# taz.de -- Experte zur Verkehrswende: „Wir müssen über Autoscham reden“ | |
> Das 49-Euro-Ticket kommt. Reicht das aber für die Verkehrswende? Ein | |
> Gespräch mit Verkehrsplaner Oliver Schwedes über Autos, ÖPNV und die | |
> Zukunft. | |
Bild: Ohne Auto alles grün? | |
taz: Herr Schwedes, Bund und Länder haben vor einigen Wochen das | |
49-Euro-Ticket beschlossen. War das ein Meilenstein der Verkehrswende? | |
Oliver Schwedes: Natürlich ist das [1][Ticket] eine echte Errungenschaft. | |
Viele Bürger:innen müssen sich so nicht immer wieder in neue Tarife | |
einfinden, neue Fahrkarten lösen und vieles mehr. Damit gewinnt der | |
öffentliche Verkehr deutschlandweit an Attraktivität. Das steht erst mal | |
außer Frage. | |
In Luxemburg gibt es bereits seit einiger Zeit einen kostenfreien ÖPNV, in | |
Wien das 365-Euro-Ticket. Sind andere Länder nicht längst viel weiter als | |
wir? | |
Ich würde nicht sagen, dass uns andere so weit voraus sind. Wien war ein | |
Vorreiter mit dem Ticket. Auch dort wurden die Debatten schon lange vorher | |
geführt – zurückreichend bis in die 70er Jahre – bevor sich etwas bewegte. | |
Auch bei uns hat es viel zu lange gedauert. | |
Das ÖPNV-Ticket war hierzulande ja Teil des großen Entlastungspakets der | |
Regierung. | |
Leider stand am Anfang der Tankrabatt und erst dann wurde gesagt: Na ja, | |
wenn wir etwas für den Autoverkehr machen, dann müssen wir auch etwas für | |
den öffentlichen Verkehr machen. Das ist im Grunde ein Spiel, was wir seit | |
vielen Jahrzehnten kennen: Es ändert sich nichts am grundsätzlichen | |
Verhältnis zwischen Pkw, öffentlichem Verkehr und privatem Verkehr. | |
Aber die Nutzung des ÖPNV hat durch die Einführung des Tickets doch | |
geboomt. Millionen haben das 9-Euro-Ticket gekauft. | |
Es bleibt aber die Frage, ob wir den berühmt berüchtigten „Modal Shift“, | |
den die Politik seit vielen Jahrzehnten verfolgt, hinkriegen. Also den | |
Wechsel vom Auto auf den ÖPNV, denn bislang hat immer auch zeitgleich die | |
Nutzung des Autos zugenommen. Es gibt noch immer zu viele falsche Anreize. | |
Zum Beispiel das Dienstwagenprivileg, die Pendlerpauschale oder die | |
Dieselsubventionierung. | |
Was sollte getan werden? | |
Wenn Sie allein auf die drei genannten Posten schauen, sind das 15 | |
Milliarden Euro pro Jahr, die da zusammenkommen. Da können Sie jedes Jahr | |
eine ICE-Strecke von München nach Berlin dafür bauen. Die hat 10 Milliarden | |
Euro gekostet – dann bleiben sogar noch 5 Milliarden, um Geld in den Rad- | |
und Fußverkehr zu stecken. | |
Neben falschen finanziellen Anreizen spielt auch die emotionale | |
Komponente eine große Rolle. Gerade Deutschland wird ja immer wieder | |
nachgesagt, dass hierzulande die Liebe zum Automobil besonders groß sei. | |
Untersuchungen zeigen, die gibt es. Aber die Mehrheit der | |
Autobesitzer:innen hat ein pragmatisches Verhältnis zum Auto. | |
Insbesondere in Städten nutzt schon jetzt ein großer Teil tagsüber nicht | |
mehr den privaten Pkw. Der steht mehr vor der Tür für bestimmte | |
Gelegenheiten. Das ist dann der berühmte Einkauf bei Ikea für den | |
Transport. Oder der Wochenendausflug. Dafür könnte man zum Beispiel mehr | |
Carsharing anbieten. | |
Trotz solcher Angebote steigen die Pkw-Registrierungen beim | |
Kraftfahrt-Bundesamt. Allein im Oktober sind sie wieder um 16,8 Prozent | |
binnen eines Jahres nach oben gegangen. Was entgegnen Sie echten | |
Autoliebhabern, die weiter ihr eigenes Fahrzeug fahren wollen? | |
Wenn Fridays for Future von Flugscham sprechen, müssen wir vielleicht auch | |
über Autoscham sprechen. Wir alle gemeinsam müssen an diesem dicken Brett | |
bohren. Das ist ein kulturelles Problem, eine gesellschaftliche | |
Stimmungslage, die können wir Verkehrsplaner nicht alleine lösen. Aber wir | |
müssen Instrumente einführen, die das Autofahren weniger attraktiv machen. | |
Zum Beispiel? | |
Es kann etwa nicht sein, dass in Zukunft weiterhin in dem Straßenraum, der | |
uns allen gehört, einzelne ihren privaten Pkw auf elf oder zwölf | |
Quadratmetern abstellen. Das muss einfach etwas kosten. | |
In den Großstädten scheint so etwas gar nicht in großer Ferne. Wie ist das | |
aber auf dem Land, wo es nicht an jeder Ecke einen Bus, eine U-Bahn oder | |
eine Leihstation gibt? | |
Tatsächlich herrschen auf dem Land vielfach Strukturen vor, die eine | |
gewisse Autoabhängigkeit mit sich bringen. Aber wir sind nicht in Amerika, | |
wo es im ländlichen Raum gar keine Alternative gibt. Im besten Fall sind | |
die Menschen mit dem Regionalverkehr auch auf dem Land so angeschlossen, | |
dass sie gute Angebote haben. Oder es müssen mehr Rufbusse eingeführt | |
werden. Das ist wichtig. Ich kann den Leuten nicht das Auto vergällen, ohne | |
ihnen alternative Angebote zu machen. | |
Mehr Fuß- und Radverkehr, mehr Sharing, mehr ÖPNV. Die Vorschläge sind | |
bekannt. Warum werden diese Angebote nicht schneller durchgesetzt? | |
Ich glaube, das ist fehlender politischer Wille. | |
Wer muss sich in der Politik da bewegen? Vieles in der Verkehrsplanung wird | |
ja nicht nur auf Bundes-, sondern auch auf Landes- und kommunaler Ebene | |
entschieden. | |
Nehmen Sie nur mal das Beispiel flächendeckende Einführung von Tempo 30 in | |
den Städten – statt wie bislang 50. Der Deutsche Städtetag hat das immer | |
verlangt. Aber es ist ein Bundesgesetz, und das müsste dort geändert | |
werden. Am Ende hängt doch viel am Bund und an der Straßenverkehrsordnung. | |
Aber da bewegt sich einfach nichts. Und das ist nur ein Beispiel von | |
vielen. | |
24 Nov 2022 | |
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## AUTOREN | |
Nikola Endlich | |
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