# taz.de -- Augustus-Ausstellung in Hamburg: Eingelullt durch Bilderflut | |
> Eine Hamburger Ausstellung über Augustus bietet exquisite Skulpturen, | |
> bleibt aber affirmativ. Die Reflexion über Macht und Medien im alten Rom | |
> fehlt. | |
Bild: Büste neben Büste neben Büste: Fast seriell sind die Skulpturen ausges… | |
HAMBURG taz | Mit großer Geste steht er da, weist nach vorn, nach oben wie | |
ein Heiland, einer der vielen Wanderprediger zur Zeit Jesu vielleicht. Aber | |
er trägt Mantel, Brustpanzer und Lanze, ist ein römischer Feldherr. Und | |
doch wollte er sich auch als Heilsbringer inszeniert wissen, der 63 vor | |
Christus geborene römische Kaiser Octavian, der sich bald Augustus – „der | |
Erhabene“ nannte. | |
Als überlebensgroße Statue hatte man das Abbild des Augustus um 27 v. Chr. | |
vor seiner Villa im römischen Stadtteil Primaporta postiert. Es war der | |
Beginn eines neuen Bildtyps – und des [1][Personenkults] um den | |
Adoptivsohn des 44 v. Chr. ermordeten Gaius Julius Caesar. Diesem von | |
Augustus forcierten Bilderboom widmet sich derzeit eine Ausstellung im | |
Hamburger Bucerius Kunst Forum. | |
Und man hat, in Kooperation mit internationalen, vor allem italienischen | |
und französischen Museen, eine hochkarätige Sammlung an Büsten, Statuen, | |
Wandmalereien, Münzen und Reliefs zusammengestellt, die neben Augustus und | |
seiner Frau Livia auch Caesar, Pompeius und Cicero zeigen. | |
Und sie sind natürlich doch nicht alle gleich, die Konterfeis des Augustus, | |
denn der modifizierte sein Image mit jeder Regierungsphase, jedem | |
militärischen Erfolg: Anfangs wurde er als jugendlicher, etwas pausbäckiger | |
Götterbote inszeniert, der dem vom 15-jährigen Bürgerkrieg ermatteten | |
römischen Reich einen 200-jährigen inneren Frieden bringen würde. Spätere | |
Bildnisse zeigen ihn – obwohl er etwa in der [2][Varusschlacht] der | |
„Germanenkriege“ dramatisch unterlag – als entschlossenen, siegreichen | |
Feldherrn. Den Link zur bis heute währenden, fast sakralen Inszenierung von | |
Diktatoren setzen die KuratorInnen ganz bewusst. | |
## Angeblich göttliche Abstammung | |
Und Augustus tat noch etwas, was Alleinherrscher gern tun: Er startete | |
große Bauprojekte, schuf riesige Tempelanlagen und Parks, baute Straßen und | |
Wasserleitungen. Unvermeidliches Accessoire überall: die Kaiserbüste. Dabei | |
ging er durchaus geschickt vor: Er ließ sich, um demütig zu erscheinen, | |
auch als Priester mit bedecktem Haupt darstellen. Als Gott ließ er sich | |
aber wohl zu Lebzeiten nicht verehren. Allerdings setzte er sein Bildnis so | |
zwischen die römischen Götter, dass die Leute ihn quasi en passant mit | |
anbeteten. | |
Dabei ging der Personenkult keineswegs nur von Augustus selbst aus. Auch | |
der Adel, auf Privilegien und Ämter erpicht, gab Kaiserporträts in Auftrag. | |
Manche – wie der Unternehmer Marcus Holconius Rufus – ließen sich „aus | |
Loyalität“ mit demselben Brustpanzer und in derselben Pose darstellen wie | |
der Kaiser. | |
Augustus selbst wiederum wollte seine Herrschaft auch dadurch legitimieren, | |
dass er seine Herkunft direkt von den Gründern Roms ableitete. Als „Beleg“ | |
diente die griechische Sage vom Prinzen Aeneas, der einst aus dem | |
brennenden [3][Troja] nach Italien floh. Dort wurde sein Sohn Ascanius | |
König in der neu gegründeten Vorgängerstadt Roms. Er nannte sich Julius und | |
begründete so angeblich die Julianische Dynastie von Caesar und Augustus. | |
Warum war es aber nötig, das eigene Regime zu rechtfertigen und einen | |
solchen Personenkult zu betreiben? In der Hamburger Ausstellung ist | |
euphemistisch vom „Umbruch von der Republik zur Kaiserzeit“ die Rede. In | |
Wahrheit war es die Ausweitung der schon von Caesar installierten Diktatur, | |
und das gelang Augustus durch einen unlauteren Coup: Kurz nach Machtantritt | |
versicherte er Roms Senatoren, ab jetzt könnten sie wieder mitbestimmen. | |
Der Senat, erstaunt und gerührt, ließ sich über den Tisch ziehen und | |
erteilte Augustus die Befehlsgewalt über das Heer. | |
Seinen Konkurrenten, Caesars Feldherrn Marcus Antonius, schaltete er aus, | |
indem er Stimmung gegen dessen Liaison mit der ägyptischen Königin | |
Kleopatra machte und das Paar in den Tod trieb. Zudem bezahlte Augustus | |
seine Soldaten gut, damit sie nicht auf Umsturzideen kämen. | |
Andererseits hatte er durchaus fortschrittliche Ideen. Er erließ zum | |
Beispiel Ehegesetze, die Untreue unter Strafe stellten. Allerdings betrog | |
er seine Frau Livia ständig, und als sich [4][Ovid] darüber belustigte, | |
verbannte Augustus den Dichter. Andererseits war Livia die erste | |
einflussreiche Frau in Roms Geschichte; Augustus soll wichtige | |
Entscheidungen mit ihr besprochen, ihren Intellekt geschätzt haben. Zu | |
seinen Lebzeiten musste sie allerdings die Gattin an seiner Seite spielen. | |
Einige Büsten der Hamburger Schau zeigen Livia mit Nodus, einem Haarknoten | |
über der Stirn, und geflochtenen Zöpfen – die Frisur der sich als | |
traditionell definierenden Römerin. Nach dem Tod Augustus’, den sie um 15 | |
Jahre überlebte, änderte sich das: Qua Testament ließ er sie in die | |
julische Familie adoptieren, befreite sie von der für Frauen üblichen | |
Vormundschaft und gewährte ihr das Recht auf öffentliche Ehrung. | |
Eine ambivalente Persönlichkeit also, dieser Augustus, der als Herrscher | |
respektiert, persönlich aber wohl weniger geschätzt wurde. Denn obwohl er | |
das Volk im öffentlichen Raum mit Bildnissen flutete, blieb die | |
Privatsphäre davon unberührt: Dort äußerte sich der neue Bilderboom in | |
Geschichten um den Weingott Bacchus und die Liebesgöttin Venus, wie | |
Fragmente pompejanischer Wandmalereien in Hamburg zeigen. Sogar eine böse | |
Karikatur des Aeneas-Mythos findet sich, auf der Augustus’ angebliche Ahnen | |
Hundsköpfe haben. | |
Perspektive der Herrschenden | |
Das sind ästhetische, lehrreiche Details, in die man sich gut vertiefen | |
kann. Aber hier liegt auch das Problem der Schau: Durch die fast serielle | |
Präsentation der Büsten und Skulpturen auf engem Raum re-inszeniert sie die | |
Augustueische Bilderflut quasi eins zu eins. Das wiederum verleitet zur | |
distanzlos-ehrfürchtigen Bewunderung nicht nur der Ästhetik, sondern auch | |
der einschüchternden Körpersprache der Kaiserstandbilder. | |
Und auch wenn die Ausstellung ausdrücklich nicht den historischen Rahmen, | |
sondern nur das Bild fokussiert, fehlt hier doch der Kontext: Was war das | |
für ein Regent, warum brauchte er viele Bilder? Das wird weder in der | |
Ausstellung noch im Katalog erklärt, das muss man selbst recherchieren. | |
Abgesehen davon erzählt die Schau Geschichte explizit aus Sicht der | |
Herrschenden. Eine solch affirmative Geschichtssicht ist längst nicht mehr | |
zeitgemäß. | |
5 Dec 2022 | |
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## AUTOREN | |
Petra Schellen | |
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