Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- Althistoriker über politische Vergleiche: „Man baut wütende Bar…
> Sind Geflüchtete Vorzeichen einer „Völkerwanderung“? Ein Gespräch mit …
> Althistoriker Roland Steinacher über die Instrumentalisierung der
> Antike.
Bild: Die meisten kamen nicht als Invasoren ins Imperium, sondern wurden als S�…
taz: Herr Steinacher, die Antike wird aktuell mal wieder gern
herbeizitiert, wenn es um Parallelen zu Krisen der Gegenwart geht. Eine
dieser Kontroversen hat es im Sommer [1][bis in den Guardian geschafft].
Könnten Sie skizzieren, was da für Aufregung gesorgt hat?
Roland Steinacher: Es ging um einen Zeichentrickfilm für Schulen, der einen
hohen römischen Soldaten im römischen Britannien zeigt – und zwar einen
Soldaten mit dunkler Hautfarbe. Nachdem die BBC das Video hochgeladen
hatte, warfen ihr Leute aus dem rechten Lager vor, Political Correctness zu
betreiben, indem sie die moderne Multikultigesellschaft in die Antike
projiziere. Richtig los ging es aber, als sich die ausgezeichnete
Althistorikerin Mary Beard in die Debatte einschaltete – eine ausgewiesen
politische Persönlichkeit. Der Film, sagte sie, entspreche den
wissenschaftlichen Befunden, allein durch die gut belegten
Rekrutierungspraktiken der römischen Armee sei es absolut möglich, dass
schwarze Menschen in Britannien gelebt haben. Die zweite Stufe der
Auseinandersetzung war dann, dass die Leute, die sich an dem Video gestört
haben, nach der Genetik gerufen haben: Die möge doch jetzt Fakten vorlegen.
Dies wiederum hat eine methodische Debatte ausgelöst, die die Grenzen
dieser genetischen Methode aufgezeigt hat.
Und die wären?
Individuen oder kleinere Gruppen zu greifen, ist mit
archäologisch-genetischen Methoden kaum möglich. Die britische Bevölkerung
heute ist genauso schön ausdifferenziert wie alle anderen europäischen
Bevölkerungen auch.
Und das heißt?
Das heißt schlicht, dass alle Europäer, mit leichten Verschiebungen und
regionalen Schwerpunkten, miteinander verwandt sind. Und die größte
Verwandtschaft von ihnen allen besteht zum Nahen Osten.
Also zu den Menschengruppen, die vor etwa 12.000 Jahren den Ackerbau
erfunden haben und dann nach Europa eingewandert sind.
So postuliert es jedenfalls das Institut für Menschheitsgeschichte in Jena.
Ob diese Ergebnisse haltbar sind, ist immer ein bisschen schwierig zu
sagen. Zurzeit verfügt das Institut nur über einen Pool von Überresten von
1.000 Individuen. Die Laborkosten für eine Aufnahme des DNA-Materials sind
nämlich erheblich.
Eine Kostenfrage also?
Auch. Patrick Geary vom Institute for Advanced Study in Princeton versucht
derzeit sogenannte langobardische – da sind wir schon mitten in der
Problematik – Gräberfelder in Norditalien im DNA-Material aufzuarbeiten. Da
geht es um Budgets von mehreren Millionen Euro. Und die – auch privaten –
Finanziers des Ganzen würden gern auf die Ergebnisse ein Etikett kleben,
nach dem Motto: Das waren hier germanische Invasoren der sogenannten
Völkerwanderung. Da kommt es dann zu Aussagen in der Presse wie „Gene lügen
nicht“.
Stimmt das nicht?
Der Denkfehler ist: Man übersieht, dass auch Gene lediglich eine weitere
Quelle zur Vergangenheit sind; und Quellen sprechen nie für sich selbst,
sondern bedürfen immer der Interpretation. Wo die Genetik tatsächlich
unheimlich wertvoll wäre, ist nicht bei der Unterscheidung in Volksgruppen
– zugewanderte Langobarden oder einheimische Römer –, sondern bei der Frage
nach den verwandtschaftlichen Beziehung der etwa 40 Personen, die dort
bestattet sind. Ist das zum Beispiel eine Dynastie, über drei, vier
Generationen? Denn die nächste Absurdität ist ja: Diese Volksnamen, die
dann der DNA zugeordnet werden, stammen aus der traditionellen
Geschichtswissenschaft. Es ist aber absurd, veraltete historische
Fragestellungen, meist aus nationalistischen Narrativen des 18. und 19.
Jahrhunderts, mit hochmoderner Genetik beantworten zu wollen. Denn da
können immer Ideen von rassischer Reinheit, von besserem und schlechterem
Genmaterial à la Thilo Sarrazin mit hineinspielen, immer mit der Sehnsucht
nach eindeutigen Identitätserzählungen.
Was bleibt denn in Ihrer Sicht von der sogenannten Völkerwanderung übrig?
In der Spätantike haben Armeen von maximal 20.000 Soldaten aus der
Peripherie des Römischen Reiches als privilegierte Elite die Strukturen von
römischer Verwaltung und Militär übernommen, ob nun Langobarden in
Norditalien oder die Vandalen im heutigen Tunesien, der damaligen römischen
Provinz Africa. Die meisten von ihnen kamen nicht als Invasoren ins
Imperium, sondern wurden als Söldner angeworben. Je mehr das Weströmische
Reich aber in Bürgerkriegen versank, desto prominenter wurde die Rolle
dieser Kriegergruppen, die das entstehende Machtvakuum füllten.
Und dann brach das Chaos aus?
Vielleicht war diese neue militärische Elite für den Durchschnittsbauern
oder Kaufmann vor Ort sogar die angenehmere Variante, mit weniger
Steuerdruck. Das ist, glaube ich, die beste Zugangsweise zu einem im 19.
Jahrhundert so aufgeblähten Konzept einer Völkerwanderung.
[2][ Also das Gegenteil eines „Zivilisationsbruchs“ von der strahlenden
Antike ins dunkle Mittelalter? ]
Genau. Es ist kaum zu leugnen, dass es Blutvergießen und sinkende
Lebensstandards gab; aber heute glauben viele Historiker, dass dies vor
allem durch innerrömische Prozesse verursacht wurde, die nicht durch
Migration ausgelöst wurden. Wenn man die Analogie zur Jetztzeit richtig
nehmen wollte, dann wären nicht die „Flüchlingsströme“ die entscheidenden
Akteure, sondern es wäre etwa eine libysche Söldnermiliz, die den neuen
Limes in der Sahara gegen die Flüchtlinge bewacht und dann, weil sie nicht
bezahlt wird, Deutschland oder Frankreich übernimmt, wo zuvor Bürgerkriege
die staatlichen Strukturen geschwächt haben müssten.
[3][Ist das nicht ein zu idyllisches Bild der „Barbarischen Invasionen“],
wie die „Völkerwanderung“ im romanischen Sprachraum genannt wird?
Das Konzept „Völkerwanderung“ kommt aus Metaphern der antiken Literatur,
die eindringlich sind, fast schon hysterisch. Man baut den wütenden,
kriegerischen Barbaren auf, als Gegenstück zum kultivierten römischen
Zivilisten. Dem voraus geht aber eine Bildung von Armeeverbänden an den
Grenzen des Reiches, die dort Ordnungsaufgaben im römischen Interesse
übernehmen. Irgendwann sind die organisiert genug, um eine Rolle innerhalb
des Reichs einnehmen zu können: als nämlich, und das stimmt schon, aus
innerer Verteilungsproblematik die Zahlungen an diese Verbände nicht mehr
funktionieren. Dann kommt man rein und nimmt sich den Teil, der einem
zusteht, eben selbst. Das ist der historische Befund, den wir haben. Wobei
das Individuum das natürlich durchaus anders erlebt haben kann, wenn etwa
aus Gallien beschrieben wird, wie sich germanische Zuzügler ranzige Butter
als Pomade ins Haar schmieren, saufen, tanzen und sich auch sonst rüde
benehmen – Soldaten halt.
Trotzdem haben wir Berichte, dass etwa in Trier die zugezogenen Barbaren an
der Funktionsweise der römischen Fußbodenheizung verzweifeln und sie dann
einfach ein Loch in den Boden hauen und Feuer machen. Sehen Sie nicht die
Gefahr, dass Sie so sehr differenzieren, dass am Schluss das
Offensichtliche nicht mehr einzuordnen ist?
Dass es teils zu tiefen Brüchen kam, ist klar. Trotzdem bleibt die Frage
nach der Feinheit der Erklärungsmuster. Trier, das Sie ansprechen, war
lange Zeit Kaiserresidenz. Sobald kein Kaiserhof mehr da ist, bricht die
Struktur runter auf das lokale Niveau, das sie in den Vororten die ganze
Zeit hatten: eines, wo es die – enorm brennstoffintensiven und von Sklaven
bewirtschafteten! – Fußbodenheizungen nie gab. Eine Reregionalisierung
also. Gleichzeitig haben sie in Konstantinopel, in Norditalien, in der
Provinz Africa dieses Überregionale sehr wohl weiterhin. Im Ganzen ist die
Kontinuität also größer als der Bruch.
24 Sep 2017
## LINKS
[1] https://www.theguardian.com/science/2017/aug/09/if-africans-were-in-roman-b…
[2] http://www.faz.net/aktuell/politik/staat-und-recht/untergang-des-roemischen…
[3] http://www.huffingtonpost.de/2017/02/01/david-engels-buergerkrieg_n_1454650…
## AUTOREN
Ambros Waibel
## TAGS
Geschichte
Historiker
Römer
Römer
Germanen
Archäologie
Schwerpunkt Flucht
Integration
Rhetorik
Reichsbürger
DNA
## ARTIKEL ZUM THEMA
Arte-Doku über römischen Feldzug: Schleudern auf Schlachtfeldern
Als Römer verkleidete Österreicher und ein Schleuderexperte: Eine Doku
erkundet ein Schlachtfeld und zeigt Forensiker und Ballistiker am Werk.
Tourismus in der Antike: „Wer ist denn römisch?“
Die römische Infrastruktur war ideal zum Reisen. Die Historikerin Susanne
Froehlich hat ein Buch darüber geschrieben, wer warum wohin unterwegs war.
Ausstellung über „Germanen“: Todesverachtend und bisschen dumm
Rom rüstete Milizen aus, die die Drecksarbeit erledigten. Cäsar nannte sie
„Germanen“. Eine Ausstellung über Forschung und Zerrbild.
Ausstellung über Archäologie: Es ging nicht mehr ohne Kunst
Die Ausstellung „Bewegte Zeiten“ im Berliner Gropius-Bau zeigt
archäologische Superlative. Sie beweist einmal mehr: Wir sind nur zufällig
hier.
Europäische Migrations- und Asylpolitik: Aufnehmen und abschieben
Die EU möchte 50.000 zusätzliche Flüchtlinge aufnehmen. Zugleich aber
forciert sie Abschiebungen abgelehnter Asylbewerber aus den
Mitgliedsstaaten.
Flüchtlinge in Sachsen-Anhalt: Dem Widerstand zum Trotz
Im Burgenlandkreis gab es hässliche Anti-Asyl-Proteste. Landrat Götz Ulrich
hält dagegen. Er ist sicher: Sein Kreis braucht Zuwanderer.
Serie: Wie weiter, Germans? (2): Die Zukunft bleibt unsichtbar
Schulz moralisiert, Merkel verzieht keine Miene. Welche Geschichte unserer
Zeit erzählen die Volksparteien – und was bleibt außen vor?
Die Wahrheit: Stammgermanen, Schlammgeburten
Neben den berüchtigten Reichsbürgern lehnen auch weitaus traditionsreichere
und ältere Barbarenhorden die Bundesrepublik ab.
Genetiker über die Herkunft der Europäer: „Ureuropäer hatten dunkle Haut“
Paläogenetiker Johannes Krause analysiert mit seinem Team Gene aus der
Vorgeschichte. Sie kommen so auch der Herkunft der Europäer auf die Spur.
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.