| # taz.de -- Philosoph über die Seele von Pflanzen: „Eine schöne Eiche, di… | |
| > Berge und Flüsse haben eine Seele, sagt der Philosoph Andreas Weber. Er | |
| > erklärt, wie unsere eigene Essbarkeit demütig macht und warum er Bäume | |
| > umarmt. | |
| Bild: Hunde umarmen okay, aber lässt sich so auch der Planet spüren? Der Phil… | |
| wochentaz: Herr Weber, Ihr Lebensthema ist, die [1][Gefühle in die Ökologie | |
| zurückzuholen]. Gerade protestieren Landwirte mit Plakaten wie „Bauern for | |
| Future“ [2][erregt gegen einen Klimaminister]. Umweltschutz war selten so | |
| ein emotionales Thema wie in diesen Tagen. | |
| Andreas Weber: Dabei ist eigentlich schon das Wort Umweltschutz Teil des | |
| Problems. | |
| Wie bitte? | |
| Der Begriff Umwelt stellt uns Menschen in einen Gegensatz zu etwas anderem, | |
| genannt Natur. Die Natur wird so zu einem Objekt. Selbst bei der | |
| Umweltbewegung ist das so, nur dass die Natur bei ihr eben nicht | |
| ausgebeutet, sondern geschützt werden soll. | |
| Sie sehen sogar die Umweltbewegung kritisch? | |
| Generell ist mein Herz mit allen, die sich für die Verbesserung des Lebens | |
| auf diesem Planeten einsetzen. Aber wir können die ökologische Krise nicht | |
| mit derselben Art des Denkens lösen, die maßgeblich zu ihrem Entstehen | |
| beigetragen hat. Es ist wichtig zu begreifen, dass das moderne Denken zu | |
| einer Verdinglichung der Welt geführt hat. Alles außerhalb des Menschen | |
| wird nicht mehr als Subjekt mit eigener Erfahrung wahrgenommen. Pflanzen, | |
| Tieren, aber auch Flüssen, Seen, Wäldern und Bergen haben wir die | |
| Beseeltheit aberkannt. Das ist auch eine Strategie, um es für uns | |
| erträglicher zu machen, dass wir sie im immer größeren Stil als Ressourcen | |
| ausbeuten. | |
| Sie sagen, dass auch Flüsse und Berge eine Seele haben. Diese Annahme | |
| stammt aus dem sogenannten Animismus indigener Kulturen. Aber Bewusstsein | |
| braucht doch zumindest ein Nervensystem, oder? | |
| Bewusstsein kann gar nicht nachgewiesen werden. Wir wissen, dass wir es | |
| selbst haben – bei anderen nehmen wir es an, wenn wir mit ihnen | |
| kommunizieren können. Wir wissen heute, dass auch Pflanzen kommunizieren, | |
| ja sich sogar gegenseitig helfen. Aber Pflanzen haben kein Nervensystem. | |
| Wir sollten also lieber nicht „neurozentrisch“ denken. Wir Menschen sind | |
| nicht die einzigen Subjekte. Diese Arroganz sollten wir schleunigst | |
| aufgeben. Erst wenn wir alle anderen Mitspieler in dieser Welt wirklich als | |
| Subjekte wahrnehmen, können wir mit ihnen in einer gleichberechtigten | |
| Gemeinschaft auf Augenhöhe zusammenleben. | |
| Das klingt wie Gedanken eines entrückten Einsiedlers aus einer Waldhütte. | |
| Werden Sie damit in der Philosophie ernst genommen? | |
| Im Wald bin ich nie entrückt, sondern immer verbunden. Die Idee, die ich | |
| beschreibe, heißt Panpsychismus. Dieser Standpunkt hatte es in der | |
| Philosophie der letzten 50 Jahre in der Tat schwer. Aber seit ein paar | |
| Jahren ist das wieder eine starke Strömung, die auch schon konkrete | |
| Auswirkungen hat. | |
| Und die wären? | |
| Zum Beispiel gibt es immer mehr Bestrebungen, Flüsse, [3][Moore, Wälder und | |
| Tiere als eigene Rechtssubjekte anzuerkennen], damit gerichtlich | |
| wirkungsvoller gegen ihre Zerstörung vorgegangen werden kann. Einige | |
| Gewässer – wie der Whanganui, ein Fluss in Neuseeland, haben bereits den | |
| Status als Rechtssubjekt. | |
| Trotzdem klingen Begriffe wie „Weltlebewesengemeinschaft“ utopisch. Wie | |
| könnte eine solche Gesellschaft konkret aussehen? | |
| Ich glaube gar nicht, dass das so utopisch ist. [4][Die meisten indigenen | |
| Kulturen, sofern sie noch existieren, leben das ganz praktisch]: Sie teilen | |
| die Welt mit anderen lebenden, fühlenden und kommunizierenden Wesen und | |
| pflegen gemeinsam die Fruchtbarkeit des ganzen Ökosystems. | |
| Halten Sie solche indigenen Kulturen für einen Optimalzustand? | |
| Ich sage nicht, dass diese Gesellschaften in jeder Hinsicht toll sind. Sie | |
| sind natürlich auch sehr verschieden. Aber sie haben erstaunliche | |
| intellektuelle Leistungen hervorgebracht – man führe sich nur vor Augen, | |
| wie manche pazifischen Völker tagelang ohne technische Hilfsmittel über den | |
| offenen Ozean navigieren konnten. Vor allem aber haben sie dieses | |
| Bewusstsein: Es geht nicht zuallererst um mich. | |
| Also zurück zur Natur und technische Errungenschaften opfern? | |
| Ein Zurück funktioniert nie. Zentrale Errungenschaften, etwa die moderne | |
| Wissenschaft, sollten unbedingt bewahrt werden. | |
| Aber Ihre Fundamentalkritik am modernen Denken müsste doch | |
| konsequenterweise auch die moderne Wissenschaft mit einschließen. | |
| Ich bin Biologe und weiß um die Kostbarkeit der wissenschaftlichen | |
| Beobachtungspraxis. Die ist ein urdemokratisches Verfahren: Jeder kann | |
| selbst nachforschen und das aktuelle Wissen bestätigen oder falsifizieren. | |
| Was ich kritisiere, ist der übersteigerte philosophische Anspruch der | |
| modernen Naturwissenschaft, der besagt: Es gibt nur das, was wir mit | |
| unseren Instrumenten messen können, alles andere existiert nicht. Das hat | |
| mit zu dieser entseelten Welt geführt. | |
| Sind Sie mit Ihrer Weltanschauung im Biologiestudium angeeckt? | |
| Ich weiß noch, wie wir mal einen Topf voller toter Fliegen vorgesetzt | |
| bekamen, die mit Äther umgebracht worden waren. Ich wies darauf hin, dass | |
| das auch Lebewesen sind und statt 1000 auch 30 toter Fliegen gereicht | |
| hätten. Da hieß es: Das sind doch eh nur so kleine Biomaschinen, wenn du | |
| denen mit Gefühlen begegnest, dann ist es eine Illusion! Das ist exakt das | |
| Dogma, das uns heute bedroht. | |
| Auch in der Tierwelt gibt es viel Hauen und Stechen. Da erscheint Ihr Bild | |
| einer Gemeinschaft romantisierend. | |
| Gemeinschaft heißt nicht, dass es nur harmonisch zugeht. Im Leben wird auch | |
| gestorben. Wir existieren sozusagen in beständiger Essbarkeit und das ist | |
| natürlich auch grausam. Aber Hauen und Stechen sind menschliche Begriffe | |
| mit einer starken Wertung. Mir geht es um Demut. | |
| Kritik am Rationalismus kann auch in Irrationalismus umschlagen. Ähnliche | |
| Gedanken finden sich in der Rechtsesoterik und bei den Nazis, die sich auf | |
| Naturprinzipien berufen haben – etwa ein angebliches Recht des Stärkeren, | |
| „Schädlinge“ auszumerzen. | |
| Die Nazis haben sich auf eine bestimmte Sichtweise der Natur als einem | |
| brutalen Überlebenskampf gestützt. Sie haben ein paar Begriffe | |
| aufgeschnappt und mit ihrer Propaganda so getan, als wäre das objektive | |
| Wissen. Das neue aufgeklärte Bild ist genau das Gegenteil von Faschismus. | |
| Es geht darum, in Demut anderen Wesen den Vortritt zu lassen. So zu denken, | |
| ist auch völlig esoterikresistent. Esoterik soll ja ein Geheimwissen sein, | |
| zu dem nur Eingeweihte Zugang haben. Ein notorisches Besserwissen | |
| sozusagen. Also das Gegenteil von Demut. | |
| Sie leben den modernen Animismus selbst vor. Mit einem bestimmten Baum im | |
| Grunewald in Berlin sollen Sie eine Art Freundschaft pflegen. Wie muss man | |
| sich das vorstellen, umarmen Sie den oft? | |
| Da ist eine sehr schöne alte Eiche, die ich manchmal auch berühre, ja. Aber | |
| meist stehe ich einfach nur in ihrem Schatten und mache bewusst, dass wir | |
| einander atmen: Ich atme aus, was die Eiche einatmet und umgekehrt. Ich bin | |
| besorgt darum, dass es diesem Wesen gut geht, und tanke dafür neue Kraft. | |
| Diesen Gegenseitigkeitsprozess kann jeder leicht wieder in sich | |
| reaktivieren. Zum Beispiel im liebevollen Kümmern um die Pflanzen im | |
| eigenen Garten. | |
| Sie glauben wirklich, dass der Baum ein Bewusstsein hat? | |
| Auf jeden Fall! Seine Innenwahrnehmung ist natürlich ganz anders als | |
| unsere. Trotzdem gibt es Ähnlichkeiten: Auch er lebt im Wechsel von Werden | |
| und Vergehen und auch seine seelische Verfassung ist äußerlich sichtbar: | |
| der Lebensüberschwang des Frühjahrs, die Schwere des Absterbens im Herbst. | |
| Viele werden sagen: Das ist sentimentale Naturromantik. | |
| Mit diesen Begriffen wird in Deutschland gerne ein emotionaleres | |
| Naturverhältnis diskreditiert. Dabei war das philosophische Programm der | |
| Romantiker ab Ende des 18. Jahrhundert sehr anspruchsvoll. Auch sie wollten | |
| schon die Subjektivität in der Natur und die Welt in ihrer Lebendigkeit | |
| wiederentdecken. Genau das ist heute gefordert. | |
| Ein emotionales Verhältnis zu konkreten einzelnen Tieren und Bäumen ist das | |
| eine. Aber mit Blick auf den Klimawandel: Ist ein solches, enges Verhältnis | |
| zur Welt als Ganzes überhaupt fühlbar? | |
| Es hilft, die Klimakrise als Krise des geteilten Atems zu beschreiben. Die | |
| Atmosphäre ist gefüllt mit den Gasen, die die Menschen, Tiere und Pflanzen | |
| hervorbringen. Sie ist im Grunde eine Art gasförmige Ausweitung von uns | |
| allen – die Atmosphäre, das sind wir! Insofern ist diese Krise keine | |
| technische Notlage, die wir beheben können, indem wir jetzt nur am | |
| CO2-Regler drehen. Sie ist unser ureigenstes Problem: ein Beziehungsdrama | |
| der Weltlebewesengemeinschaft. Das müssten die Klima-AktivistInnen mehr | |
| herausstellen. Aber so emotionale Problembeschreibungen sind heikel, wenn | |
| man von der heutigen Politik ernst genommen werden will. | |
| 14 Jan 2024 | |
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| ## AUTOREN | |
| Oliver Geyer | |
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