen verbreiten, zu | |
| stellen, ist unterirdisch. Seltsam ist auch, dass besagte Liste am Sonntag | |
| aus dem Netz verschwunden ist. | |
| Die Stimmung auf dem SPD-Konvent ist eher aufseiten des Fraktionschefs, die | |
| Aufregung über den diplomatischen Eklat hält sich in Grenzen. Mützenich | |
| müsse aber deutlicher erklären, welche diplomatischen Ansätze er denn sehe, | |
| heißt es aus der Führung der SPD. Sonst würde der falsche Eindruck | |
| entstehen, er wolle Verhandlungen mit Russland auf Kosten der Ukraine. | |
| Wenig bis keine Kritik gibt es auch an der Reise des Bundeskanzlers nach | |
| China. Der Zeitpunkt – kurz nach dem Parteitag der Kommunistischen Partei, | |
| die Abschottung und autoritäre Machtfülle zementierte – war von westlichen | |
| Partnern, aber auch von den Koalitionspartner:innen heftig | |
| kritisiert worden. | |
| Olaf Scholz kommt am Samstag direkt aus Peking nach Neukölln. Er ist gut | |
| gelaunt. Er mag das Townhall-Format, mit ungefilterten Fragen aus dem | |
| Publikum. Die Stimmung gewogen, manche Frage beginnt mit: „Olaf, du machst | |
| einen tollen Job als Kanzler.“ Scholz bringt gute Neuigkeiten mit: Auch | |
| Chinas Staatspräsident Xi Jinping ist gegen „den Einsatz von und die | |
| Drohung mit Atomwaffen“ – eine klare und vor allem neue Forderung an Putin. | |
| „Schon dafür hat sich die Reise gelohnt“, sagt Scholz. Tosender Jubel bei | |
| den Genoss:innen. Realpolitik plus Frieden. Das alte SPD-Rezept. | |
| Im Fokus der Debatte stehen jedoch der Klimawandel, die Dekarbonisierung | |
| und die Transformation hin zu erneuerbaren Energien. Aber auch da gibt es | |
| kaum offenen Streit. Eine der wenigen kritischen Fragen an Scholz stellt | |
| Bettina van Suntum, Genossin und Klimaaktivistin aus Leipzig. „Die SPD | |
| begreift die Dramatik des Klimawandels nicht“, sagt sie. Es reiche nicht, | |
| auf technische Lösungen zu setzen. Der Kanzler erwidert, er sehe das | |
| anders, und er lobt Erneuerbare und Wasserstofftechnologie als „gigantische | |
| Leistung mit Nutzen für die ganze Welt“. Deutschland müsse der Welt zeigen, | |
| dass auch ein Industrieland mit erneuerbaren Energien sein Wohlstandsniveau | |
| halten kann. | |
| So beschließt es auch der Konvent: Die beherzte Nutzung von erneuerbaren | |
| Energien „begreifen wir als große Chance für wirtschaftliches Wachstum“, | |
| heißt es. Immerhin stellt die SPD klar: Die aktuell verstärkte Nutzung | |
| fossiler Energien im Zuge des russischen Angriffskriegs auf die Ukraine | |
| darf nicht zu neuen Abhängigkeiten führen. Die Zukunft liege nicht in | |
| Fracking, Atomkraft oder Kohle, sondern in Erneuerbaren. „Da muss die SPD | |
| völlig klar sein“, sagt Parteichef Lars Klingbeil. | |
| Klar ist: Das Feld will die SPD nicht den Grünen überlassen. Man begreift | |
| Klimaschutz jetzt auch in der SPD als eigene Mission. | |
| Letzte Aktualisierung: Sonntag, 6. November 2022, 17.31 Uhr | |
| * Die Liste mit „Personen, die russische Propagandanarrative verbreiten“ | |
| ist inzwischen online nicht mehr verfügbar (Anm. d. Red., 6. November 2022, | |
| 14 Uhr). | |
| 6 Nov 2022 | |
| ## AUTOREN | |
| Stefan Reinecke | |
| Anna Lehmann | |
| ## TAGS | |
| Schwerpunkt Klimawandel | |
| Schwerpunkt Krieg in der Ukraine | |
| SPD | |
| Kevin Kühnert | |
| Rolf Mützenich | |
| Erneuerbare Energien | |
| GNS | |
| SPD | |
| Schwerpunkt Klimawandel | |
| Lars Klingbeil | |
| Schwerpunkt Klimawandel | |
| Kevin Kühnert | |
| NRW-SPD | |
| ## ARTIKEL ZUM THEMA | |
| Kevin Kühnert über 160 Jahre SPD: „Schröder hat sich entschieden“ | |
| Von Askese hält Kevin Kühnert wenig. Er wirbt lieber für den aktiven Staat | |
| in der Öko-Transformation. Ein Gespräch über Umverteilung, Ex-Vorsitzende | |
| und 160 Jahre SPD. | |
| SPD-Strategie für Infrastruktur: SPD will mehr Staat beim Netzausbau | |
| In ihrer Jahresauftakt-Klausur kündigt die SPD einen Turbo beim Ausbau der | |
| Infrastruktur an. Industriepolitik und Klimaschutz will sie versöhnen. | |
| Jahresbilanz der SPD-Chefs: Erfolge im Stakkato | |
| Saskia Esken und Lars Klingbeil bilanzieren ihr erstes Jahr als | |
| SPD-Vorsitzende. Der Rückblick fällt positiv aus – auch dank klarer | |
| Aufgabenteilung. | |
| Bericht des Expertenrats für Klimafragen: Verriss der deutschen Klimapolitik | |
| Die internationale Klimakonferenz COP 27 in Ägypten steht kurz bevor. | |
| Fachleute stellen Deutschland ein miserables Zeugnis aus. | |
| Kevin Kühnert über Energiepolitik: „Ich lasse mich nicht aufteilen“ | |
| SPD-Generalsekretär Kevin Kühnert erklärt sein Selbstverständnis und die | |
| Irrwege in der Energiepolitik. Er hält wenig von grünem Lifestyle. | |
| SPD-Debattenkonvent am Wochenende: Reizthemen China und Steuern | |
| Die SPD will mit einem Debattenkonvent in Berlin die Basis beteiligen. Im | |
| Mittelpunkt sollen die Energiewende und der digitale Wandel stehen. |