# taz.de -- Theaterstück nach Ovid: Hoffnung aufs tentakuläre Zeitalter | |
> Die Regisseurin Claudia Bauer brachte ihre Bearbeitung der | |
> „Metamorphosen“ nach Ovid an der Berliner Volksbühne digital an den | |
> Start. | |
Bild: Die Jagdgöttin verwandelt Actaeon in einen Hirsch, der von seinen eigene… | |
Ein Stoßseufzer der Erleichterung, so kann diese Kritik ruhig beginnen. | |
Theater am Bildschirm kann nie eine ganze Sache sein, aber wenn, was zu | |
hören und zu sehen ist, vergessen lässt, was fehlt, denn stellt sich doch | |
ein Glücksgefühl ein. Und so war das bei Claudia Bauers Digital-Premiere | |
von „Metamorphosen [overcoming mankind] nach Ovid & Kompliz*innen“ an der | |
Berliner Volksbühne. | |
Ob die Inszenierung noch eine reale Premiere erlebt, ist im Moment schlecht | |
vorherzusagen. An der Volksbühne steht ein Intendantenwechsel an, nächste | |
Spielzeit löst René Pollesch den Übergangsintendanten Klaus Dörr ab. „Wir | |
sind eine Welt mit Verfallsdatum im Juni“, fasste die Regisseurin die | |
Situation bei einem Probenbesuch zusammen. | |
In der Bildschirmpremiere erlebt man das Bühnengeschehen zweigeteilt. Oben | |
ist ein Orchester und die Erzähler:innen sprechen dort in Großaufnahme | |
in die Kamera: die Geschichten Ovids von der Verwandlung verfolgter | |
Nymphen, Frauen und Göttinnen in Tiere und Pflanzen, aber auch jüngere | |
Weltdeutungen, die von Eroberung, Besitznahme und Ausbeutung handeln und | |
unweigerlich in die Zerstörung der Erde und der Menschen führen. | |
Darunter ist ein von vielen Türen eingerahmter Saal, aus dem die | |
Darstellenden schnellen wie Springteufel aus der Kiste. Ihre Kostüme und | |
Masken gehören zu einer altmodischen Bürowelt, und in dieser spielen sie | |
Ovids Erzählungen als Groteske, durchaus mit komischen Zügen, nach. | |
## Slapstick und Anteilnahme | |
Dieser Slapstick wird immer konterkariert von der Anteilnahme in den | |
Stimmen der Erzählenden und dem Versmaß, das so nah an das Zittern der | |
Verfolgten führt. Die Tränen, die Malick Bauer in den Augen stehen, während | |
er mit Ovids Worten beschreibt, wie der Sonnengott Apollon voll Schrecken | |
beobachten muss, wie sein Sohn Phaeton mit dem Sonnenwagen die Welt in | |
Brand setzt und dabei umkommt, während Wälder verbrennen und die Städte | |
untergehen, steigen auch den Zuschauenden in die Augen. | |
Auch wenn darunter drei der lächerlichen Bürohengste nur einen Sessel | |
reiten; dass Schreibtischtäter hinter vielen Katastrophen stehen, weiß man | |
ja. | |
Zudem ist die Inszenierung oft von klagender, barocker Musik grundiert (ob | |
von Henry Purcell oder wem?, verrät das Programmheft leider nicht). | |
Manchmal begegnen sich die jagenden Männer und die gejagten Frauen oder | |
auch die rächenden Frauen und die gejagten Männer in einem Tangoschritt. | |
Die Gewalt zwischen ihnen kommt nie explizit zur Darstellung, kein | |
Bühnenblut diesmal. Denn ein Sich-in-die-Brust-Werfen und Stolzieren reicht | |
diesmal zur Skizzierung der Machtergreifung. Eine tänzerische Stilisierung, | |
die gut zu verstehen ist. | |
## Zerstörende Kräfte des Kapitalismus | |
Verblüffend ist, dass die Parallelführung zwischen den „Metamorphosen“ von | |
Ovid, die ja doch im weit entferntem Gelände zwischen Menschen, Göttern, | |
Nymphen und Dämonen spielen, und Texten, die auf die zerstörenden Kräfte | |
des Kapitalismus, die Ausbeutung der Ressourcen und auch auf eine | |
unheilvolle Seuche anspielen, kaum aufgesetzt wirkt. | |
Im Theater wird oft mit Texten aus unterschiedlichen Quellen gearbeitet, | |
aber die Denkbewegungen, die sie miteinander verknüpfen, bleiben | |
gelegentlich sehr im Diffusen. In den „Metamorphosen [overcoming mankind] | |
nach Ovid & Kompliz*innen“ dagegen scheint daraus eine dichtere | |
Argumentationskette zu entstehen. Dass die mythischen Erzählungen taugen, | |
die Gegenwart zu spiegeln, ist ja nicht selbstverständlich. | |
Auf der Bildebene kommen Projektionen hinzu, die das Oben und Unten der | |
Bühne schillernd und bunt zusammenfassen, aber ein nicht sonderlich | |
notwendiges ästhetisches Spiel sind. Hingegen ist interessant, was als | |
Möglichkeit für die Zukunft ins Spiel geworfen wird, was nach der | |
Herrschaft des Menschen kommen könnte, nach dem Anthropozän, dem vom | |
Menschen dominierten Zeitalter. | |
Kraken mit ihren Tentakeln wuseln in diesem Kapitel über die Bühne. Im Text | |
wird das Humane in den Humus verwandelt und vom tentakulären Zeitalter | |
geredet, in dem die Verwandtschaft zwischen Tier und Mensch nicht mehr | |
hierarchisch angeordnet ist. | |
## Wunschbild und Skepsis | |
Dass diesem Wunschbild viel Skepsis entgegensteht, verhandelt womöglich das | |
letzte Bild, das nun im großen, offenen Rund der Bühne der Volksbühne | |
spielt. Das Ensemble trägt glitzernde enge Kostüme, eine vielfarbige | |
Schlangenhaut und spricht: „Wir tragen Kostüme der Verwandlung, auch wenn | |
das unwahrscheinlich ist.“ Es ist ein merkwürdiger Tanz zum Schluss, der | |
auf das Unwahrscheinliche als Weg der Rettung setzt. | |
14 Feb 2021 | |
## AUTOREN | |
Katrin Bettina Müller | |
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