# taz.de -- „Hans Jonas Handbuch“: Philosophie des Lebens | |
> Ein Buch widmet sich dem Philosophen Hans Jonas. Dessen „Prinzip | |
> Verantwortung“ gilt als eine systematische Grundlage der ökologischen | |
> Bewegung. | |
Bild: Der Philosoph Hans Jonas (1903-1993) | |
Kein Zweifel: Des Philosophen Ernst Bloch – er wurde 1895 in Ludwigshafen | |
geboren, ging nach seiner Remigration aus den USA in die DDR, um 1961 in | |
die Bundesrepublik zu flüchten – 1959 erschienenes „Prinzip Hoffnung“ war | |
eines der Grundlagenwerke der deutschen 1968er-Bewegung. Anders ist es um | |
eine der systematischen Grundlagen der ökologischen Bewegung bestellt: um | |
das 1979 publizierte Werk „Prinzip Verantwortung. | |
Versuch einer Ethik für die technologische Zivilisation“ des 1903 in | |
Mönchen-Gladbach geborenen Hans Jonas. Während Ernst Blochs Leben und Werk | |
im kulturellen Leben nicht nur deutschsprachiger Länder bestens bekannt | |
sind, kann davon im Falle von Hans Jonas – eines lebenslangen Freundes von | |
Hannah Arendt – keine Rede sein. | |
Umso mehr ist zu begrüßen, dass das im Metzler Verlag erschienene, unter | |
anderem von Michael Bongardt und Jürgen Nielsen-Sikora – beide lehren | |
Philosophie in Siegen – herausgegebene „Hans Jonas Handbuch“ diese Lücke | |
endlich schließt. | |
Als Jonas – bereits über siebzig Jahre alt – sein „Prinzip Verantwortung… | |
publizierte, hatte er ein erfülltes Leben hinter sich: als Student von | |
Martin Heidegger und Rudolf Bultmann, [1][Freund von Hannah Arendt, | |
jüdischer Emigrant] in Palästina und Soldat der israelischen Armee, sodann | |
als Professor in Ottawa und New York sowie München. | |
## Verantwortung für die Schöpfung | |
Über all dies informiert das Handbuch ebenso gründlich wie nachvollziehbar | |
und unterscheidet sich gleichwohl grundlegend von anderen, im selben Verlag | |
erschienenen Handbüchern – etwa zu Adorno, Heidegger, Hegel, Nietzsche und | |
Habermas. | |
Und zwar nicht nur dadurch, dass es sich ZeitgenossInnen, Bezugsquellen, | |
Kontexten und Stichworten in einzelnen Beiträgen zuwendet, sondern auch | |
dadurch, dass es jedes einzelne Hauptwerk ebenso wie die wichtigsten, | |
disparat erschienenen Aufsätze und den Briefwechsel mit prägenden | |
Bezugspersonen ausführlich und kritisch darstellt. | |
Dabei wird klar, aus welchen systematischen Quellen sich eine Philosophie | |
der Verantwortung für die Schöpfung speist: Die in den 1920er Jahren in | |
Marburg lehrenden Philosophen und Theologen Martin Heidegger sowie Rudolf | |
Bultmann hatten so gut wie keine jüdischen HörerInnen – mit Ausnahme von | |
[2][Hannah Arendt], die eine Zeit lang Heideggers Geliebte war. | |
Jonas selbst wurde 1928 von Martin Heidegger und dem evangelischen | |
Theologen Rudolf Bultmann – er gehörte in der NS-Zeit der Bekennenden | |
Kirche an – mit einer Arbeit über eine spätantike Religion, die „Gnosis�… | |
promoviert: einer Form des Christentums, das die hebräische Bibel ablehnte, | |
da sie die Schöpfung und deren Urheber als grundsätzlich schlecht ansah und | |
Rettung alleine von einem radikal jenseitigen, ganz anderen Gott erhoffte. | |
## Philosophie der Biologie | |
Jonas’ systematische Kritik einer religiösen Form von Welt- und | |
Schöpfungsverachtung führte ihn mit einer gewissen Folgerichtigkeit zu | |
einer Philosophie der Biologie, einer Philosophie des Lebens: sein 1967 | |
publizierter Sammelband „The Phenomenon of Life“ erschien 1973 auf Deutsch | |
unter dem Titel „Organismus und Freiheit.“ | |
Darin entwickelt Jonas – so der vorzügliche Beitrag von Horst Gronke – eine | |
Philosophie intentionaler Lebewesen, des „auf Zwecke gerichteten, sich um | |
seine Existenz, seine Selbsterhaltung und Freiheit sorgenden Organismus“. | |
Gegen ein platt naturwissenschaftliches Bild der Welt rehabilitiert Jonas | |
hier den Gedanken der Teleologie gegen eine nur auf Kausalitäten setzende | |
Naturwissenschaft. | |
Die in Italien lehrende Philosophin Angela Michelis erörtert zudem in ihrem | |
Grundsatzbeitrag, dass und wie das „Prinzip Verantwortung“ zugleich eine | |
Kritik der Utopie impliziert und Einsichten zur Debatte stellt, die erst | |
heute als allgemeingültig anerkannt werden. | |
Schrieb doch Jonas schon 1973: „Wir können uns im Weltdurchschnitt eine | |
Steigerung des Wohlstandes nicht mehr leisten […] Für die entwickelten | |
Länder bedeutet das Verzichte, denn die Hebung der unterentwickelten kann | |
nur auf ihre Kosten stattfinden […] Auch die rücksichtsloseste | |
Neuverteilung des global schon bestehenden Reichtums bzw. der ihm | |
gewidmeten Produktionskapazitäten (die aber friedlich gar nicht vorgenommen | |
werden könnte) wäre nicht genug für die Hebung des Lebensstandards der | |
verarmten Weltteile, die das bloße Elend abschaffen würde.“ | |
## Zwischen „Hoffnung“ und „Verantwortung“ | |
Jonas’ „Prinzip Verantwortung“ fand bald, wie der Philosoph Dietrich Böh… | |
feststellt – er ist der Transzendentalpragmatik Karl Otto Apels | |
verpflichtet –, eine diskursethische Weiterführung im Postulieren einer | |
„orientierungsrelevanten und normativ bindenden Selbsterkenntnis des | |
Menschen sowohl in Bezug auf die Natur als auch in Bezug auf die | |
technologische Zivilisation“. | |
Werkgeschichtlich ist inzwischen geklärt, dass sich Jonas’ „Prinzip | |
Verantwortung“ explizit gegen Blochs „Prinzip Hoffnung“ richtete – obwo… | |
wie Rainer Zimmermann im Handbuch zu zeigen versucht, beide Philosophen | |
metaphysische Defizite teilten: vor allem, was ihre Behandlung von Sein und | |
Nichts angehe. Dem mag sein wie auch immer: Für die politische Linke ist | |
nach wie vor zu klären, wie sie es mit dem Gegensatz von Bloch und Jonas | |
hält. | |
Ist „Hoffnung“ ohne „Verantwortung“ denkbar – oder „Verantwortung�… | |
„Hoffnung“? Tatsächlich hat ja Ernst Bloch immer wieder darauf hingewiesen, | |
dass „Hoffnung“ nicht dasselbe ist wie „Zuversicht“. Indem sich jede | |
Hoffnung ihres möglichen Scheiterns bewusst ist, so ließe sich sagen, | |
enthält sie auch stets ein Element der „Verantwortung“. | |
Bloch jedenfalls kritisierte ein Naturverhältnis, gemäß dem „der Mensch in | |
der Natur wie im Feindesland steht“ und ersehnte eine konkrete | |
„Allianztechnik.“ Dass er darunter jedoch die Atomtechnik verstand, scheint | |
Jonas am Ende dann doch recht zu geben. | |
19 Jan 2022 | |
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## AUTOREN | |
Micha Brumlik | |
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