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# taz.de -- Ausstellung in Trier: Bruder Nero
> Eine „Nero“-Ausstellung widmet sich dem berüchtigten Herrscher, Dichter
> und Pyromanen – einem bemerkenswert modernen Zeitgenossen.
Bild: „Hast Du die wirklich alle umgebracht?“ Malu Dreyer, Ministerpräside…
Die Leute mochten ihn. Die Leute, das heißt: der „populus romanus“, der
dann mit der Zeit zum „Pöbel“ erklärt wurde – genau wie sein Held, der
junge, strahlende Kaiser, zum sexbesessenen Tyrannen.
Und kein Wunder, dass sie ihn mochten! War Nero doch ein Populist, einer,
der dem Volk nahestand – und seinem als niedrig geltenden Bedürfnis nach
Brot und Spielen.
Mehr als die Leute liebte Nero nur die Kunst beziehungsweise – fatales
Missverständnis seit Jahrtausenden – die Idee von sich selbst als Künstler:
Schon als jeder in Rom wusste, dass der Putsch gegen ihn unmittelbar
bevorstand, blieb Nero konzentriert beschäftigt mit der Verbesserung einer
Wasserorgel zur gurgelnden Untermalung der Gladiatorenkämpfe und anderer
böser Spiele.
Angeblich; wie immer, wenn es um Nero geht, alles angeblich ist, aus
zweiter Hand bestenfalls. Niemand, der sein Leben und Sterben beschrieben
hat, hat Nero leben oder sterben gesehen oder auch nur zur gleichen Zeit
gelebt. Alles schriftlich Überlieferte ist mit Emotion – meist negativer –
und Absicht – überwiegend schmähender – versetzt.
## Skandalkaiser
Dass allerdings die Leute Nero mochten, dafür gibt es handfeste Zeugnisse.
Die Trierer Ausstellung „Nero: Kaiser, Künstler und Tyrann“ zeigt
Verschenkmünzen und mit dem Porträt des Skandalkaisers geschmückte
Kosmetikspiegel.
Römer wie Griechen liebten an ihrem jungen Imperator, dass er nicht nur die
Steuern senkte und großartige Spektakel veranstalteten ließ, sondern dass
er auch selbst mitspielte: als Sportler und Wagenlenker, vor allem aber als
Sänger und als Mime.
Und doch ist es nicht unproblematisch, wenn der Tyrann sich zugleich als
Künstler betätigt. Das stellt die Autorin Marija Karaklajić in einer
Theaterperformance des Trierer Schauspiels im Begleitprogramm der
Ausstellung dar- und lässt Nero sprechen:
„Meine Spitzel lauern den Senatoren und Tribunen auf, spähen ihre
Gesichtsausdrücke aus, notieren und merken sich alles. Meine Soldaten
stehen entlang der Reihen, kümmern sich um die Intensität des Applauses,
feuern die Zuschauer an, schlagen diejenigen, die schlappmachen. Siehe, der
römische Ritter Quintus Silius schließt die Augen, sein Kopf fällt, der
römische Ritter langweilt sich. In zwei Tagen wird der römische Ritter
Quintus Silius nachts eine Trinkstube verlassen, um nach Hause zu gehen,
doch drei Gardisten werden ihm auflauern, ihn verprügeln, mit Schwertern
durchstoßen und seinen Körper in die Kloake werfen.“
Auf diese Weise dargestellt, als wahnsinnig-weinerlicher [1][Peter Ustinov]
in der „Quo vadis“- Verfilmung das brennende Rom mit der Leier besingend,
ist Nero seit Langem die Rettung verregneter Karfreitage und nicht enden
wollender vorweihnachtlicher Bescherungserwartungen; und nur weil er noch
immer ein lebendiger Teil der Populärkultur ist, auch wenn kaum mehr
scharfe Hunde nach ihm benannt werden, gibt es nun diese erste, große und
bemerkenswerte Ausstellung über ihn.
Denn mit Trier – bestätigt etwas missgelaunt ein Antiquar in der
ehrwürdigen Innenstadt auf die Frage einer älteren Dame, welches
„Nero-Andenken“ sie denn einem kulturell interessierten Bekannten („Er
liest alte Bücher!“) aus Trier mitbringen könne – mit Trier hat Nero
schlicht gar nichts zu tun.
Die Idee, sagt dann auch Marcus Reuter, Direktor des veranstaltenden
Rheinischen Landesmuseums, sei ihm schon vor Jahren noch an seiner alten
Arbeitsstelle in Xanten gekommen. Umfragen im Bekanntenkreis, aber auch in
der Öffentlichkeit hätten dann bestätigt, dass der große Zündler Nero
jemand sei, für den auch Leute ins Museum gingen, die sonst für einen
Besuch nicht gerade Feuer und Flamme wären.
Kommen müssen sie auch, denn ohne die Massen funktionieren Events dieser
Größe nicht: Mindestens 150.000 Besucher müssen in den nächsten Monaten
durch die Räume des Landesmuseums geschleust werden – und zwar, damit genug
Platz ist, in maximal zwei Stunden. Gerade die treue Ü60-Generation
vermisst da im Gästebuch schmerzlich Sitzgelegenheiten, man denke aber an
Nachbesserung, versichert Marcus Reuter.
Müsste aber gar nicht unbedingt sein. Denn das Gelungene an dieser Show ist
eben ihr Showcharakter. Ist Neros Hauptbotschaft doch: Es ist Frieden –
Lasst uns mehr Muße wagen!
Was nicht ausschließt, dass er nach dem Brand Roms – den er, legt die
Ausstellung nahe, wohl nicht gewollt hat –, den Obdachlosen tatkräftig
hilft, aber eben auch den Oscar-Wilde-mäßigen Satz gesagt haben soll: „Nun
fange ich endlich an, wie ein Mensch zu wohnen“: Denn auf der Tabula rasa
Roms konnte er seinen goldenen Traumpalast errichten, den die Ausstellung
in einem der zahlreichen Kabinette sehr schön vergegenwärtigt. Unbedingt
sehenswert sind auch die sonst in einem römischen Museumsdepot verwahrten
zerschmolzenen Eisengitter, die jedenfalls eines bezeugen: Rom hat im Jahr
64 n. Chr. tatsächlich ganz schön gebrannt.
## Spaßbremsenverfolgung
Es ist angenehm, in einer hysterischen Gegenwart, in der die antike
Zivilisation vor allem von ihrem sogenannten Untergang durch
Barbarenschwemmen her diskutiert wird, einen lebensfrohen, jungen Dandy
präsentiert zu bekommen, der Frauen wie Männer liebte und sogar wissen
wollte, ob er nicht selbst schwanger werden könnte.
Dass Nero Christen in blutige Tierhäute einnähen und den wilden Tieren
vorwerfen ließ; dass er seine erste Frau, seine zweite Frau, seine Mutter,
seinen Stiefbruder, den heiligen Petrus und den heiligen Paulus ermorden
sowie seinen Geliebten kastrieren ließ und seinen Lehrer Seneca in den
Selbstmord trieb – das waren Pathologien, die vielleicht nicht ausbleiben
können, wenn man mit 17 vergöttlichter Herrscher der Welt wird.
Andere vermeintliche Künstler haben in Führungspositionen weit
abscheulichere Verbrechen begangen. Nero ist der Märchenkönig Roms, der
Ludwig II. der Ewigen Stadt, der keine Gnade walten lassen konnte, wenn
jemand sich nicht in seine künstlerische Gesamtkonzeption einfügen wollte:
Die Christenverfolgung war nicht zuletzt eine Spaßbremsenverfolgung.
Nero, auch das macht die Ausstellung deutlich, war den Eliten letztlich
nicht blutrünstig genug. Der römische Senat, eine Art antike [2][Initiative
Neue soziale Marktwirtschaft], wollte Krieg und Sklaven und Gold und
ummantelte seine brutalstmögliche Raffgier mit hehren Sprüchen über
altrömische Tugenden. Man begreift das spätestens am Ausgang, wenn die
fragmentarisch erhaltene Büsten der um Neros Nachfolge kämpfenden Generäle
gezeigt werden: Zwei wehrmachtartige Bullenbeißer stehen da, die sich
ähnlich genug sahen, dass der siegreiche Vespasian die Büsten seines
unterlegenen Widersachers mit ein paar Steinmetzklopfereien auf sich
umlabeln lassen konnte.
Neros Hipster- und Friedenskaisertum blieben Episode. In späteren
Jahrhunderten, als Rom mehr und mehr in Bedrängnis geriet, erinnerte man
sich aber an die glücklichen Zeiten und prägte neue Gedenkmünzen, während
die „Teufelsgeburt“ Nero – heute würde man von Beckenendlage sprechen �…
Mittelalter selbstverständlich als Verkörperung alles Bösen galt.
Wer mit der Ausstellung durch ist, sollte sich dann unbedingt noch Zeit
nehmen, die Bestände des Rheinischen Landesmuseums zu besichtigen. Trier
war ein Zentrum der römischen Welt, und wenn man von Berlin aus auch sieben
Stunden mit dem Zug unterwegs ist: Näher als dort kann man dem, was Rom
war, an kaum einem anderen Ort in Europa kommen.
27 May 2016
## LINKS
[1] https://www.youtube.com/watch?v=_EVZwTMmk8c
[2] http://www.insm.de/insm.html
## AUTOREN
Ambros Waibel
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