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# taz.de -- Privilegien für Autos: Verkehrswende im Stau
> Deutschland verfehlt seine Klimaziele beim Verkehr. Und was tut die
> Ampelregierung? Hält an den kostspieligen Autoprivilegien fest.
Bild: Verkehr bleibt das Schlusslicht beim Klimaschutz
Das Deutschlandticket kommt – ein Durchbruch, mit dem vor einem Jahr
niemand gerechnet hatte. Die Kleinstaaterei der Tarifzonen wird bald
Vergangenheit sein, Bus und Bahn werden günstiger. Und dennoch: Der Verkehr
bleibt das Schlusslicht beim Klimaschutz. Die Regierung verweigert die
Wende in Richtung klimafreundliche Mobilität. [1][Letztes Jahr hat sie
erneut die Vorgaben des Klimaschutzgesetzes gerissen.] Macht sie so weiter,
dürfte sie auch das Verkehrsklimaziel für 2030 krachend verfehlen: Bis
dahin sollen die Treibhausgasemissionen [2][gegenüber 1990 um die Hälfte
sinken] – mit den bisherigen Maßnahmen wird das nicht gelingen.
Eigentlich hat sich die Ampelregierung in ihrem Koalitionsvertrag zu einer
nachhaltigen und für alle bezahlbaren Mobilität bekannt. Der sogenannte
Umweltverbund – also Bus-, Bahn-, Rad- und Fußverkehr – soll als
Alternative zum Auto ausgebaut werden, in die Schiene künftig mehr Geld
fließen als in die Straße. Doch Papier ist geduldig; in der Praxis ist
davon kaum etwas zu erkennen. Im Entwurf für den Haushalt 2023 fehlen:
1. Ausreichende Investitionen, abgesichert durch einen langfristigen
Umwelt- und Klimafonds.
2. Die Besteuerung der Verkehrsarten nach Umwelteffekten („tax bads not
goods“).
3. Neue Steuerungsinstrumente wie ein Bonus-Malus-System bei der Kfz-Steuer
oder eine Pkw-Maut.
4. Eine am Klima ausgerichtete Subventionspolitik.
5. Der Ausbau von Planungs- und Personalkapazitäten für die Verkehrswende.
Dabei müsste der Verkehrshaushalt 2023 endlich erste Schritte gehen, damit
wir bis 2030 einen Verkehr erreichen können, wie wir ihn haben wollen:
resilient, ökologisch und sozial. Stattdessen wird der Bundestag kommende
Woche abermals mehr Mittel für das Auto freigeben als für den
Umweltverbund. Die Investitionen in die Straße werden auf 11,5 Milliarden
Euro erhöht, während sie für die Schiene bei rund 9,5 Milliarden verharren.
Der Staat fördert also weiter die Strukturen, die für den größten Teil der
Verkehrsemissionen verantwortlich sind, und verhindert damit den Übergang
in eine klimafreundliche Mobilität.
## Beim ÖPNV reicht das Geld vorne und hinten nicht
Auch beim Radverkehr wird gekürzt. Hier stehen lediglich 561 Millionen Euro
zur Verfügung. Dabei hatte [3][die Verkehrsministerkonferenz im Mai 2022
einstimmig beschlossen, die Investitionen fürs Rad auf 1 Milliarden Euro
pro Jahr zu erhöhen – für jedes Jahr bis 2030.] Zwar wird allen
Verkehrsarten für die Folgejahre Geld zugesichert; an der Priorität für die
Straße ändert das aber nichts.
Beim ÖPNV klafft ebenfalls eine Lücke: Das Geld reicht vorne und hinten
nicht, um das Bus- und Bahnangebot zu verbessern. Zusätzliche Verbindungen
und neue, umweltfreundlichere Fahrzeuge werden dringend benötigt, doch
dafür sieht der Bundeshaushalt kaum etwas vor. Es drohen sogar Kürzungen
beim Angebot, weil Personal- und Energiekosten stark gestiegen sind. Allein
diese Preissteigerungen auszugleichen, würde für 2023 drei Milliarden Euro
zusätzlich erfordern.
Und damit wäre noch keine einzige zusätzliche Verbindung geschaffen. Um das
Ziel zu erreichen, die Fahrgastzahlen zu verdoppeln, sind weitere 12
Milliarden Euro für Busse und Bahnen nötig. Zusammen also 15 Milliarden
Euro jedes Jahr, die Bund und Länder nicht stemmen wollen.
Wer meint, das sei viel Geld, soll sich anschauen, wie stark der
Autoverkehr jährlich gefördert wird. Man nehme etwa die Steuerprivilegien
wie die niedrigere Energiesteuer auf Diesel (8,2 Milliarden Euro), das
[4][Dienstwagenprivileg (4,4 Milliarden]) oder eine Pendlerpauschale (6
Milliarden), [5][die vor allem das Autofahren günstiger] machen. Hinzu
kommen Steuerbefreiungen fürs Fliegen: [6][Der Staat erhebt weder eine
Energiesteuer auf Kerosin (8,4 Milliarden) noch eine Mehrwertsteuer auf
Auslandsflüge (4 Milliarden)].
## Auto-Subventionen abschaffen
Diese Privilegien führen zu immensen Steuerausfällen und stellen de facto
Subventionen dar. Meist sind sie ungerecht, da vor allem Besserverdienende
profitieren. Klimapolitisch sind sie fatal, denn sie konterkarieren alles,
was den Verkehr klimaschonender macht. Mit den zusätzlichen Einnahmen
ließen sich Bus-, Bahn-, Rad- und Fußverkehr locker ausbauen. Doch die
Devise „viel Geld hilft viel“ trifft nicht immer zu. Oft werden Fördertöp…
nicht ausgeschöpft, weil in der Verwaltung das Personal für die Planung
fehlt oder Baufirmen keine freien Kapazitäten haben. Hinzu kommen
bürokratische Hürden und hohe Eigenanteile, die Kommunen und Unternehmen
abschrecken.
Weil Mittel deshalb nicht ausgeschöpft werden, meint das
Verkehrsministerium, es könne sie kürzen – ein fataler Fehlschluss. Das
Gegenteil wäre richtig: Das Ministerium müsste langfristig Investitionen
garantieren, Förderkriterien vereinfachen und Infrastrukturprojekte
priorisieren, damit die Bauwirtschaft ihre Kapazitäten hochfährt und Ämter
mehr Planer*innen einstellen. Teure, aufwändige und klimaschädliche
Straßenbauprojekte muss es dagegen einstellen.
Ein Symbol für falsche Anreize ist die neu gegründete Autobahn GmbH. Wie
wäre es, wenn dieses Staatsunternehmen – als echte Mobilitäts-GmbH –
künftig für die Schiene und die kommunale Infrastruktur plant?
Entscheidungen brauchen Ziele, die sich nicht nur am Verkehr orientieren.
Ebenso wichtig sind Klima-, Umwelt- und Gesundheitsschutz,
Verkehrssicherheit, Teilhabe und Sozialverträglichkeit. Daran müssen sich
Verkehrsplanung und -finanzierung halten.
Hier kommt ein Bundesmobilitätsgesetz ins Spiel, wie es der VCD als neuen
Rahmen für die Mobilität vorschlägt. Es soll Planung und Finanzierung an
oben genannten Zielen ausrichten und so Transparenz und Verbindlichkeit
schaffen. Auch wenn die Herausforderungen für ein solches Gesetz groß sind,
die Probleme der Verkehrspolitik sind größer – sie können nur mit einem
großen Wurf beseitigt werden. Die Ampel dagegen zementiert den Status quo.
Sie klammert sich an den Verkehr der Gegenwart auf Kosten einer
lebenswerten Zukunft.
18 Nov 2022
## LINKS
[1] https://expertenrat-klima.de/news/expertenrat-fuer-klimafragen-bestaetigt-z…
[2] https://www.bundesregierung.de/breg-de/themen/klimaschutz/klimaschonender-v…
[3] https://www.verkehrsministerkonferenz.de/VMK/DE/termine/sitzungen/22-05-04-…
[4] https://www.umweltbundesamt.de/sites/default/files/medien/366/dokumente/uba…
[5] https://www.umweltbundesamt.de/presse/pressemitteilungen/umweltschaedliche-…
[6] https://www.umweltbundesamt.de/sites/default/files/medien/479/publikationen…
## AUTOREN
Kerstin Haarmann
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