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# taz.de -- Spätrömischer Kaiser Marc Aurel: Der starke Mann von vorgestern
> Kaiser Marc Aurel war Feldherr, Philosoph und hatte elf Kinder: Wie
> schaut man heute auf ihn? Das zeigt eine große Doppelausstellung in
> Trier.
Bild: Auch Helmut Schmidt war Fan vom „Philosophenkaiser“: Büste Marc Aurel
Herrscher sitzen gern auf dem hohen Ross. Wortwörtlich: Das Reiterdenkmal
ist eine der beliebtesten Darstellungsformen von Staatsführern. Im 17.
Jahrhundert ließ sich Kurfürst Friedrich Wilhelm der Große von Brandenburg
mit wehendem Cape auf einem Tier verewigen, das dynamisch den rechten
Vorderlauf hebt. Die Haarpracht des Sonnenkönigs Ludwig XIV. liegt elegant
onduliert auf seiner linken Schulter, während er auf einer ebenfalls im 17.
Jahrhundert entstandenen Statuette einhändig auf seinem Pferd thront, das
graziös mit dem linken Huf auf den Triumphparcours zu starten scheint.
Auf Simon Meisters Gemälde „Napoleon zu Pferde“ von 1832 ist der Schimmel
so weiß wie des Kaisers Gehrock und seine Reiterhosen, einhändig hält er
das Halfter, sein anderer Arm ruht auf der Hüfte: Auch er scheint seinen
Gaul mindestens ebenso lässig im Griff zu haben wie seinen Staat. Und aus
dem 9. Jahrhundert existiert eine Reiterstatuette von – wahrscheinlich –
Karl dem Großen. Der Kaiser (oder Karl der Kahle) hockt mit Lilienkrone und
Mantel ein klein wenig steif auf dem Pferd, trägt rechts sein Schwert und
lenkt sein Reich mit links.
All diese Darstellungen sollen Zuversicht in ein System vermitteln,
Vertrauen in den Menschen, der auch im übertragenden Sinn die Zügel in der
Hand hält. Und: All diese Darstellungen basieren auf dem aus dem 2.
Jahrhundert nach Christus stammenden Reiterdenkmal des „Philosophenkaisers“
Marc Aurel, dem seit Sonntag eine umfassende Doppelausstellung im
Rheinischen Landemuseum Trier sowie im Stadtmuseum Simeonstift Trier
gewidmet ist.
Der 121 nach Christus geborene und 180 verstorbene Marc Aurel war ein
Tausendsassa, so vermitteln es die auf 1.600 Quadratmeter verteilten 400
Exponate, darunter viele Leihgaben aus europäischen Museen. Neben seinen
Erfolgen und seiner Beliebtheit als Feldherr und Staatsführer glänzte er
durch seine ursprünglich nur als Notizen für sich selbst verfassten
Gedanken und Aphorismen, die unter dem Titel „Selbstbetrachtungen“ bis
heute ein Bestseller sind.
Immer wieder geht es in diesen nach der Lehre der Stoa entworfenen
Weisheiten um Gerechtigkeit, darum, dass die die Gemeinschaft wichtiger als
die Persönlichkeit ist: „Erdulde und verzichte für ein tugendhaftes Leben�…
mahnt er sich etwa, „sei besonnen und tapfer für dich selbst, aber auch
gerecht und klug für die Gemeinschaft.“ Oder, versonnener: „Die Zeit, wo du
alles vergessen hast, ist nah, nahe auch die Zeit, wo dich alle vergessen
haben.“
## Der Adoptivkaiser
Doch war Marc Aurel, der in einer Zeit der „Adoptivkaiser“ (im Gegensatz
zur blutsverwandtschaftlich ererbten Macht) zunächst lange als „Kronprinz“
für die Thronfolge ausgebildet wurde, ein „idealer Herrscher“? Und was
macht überhaupt einen solchen aus? Der Ausstellungsteil im Landesmuseum mit
der Unterzeile „Kaiser, Feldherr, Philosoph“ widmet sich zunächst Marc
Aurels privatem und öffentlichem Leben, seiner Familie, seinem Werdegang
und der historischen Epoche.
Sie beschreibt die bis heute nicht ganz analysierte „Antoninische Pest“ und
die Markomannenkriege, zeigt Büsten, Münz- und andere Bildnisse und
dokumentiert private Konversationen zwischen Marc Aurel und seinem Lehrer,
dem römischen Rhetoriker Cornelius Fronto: „Unsere Faustina ist auf dem Weg
der Besserung. Unser kleines Küken Antoninus hustet etwas weniger“,
schreibt Marc Aurel an Fronto über den Gesundheitszustand von zweien seiner
elf Kinder und klingt dabei wie ein besorgter Kita-Vater.
Überdies kann man den Erfolgsweg der „Selbstbetrachtungen“ bis in die
Gegenwart verfolgen – [1][auch Helmut Schmidt,] Besitzer einer
Marc-Aurel-Reiterstatuette, war Fan. Zwei der wenigen in der Ausstellung
präsenten kritischen Stimmen stammen von zeitgenössischen Frauen, einer
Historikerin und einer Philosophin, die seine Brutalität gegenüber den
Germanen erwähnen und seine Philosophie als morbide bezeichnen. Mit Hinweis
auf die Christenverfolgung, die in Marc Aurels Zeit stattfand, kritisiert
ihn auch Richard David Precht.
Im Stadtmuseum Simeonstift, das sich eng an die (unter Marc Aurels Ägide)
von den Römern errichtete Porta Nigra schmiegt, schürft man noch tiefer:
Die Unterzeile „Was ist gute Herrschaft?“ deutet an, dass es theoretisch
wird – nichtsdestotrotz hat man sich Mühe gegeben, auch hier visuell zu
wirken. Anhand des Reiterdenkmal-Monumentenvergleichs kann man über die
Wechselbeziehung zwischen Darstellendem und „Volk“ nachdenken – gab es
überhaupt je einen Herrscher, eine (seltene) Herrscherin, der oder die sich
nicht in Siegerpose darstellte? Die Fragen, wer beurteilt, was eine „gute
Herrschaft“ ist, wer darüber aus welcher Perspektive spricht und wer das
Recht hat, das zu entscheiden, sind zentral – an den Titelzusatz „Dei
Gratia“, „von Gottes Gnaden“, sollten Krönungszeremonien aktueller
König:innen höchstens noch symbolisch erinnern.
## „Stärke“, „Gerechtigkeit“ und „Klugheit“ feiern mit
Ein Raum präsentiert wuchtvoll-allegorische Bilder herrschaftlicher
Idealvorstellungen, etwas die „Allegorie eines guten Stadtregiments“, ein
Holzschnitt von 1560, auf dem die „Gerechtigkeit“, der „schlafende Friede…
die „öffentliche Angelegenheit“ und die „Freigiebigkeit“ als Personen
dargestellt sind. Auf Jean-Baptiste Jouvenets buntem Großgemälde „Der
Triumph der Gerechtigkeit“ von 1713 erhebt die „Religion“ den Kelch, ihre
Freundinnen „Stärke“, „Gerechtigkeit“ und „Klugheit“ feiern mit.
Und auch auf Gaspare Venturinis „Allegorie der Guten Regierung“ von
[2][1592 tummeln sich Frauenfiguren]. Tatsächlich wurde Frauen jedoch
jahrhundertelang das Regieren verboten beziehungsweise nur in
allegorischer Form zugetraut. Jene bis heute andauernde genderbasierte
Ungleichheit thematisiert die Ausstellung ebenfalls.
Bei der „Selbstdarstellung der Demokratie als gute Regierung“ wird es
konkreter und moderner: Fotos vom walisischen oder flämischen
Parlamentsgebäude, von Orten der Demokratie in Deutschland wie dem
Reichstag, dem Berliner Schloss oder dem Palast der Republik umrahmt ein
Diskurs über die Attraktivität der Demokratie. Denn die war zu Zeiten Marc
Aurels, auch danach noch bis ins 20. Jahrhundert negativ behaftet: Nach
Aristoteles’ Politik ist die anzustrebende Herrschaft eine Monarchie,
gefolgt von der „Aristokratie“, der Herrschaft der „Besten“ – die
Demokratie als „Herrschaft der Armen und Vielen“ sei der fatale
Gegenentwurf dazu. Und ein Schaubild mit aktuellen, weltweiten politischen
Herrschaftsformen bestätigt: So weit verbreitet, wie man hier denkt, ist
das mit der parlamentarischen Republik beileibe nicht.
Am Ende kann die vielseitige Show dennoch kaum mit den rasanten und
verstörenden Entwicklungen der Weltpolitik mithalten – ein Foto des „Sturms
auf das Kapitol“ hängt zwar neben dem [3][Sturm auf den brasilianischen
Regierungssitz] und den von Reichsbürgern, Rechtsextremen und Schwurblern
versuchten „Sturm“ auf den Reichstag im Sommer 2020. Aber wie passend wäre
ein Bild einer aktuellen Anti-Trump-Demonstration, auf denen
Teilnehmer:innen „No Kings!“ fordern. Und welches Aperçu Marc Aurel
wohl zu dem Jens Spahn vorgeworfenen Handeln als „Team Ich“ anstatt als
„Team Staat“ beim Maskenkauf ausgepackt hätte? Er wäre wohl „not amused…
gewesen.
Die Ausstellungsbegehung fand im Rahmen einer Pressereise der
Generaldirektion Kulturelles Erbe Rheinland-Pfalz statt.
17 Jun 2025
## LINKS
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## AUTOREN
Jenni Zylka
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