| # taz.de -- Deutsche Netflix-Miniserie „Barbaren“: Germania Gaga | |
| > Die Netflix-Miniserie „Barbaren“ bemüht sich um Detailtreue und ist | |
| > historisch sauber gearbeitet. Leider bleibt sie im „Terra X“-Schmodder | |
| > stecken. | |
| Bild: Barbaren: Folkwin (David Schütter, l.) und Berulf (Ronald Zehrfeld) | |
| Wer am Samstag in Coronazeiten im Hotel übernachtet, dem kann nach Stunden | |
| sonniger Lektüre mit Meerblick und einem frühen Küstenabendbrot schon mal | |
| ein kühner Gedanke kommen: Warum eigentlich nicht – fernsehen? So wie | |
| zuletzt vielleicht in den 90ern ohne größere Erwartungen loslegen und | |
| schauen, was da so läuft. Der Samstag ist insofern ein unfairer Tag dafür, | |
| weil von den Programmmachern erwartet werden darf, dass werberelevante | |
| Schichten sich saturday night draußen austoben – in normalen Zeiten | |
| jedenfalls. | |
| Aber die Zeiten sind ja nicht normal. Der TV-Abend läuft dann so, dass man | |
| sich gar nicht wutbürgermäßig über die [1][Abgabenverschwender] aufregt, | |
| sondern eher in so ein irres Kichern verfällt, denn es stimmt ja: Mit einem | |
| Joint wäre das alles vielleicht zu ertragen und sogar lustig, dieses Zappen | |
| zwischen „Silbereisen gratuliert: Das große Schlagerjubiläum“, „Schlag … | |
| Star“, allem möglichen lieblos runtergedrehten Krimimist, über die übliche | |
| Burgen- und Hitlers-letzte-Reste-Dokus bis hin zu einem nun offensichtlich | |
| total weggeblasen verfassten Drehbuch von „Tatort: Das Team“. | |
| Dieser kleine Vorspann verdeutlicht nur eine Selbstverständlichkeit: dass | |
| nämlich zu bezahlende Streamingdienste sich von diesem Niveau abheben | |
| müssen. Und ebendies gelingt der neuen Netflix-Serie „Barbaren“ nicht. Sie | |
| bleibt, abgesehen von ein bisschen sauberer Nacktheit hier und ein paar | |
| schmutzigen Enthauptungen dort im deutschen „Terra X“-Schmodder stecken und | |
| ist damit so überflüssig wie ein Suebenknoten. | |
| Womit wir beim grundsätzlichen und vielleicht sehr deutschen | |
| Missverständnis der Macher sind, was TV-Unterhaltung eigentlich ist – | |
| nämlich Unterhaltung, also Kunst und nicht Volkshochschule. Man kann ja | |
| anerkennen, dass „Barbaren“ sich um Detailtreue bemüht und | |
| historisch-ideologisch sauber gearbeitet ist; aber wenn man dabei dauernd | |
| einschläft, ist nichts gewonnen. Umgekehrt ist es so, dass Fehler wie | |
| Reiter mit Steigbügeln – eine Erfindung, die erst ein paar Jahrhunderte | |
| später nach Europa kam – ja nur verdeutlichen: Wir waren nicht dabei. Wir | |
| wissen nicht, was dieser Arminius, dieser Varus, diese Thusnelda rund um | |
| die Zeitenwende in einem Landstrich östlich des Rheins eigentlich wollten. | |
| [2][Wir interpretieren Quellen und schauen, was uns heute daran | |
| interessieren könnte]. | |
| ## Schullatein und Mittelaltermarkt | |
| Was uns „Barbaren“ in sechs Folgen erzählt, ist die mit familiären und | |
| freundschaftlichen Konstellationen austapezierte Geschichte vom Germanen | |
| Arminius, der, in Rom militärisch ausgebildet und kulturalisiert, sich zum | |
| Verräter wandelt und in der berüchtigten Varusschlacht im Jahr 9. n. Chr. | |
| wahrscheinlich beim heutigen Kalkriese bei Osnabrück den Römern eine | |
| Niederlage beschert. | |
| Die Römer reden Schullatein mit italienischem Akzent, die „Germanen“, die | |
| sich, in Stämme zerstritten, wie sie sind, gar nicht in der römischen | |
| Bezeichnung wiedererkennen, sprechen ein modernes Deutsch. Sie sind | |
| allgemein etwas schlapp, sehen so mittelaltermarktmäßig aus – irgendwie | |
| erwartet man, sie würden sich gleich ein Tabakpäckchen aus der Kutte holen, | |
| weil das alles so mühsam ist mit dem Barbarenleben. | |
| Die Schauspieler:innen, die sie verkörpern, sind durchweg schwächer als die | |
| Römer, meist sogar peinlich schwach – also nicht auf internationalem | |
| Niveau. Die Dramaturgie hat gähnende Längen und die Musik ist grauenhaft. | |
| Will man das Genre zeitgenössischer Sandalenfilm ernst nehmen, dann muss | |
| man sich mit von existenzialistischer Düsterkeit geprägten Produktionen wie | |
| „Der Adler der neunten Legion“ (2011) messen – da bleibt man dann auch | |
| wach, einfach weil es einen selbst angeht. Immerhin: Wenn der | |
| österreichische Burgschauspieler Laurence Rupp als ins Dorf zu seinen | |
| Jugendfreunden Zurückgekehrter sagt: „Ich heiße jetzt Arminius“ – dann … | |
| da ein Moment der Intensität und Glaubwürdigkeit, auf den sich in einer | |
| zweiten Staffel vielleicht aufbauen ließe. | |
| 28 Oct 2020 | |
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| ## AUTOREN | |
| Ambros Waibel | |
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