| # taz.de -- Ausstellung über „Germanen“: Todesverachtend und bisschen dumm | |
| > Rom rüstete Milizen aus, die die Drecksarbeit erledigten. Cäsar nannte | |
| > sie „Germanen“. Eine Ausstellung über Forschung und Zerrbild. | |
| Bild: Aus einem römischen Gefäß hergestellter „Schildbuckel“ – zur Ver… | |
| „Germanen. Eine archäologische Bestandsaufnahme“ ist der Titel einer neuen | |
| Ausstellung auf der Berliner Museumsinsel. Gezeigt werden mehr als 700 | |
| Exponate, entstanden zwischen dem 1. und 4. Jahrhundert n. Chr., aus | |
| Deutschland, Dänemark, Polen und Rumänien, darunter zahlreiche Neufunde und | |
| Leihgaben. Die Auseinandersetzung mit dem Thema ist wichtig; dass nun eine | |
| öffentliche Debatte geführt werden kann, ist der profunden Arbeit der | |
| Staatlichen Museen zu Berlin und dem LVR-Landesmuseum Bonn zu verdanken. | |
| Den Begriff „Germanen“ zu verwenden, ist allerdings problematisch, denn | |
| dieser ist lediglich eine antike völkerkundliche Erfindung und hat eine | |
| lange schwierige Geschichte von Missbrauch, Umdeutung und völkischem Wahn. | |
| Die Kurator*innen haben sich um Differenzierung und Abgrenzung von | |
| politischer oder wertender Vereinnahmung bemüht, trotzdem schreibt eine | |
| Ausstellung mit diesem Titel auch einen Mythos fort. | |
| Ein Highlight der Schau ist der umfangreiche und extrem differenzierte | |
| Werkzeug- und Materialbestand einer Schmiede. Hier werden zum einen | |
| verschiedene Hämmer, Schleifsteine und Feinwerkzeug zum Stauchen, Treiben, | |
| Lochen, Schleifen, Nieten und Feilen und zum anderen zur Weiterbearbeitung | |
| bestimmte Metallfragmente gezeigt. Feinschmiede bearbeiteten Edel- und | |
| Buntmetall, sie waren hoch spezialisierte Handwerker. Ein Beispiel für ihr | |
| Können ist der hier abgebildete Schildbuckel, der eigentlich aus einem | |
| massiven römischen Silbergefäß besteht und mit Pressblechen, Vergoldungen | |
| und Glaseinlagen weiter verziert wurde. | |
| ## Die Präsenz Roms | |
| Auffällig zum einen: Viele der gezeigten Werkzeuge und Alltagsgegenstände | |
| wären unseren Vorfahren noch Mitte des 19. Jahrhunderts vertraut gewesen. | |
| Die Lebensbedingungen und Techniken einer landwirtschaftlichen Gesellschaft | |
| haben sich zwischen der römischen Eisenzeit und der industriellen | |
| Revolution kaum verändert; auffällig zum Zweiten ist die ständige Präsenz | |
| Roms: Mannigfaltig schlagen sich die engen Beziehungen der Mitteleuropäer | |
| zur südlichen Großmacht in den Funden nieder, oft in Form von | |
| Grabinventaren reicher Männer und Frauen. | |
| Man sieht Gläser und Trinkbecher, Tafelgeschirr und Mischkrüge, alles | |
| Luxusware aus römischer Produktion. Die Eliten legten erkennbar Wert auf | |
| diese Importstücke. Auch der so kunstvoll weiterverarbeitete Schildbuckel | |
| aus Gommern ist zunächst ein wertvoller römischer Becher gewesen. | |
| Der Austausch mit der römischen Welt war im Krieg wie im Frieden intensiv. | |
| Nach der Eroberung Galliens durch Cäsar, der den Rhein zur Grenze zu | |
| „Germanien“ erklärte, begann beinahe 40 Jahre später Augustus mit der | |
| weiteren Expansion nördlich der Alpen. Eine imperiale Peripherie war | |
| entstanden. Der wirtschaftliche und politische Einfluss der römischen Welt | |
| prägte und veränderte Gesellschaften Hunderte Kilometer von ihren Grenzen | |
| entfernt. | |
| Das Ausmaß und die Tiefe dieser Entwicklung zeigt etwa das sogenannte | |
| Harzhornereignis, dessen Schlachtfeld zu den bedeutendsten Fundkomplexen | |
| der letzten Jahre gehört – ein Teil der spektakulären Funde ist in der | |
| Ausstellung zu sehen. | |
| In den 230er Jahren ereignete sich am südlich von Braunschweig gelegenen | |
| Harzhorn eine erbitterte Schlacht zwischen einer aus mehreren tausend gut | |
| ausgerüsteten und hochprofessionellen Soldaten bestehenden römischen Armee | |
| und unterlegenen lokalen Gegnern. Über zwei Jahrhunderte nach Tiberius | |
| sahen die Kaiser das heutige Niedersachsen offensichtlich noch immer als | |
| römischen Machtbereich, in dem man gegebenenfalls auch militärisch | |
| intervenierte. | |
| Um ihren Einfluss geltend zu machen, auch ohne dafür eigene Soldaten in die | |
| Schlacht zu senden, unterhielten römische Kommandeure enge Beziehungen zu | |
| Anführern jenseits der Grenzen. Man lieferte Gold, Prestigeobjekte, Nahrung | |
| und hochwertige Waffen zur Unterstützung lokaler Verbände, was sich massiv | |
| auf die politischen, sozialen und militärischen Verhältnisse auswirkte. | |
| Waffen aus dem römischen militärischen Apparat mit seinen eigenen, gut | |
| ausgebauten Produktionsstätten gelangten in großer Zahl in das heutige | |
| Norddeutschland und nach Dänemark. Die in Auswahl nun auch in Berlin | |
| gezeigten Funde aus dem Thorsberger Moor nahe Flensburg reichten für eine | |
| kleine Armee. Zaumzeug- und Sattelgarnitur, wertvolle Schwertgehänge und | |
| sogar römische Reitermasken standen den Kämpfern zur Verfügung. Man spricht | |
| in diesem Zusammenhang von Heeresausrüstungsopfern im Ostseegebiet. | |
| Erbeutete Ausrüstung wurde in Seen versenkt und so den Göttern geweiht. | |
| Glaubte man noch vor Kurzem an Barbarenbeute – zusammengerafft bei | |
| Plünderungszügen auf Reichsgebiet –, erklärt sich dieses Material viel | |
| besser im Zusammenhang mit der römischen Kontrolle der imperialen | |
| Peripherie. Wie die USA in Afghanistan oder die Türkei in Libyen, so | |
| rüstete auch Rom Milizen aus, die die schmutzige Arbeit vor Ort erledigten. | |
| Zu Recht betonen die Kurator*innen der Ausstellung, dass die gezeigte | |
| archäologische Bestandsaufnahme neue Erkenntnisse bringt. So war – entgegen | |
| der topischen, also nichtrealistischen Beschreibung – das Land rechts des | |
| Rheins nicht durchweg dunkler Wald. Durch Straßen und Wege verbundene | |
| Siedlungen lagen in Sichtweite zueinander, umgeben von einer offenen | |
| Landschaft mit Äckern und Wiesen. | |
| ## Hochproblematische Germanenrezeption | |
| Die Siedlungsdichte während der römischen Kaiserzeit ist für einige Gebiete | |
| heute recht genau fassbar; etwa in Sachsen-Anhalt, wo die Altmark dicht | |
| besiedelt war, während die eigentlich fruchtbare Magdeburger Börde im 3. | |
| und 4. Jahrhundert kaum Funde zeigt. Zusammenhängende Waldgebiete | |
| dominierten zum Beispiel die Mittelgebirgsregionen des Harzes. | |
| Der zweite Teil der Schau „Germanen – 200 Jahre Mythos, Ideologie und | |
| Wissenschaft“ im sogenannten Vaterländischen Saal des Neuen Museums | |
| thematisiert die oft hochproblematische Germanenrezeption des 19. | |
| Jahrhunderts. Der „Fries der nordischen Mythen“ wird dabei zum Teil der | |
| Ausstellung. 1855 eröffnet, wollte dieser Saal die „Germanen“ und ihre | |
| Mythologie als Vorfahren der modernen Deutschen zeigen. Die Darstellung der | |
| Sicht auf diese „Germanen“ und ihre vornehmlich von den | |
| hochmittelalterlichen Skandinaviern geborgte Mythologie ist gut durch die | |
| Sammlungsgeschichte des Museums für Vor- und Frühgeschichte dokumentiert. | |
| Die Ausstellung geht von der These aus, dass der Germanenbegriff anwendbar | |
| bleibt, um die ähnliche oder gemeinsame Sachkultur weiter Gebiete zu | |
| fassen. Darüber lässt sich streiten. Rechts des Rheins bis zur Weichsel und | |
| nördlich der Donau bis zur Schwarzmeerküste lebte zwischen dem 1. und dem | |
| 4. Jahrhundert n. Chr. eine Vielzahl von Gemeinschaften, für die erst Cäsar | |
| die Sammelbezeichnung „Germanen“ einführte. | |
| Diese Wilden waren – so die literarischen Bilder – todesverachtend, tapfer | |
| und ein bisschen dumm. Ein Bewusstsein gesamtgermanischer Identität hat es | |
| jedoch nie gegeben, daran änderte auch die beinahe verzweifelte Suche | |
| deutschtümelnder Wissenschaftler und Scharlatane nichts – bis heute. | |
| ## Zu unpräzise, zu künstlich | |
| Nach Cäsar und Tacitus verschwand der Begriff ohnehin aus den antiken | |
| Quellen – er war einfach zu unpräzise, zu künstlich. Chauken oder Friesen, | |
| Semnonen, Cherusker und Markomannen waren in relativ kleinen Verbänden | |
| organisiert. Ab dem 3. Jahrhundert formierten sich – immer unter römischem | |
| Einfluss – neue Großverbände: Franken, Sachsen und Alemannen, Goten und | |
| Vandalen – Namen, die während der turbulenten Spätantike zu Prominenz | |
| gelangen sollten. | |
| Erst als man im späten 15. Jahrhundert die „Germania“ des Tacitus druckte, | |
| wurde ein eigentlich fast vergessener Germanenbegriff wiederbelebt. Ein | |
| Zombie erstand. Früh begann eine emotionale Aufladung, gespeist von | |
| Minderwertigkeitskomplexen und einer vornationalen politischen Agenda. | |
| Frühneuzeitliche Gelehrte sahen in den wilden „Germanen“ nur zu gerne die | |
| glorreichen Vorfahren der Deutschen ihrer Tage. Wenn italienische und | |
| französische Humanisten sich auf römische Wurzeln beriefen, schlugen die | |
| Deutschen mit neuen Germanenbildern zurück. | |
| Auch die religiösen Verhältnisse spielten eine Rolle: Die Glaubenskonflikte | |
| der Zeit führten dazu, dass mancher Autor Rom mit der katholischen und die | |
| Germanen mit der freien protestantischen Kirche identifizierte. So | |
| entstanden recht grobe und dumpfe Bilder eines deutsch-germanischen Wesens | |
| – Verzerrungen, die bis heute nachwirken. Warum also verzichtet die | |
| Ausstellung nicht ganz auf den Begriff Germanen? Aus historischer und | |
| archäologischer Sicht wäre das kaum ein Problem – im Gegenteil. | |
| 29 Sep 2020 | |
| ## AUTOREN | |
| Roland Steinacher | |
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