# taz.de -- Freie Fahrt fürs Fahrrad: Utopie bei Schietwetter | |
> Oldenburg testet eine Ampelanlage, die Fahrräder bei Regen bevorzugt | |
> behandelt. Das mag Symbolpolitik sein – aber auch extrem sinnvolle | |
> Feldforschung. | |
Bild: Es mag ja ungemütlich aussehen, aber in Oldenburg bekommt sie bei dem We… | |
Eine Ampel, die automatisch grün wird, wenn ein Fahrrad kommt: Natürlich | |
ist das eine gute Nachricht. Selbst wenn es die nur an einer einzigen | |
Oldenburger Kreuzung gibt, und sie zudem nur bei Regen funktioniert. Das | |
war nämlich die Idee des kürzlich gestarteten Pilotprojekts: | |
Radfahrer:innen bei Schietwetter nicht gleichberechtigt mit bedachten | |
Autos durchregnen zu lassen, sondern sie fix durchzuwinken – weil sie eben | |
nasser werden und der Straßenverkehr bei schlechter Sicht und Pfützen auch | |
[1][nicht gerade ungefährlicher] ist. | |
Technisch ist das Projekt recht aufwändig. Wärmesensoren im Boden | |
registrieren biologische Verkehrsteilnehmer:innen bereits 50 Meter | |
vor der Ampel, eine weitere Wärmebildkamera behält die Einmündung im Blick, | |
während die Anlage in Echtzeit Wetterdaten ausliest, um auch pünktlich in | |
den Regenmodus umzuschalten. | |
Bevor nun aber wer vor Freude gleich das Auto abschafft, wäre Folgendes | |
noch zu bedenken: Die Oldenburger Kreuzung von Quellenweg und Uhlhornsweg | |
ist schon ein bisschen ab vom Schuss, weit entfernt jedenfalls von der | |
innerstädtischen Kampfzone. Außerdem haben Autos hier ohnehin nicht viel zu | |
melden, weil knapp 200 Meter weiter der Unicampus beginnt, wo zwei | |
Zebrastreifen zwischen Hörsaalzentrum, Mensa und Bibliothek ganz ohne Ampel | |
zeigen, [2][wo die Blechhaufen hingehören]: in die Warteschlange nämlich, | |
bis die Vorlesungen anfangen und die Straße frei wird. | |
## Die ist Idee ist gut und die Welt bereit | |
Trotzdem: Die Idee ist gut und Fahrräder gibt es hier aufgrund der Uni auch | |
zur genüge. Wirklich aufregend an der Geschichte ist aber wohl die seltene | |
Eintracht von Symbolpolitik und Feldforschung. Denn wenn es hier geht, | |
warum nicht auch woanders? Und so traurig das auch sein mag, wäre ja | |
bereits der Perspektivwechsel weg vom Auto einen goldenen Sattelschoner | |
wert. | |
Kein Zufall ist übrigens, dass ausgerechnet Oldenburg diesen Vorstoß wagt. | |
Hier rühmt man sich seit jeher ([3][und inzwischen zu Recht]) seiner | |
Fahrradfreundlichkeit, die immer auch mit offenen Augen in die | |
Nachbarschaft guckt. Studierende fahren sogar mit dem Semesterticket zum | |
Graskaufen in die Niederlande, wo die Regenampel herkommt. | |
Im vergangenen Jahr ist Oldenburgs Zertifikat als fahrradfreundliche | |
Kommune verlängert worden: wegen Radschnellwegen, die nicht nur | |
innerstädtische Hotspots verbinden, sondern bis weit ins Umland führen. | |
Auch werden bereits seit den 1990er-Jahren kontinuierlich Kreuzungen | |
umgestaltet, Radwege nicht nur ausgewiesen, sondern sogar gepflegt, viele | |
Abstellplätze geschaffen, die niedersächsische Förderung von Lastenrädern | |
kommunal zusätzlich aufgestockt, und so weiter und so fort. | |
Kurz gesagt: Die öffentlichkeitswirksam grüngeschaltete Regenampel ist kein | |
reiner PR-Stunt, sondern darf durchaus als Ausdruck ernsthafter Bemühungen | |
um die Verkehrswende gelten. Das wäre nach der symbolpolitischen | |
Feldforschung schon die nächste Zweisamkeit mit Seltenheitswert: dass hier | |
nämlich guter Wille und Expertise zusammenkommen. | |
Und wer weiß, vielleicht begreifen ja wenigstens einzelne | |
Autofahrer:innen im Sprühregen vor der plötzlich roten Ampel, wie irre | |
der Normalbetrieb eigentlich ist. Oder dass es so dramatisch gar nicht ist, | |
wenn es wenigstens ausnahmsweise mal nicht nur um sie und ihr ungehindertes | |
Durchrauschen geht. Aber da wird’s vielleicht doch endgültig zu utopisch. | |
3 Dec 2022 | |
## LINKS | |
[1] /Getoetete-Radfahrerin-in-Berlin/!5890360 | |
[2] /ADFC-Kampagne-geht-nach-hinten-los/!5690885 | |
[3] /Mythos-Fahrradstadt-Oldenburg/!5038343 | |
## AUTOREN | |
Jan-Paul Koopmann | |
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