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# taz.de -- Kolumne Mittelalter: Vandalen und andere Flüchtlinge
> Barbarische Bedeutungsverschiebungen: Kann man aus der Geschichte etwas
> lernen? Eher nicht. Außer vielleicht eines: Es geht immer weiter.
Bild: Alltag in Idomeni: Ein Mädchen im von HelferInnen organisierten Englisch…
Wen sie nicht verstehen wollten, den nannten Römer und Griechen einen
Barbaren. Als diese in der Spätantike verstärkt nach Aufnahme ins Römische
Reich drängten, wandelte sich der Begriff: Aus barbarisch für „fremd“ wur…
zunächst „wild“ und dann „tapfer“, wie heute noch im Englischen („br…
oder Italienischen („bravo“). Anders die Deutschen: Hierzulande hat man
einen wohl unaufhaltsamen Drang zur „Bravheit“.
Aber wer weiß: Vielleicht werden auch Worte wie „Flüchtling“ oder
„Migrationshintergrund“ irgendwann ihren mitleidigen oder negativen
Anstrich verlieren und im Gegenteil für das stehen, was etwa in Sachsen in
den letzten Jahrzehnten versäumt wurde zu vermitteln: Interkulturelle
Kompetenz, Aufgeschlossenheit, Mut zum Aufbruch, Lernwille,
Zweisprachigkeit – ebenjene Eigenschaften, die das kürzlich veröffentlichte
Foto eines Flüchtlingsmädchens im griechischen Idomeni wunderschön zeigte:
Mit freudiger Aufmerksamkeit, die Augen und bestimmt auch die Ohren weit
geöffnet, Stift und Block in der Hand, verfolgte sie den von Freiwilligen
organisierten Unterricht.
Die Sache mit den barbarischen Bedeutungsverschiebungen fand ich in einem
Buch, für das ich mir in den letzten Wochen einige skeptische Blicke der
neben mir liegenden Liebsten einfing. Die abendliche Lektüre von Roland
Steinachers „Die Vandalen – Aufstieg und Fall eines Barbarenreiches“ ist
gegen den Vorwurf des totalen Nerdtums aber auch einfach sehr schlecht zu
verteidigen.
Da half es dann nichts, dass eine schon ältere taz-Meldung plötzlich viral
wurde, nach der im Lippischen „Vandalen, also Angehörige eines germanischen
Volkes, dessen Spuren sich im 6. Jahrhundert verloren haben“, das
Vereinsheim eines Tennisclubs beschmiert und so 500 Euro Sachschaden
verursacht hätten.
## Vandalen und blühende Landschaften
Warum es mehr als lustig oder irr sein kann, sich mit den Vandalen zu
beschäftigen, zeigt sich vielleicht an der spätantiken Mindestlohndebatte:
„Ein römischer Rekrut kostete im 5. Jahrhundert sechs mal so viel wie ein
barbarischer“, schreibt Steinacher. Er kennzeichnet die Vandalen als
Spezialisten der Kriegsführung, nach denen einerseits Bedarf als Söldner
bei den chronischen Machtkämpfen innerhalb der römischen Eliten bestand,
die aber andererseits nichts mehr anstrebten, als sich als
gleichberechtigte Bürger zu integrieren.
Das gelang ihnen auch: Sie nahmen sich mit dem heutigen Tunesien eine der
reichsten Provinzen, aus der sie 100 Jahre später wieder vertrieben wurden.
Während aber die Vandalen das Land zum Blühen brachten, war die Gegend rund
um Karthago nach dem als humanitäre Intervention getarnten römischen
Gemetzel eine menschenleere Wüste: Das Mittelalter konnte beginnen.
Ihren schlechten Ruf bekamen die Vandalen dann übrigens erst zur Zeit der
Französischen Revolution zugewiesen – als Invektive eines Bischofs gegen
radikale Jakobiner, die Kirchen plünderten. An diesem negativen Etikett,
schreibt Steinacher, konnten auch Proteste deutschsprachiger Gelehrter
nichts mehr ändern: Was dann ja doch irgendwie auch tröstlich ist.
12 May 2016
## AUTOREN
Ambros Waibel
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