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# taz.de -- Nachtragshaushalt für Berlin: Milliarden in Minuten
> Im Eilverfahren muss das Parlament den Milliarden Euro schweren
> Nachtragshaushalt verabschieden – alle demokratischen Parteien tragen das
> mit. Warum?
Bild: Darf's auch etwas mehr sein? Berliner*innen sollen um zwei Milliarden Eur…
Berlin taz | Binnen weniger Tage, sogar weniger Stunden über mehr als zwei
Milliarden Euro beraten? Das ist die Großaufgabe, vor der das
Abgeordnetenhaus bis zum 14. November steht. Denn es steht ein
Nachtragshaushalt zur Abstimmung an, also quasi ein Update [1][des erst im
Juni beschlossenen Etats], um die Krisenhilfen für den Winter abzusichern.
Erster Schritt im vermeintlichen Ringen um die Zusatzmilliarden: Der Senat
muss am heutigen Dienstag dem Ergänzungsetat zustimmen – woran niemand
zweifelt.
Höhepunkt dieses Stresstests für die Abgeordneten sind zwei Sondersitzungen
des zuständigen Ausschusses, deren Beginn gerade mal 25 Stunden auseinander
liegt. „So ein Eilverfahren ist eine Zumutung fürs Parlament, ganz klar“,
sagte dazu [2][Vize-Regierungschefin Bettina Jarasch] (Grüne) im
taz-Interview am Montag. Jarasch war selbst fünf Jahre Abgeordnete.
Haushaltsberatungen, mithin die wichtigste Aufgabe des Parlaments, laufen
eigentlich ganz anders ab. Der Senat beschließt nach mehrmonatiger
Abstimmung zwischen seinen Ressorts einen Entwurf. Nachdem sich die
Fraktionen mehrere Wochen lang haben einlesen können, kommt dieser Entwurf
im Parlament auf die Tagesordnung, zur sogenannten ersten Lesung. Weiter
geht es in vielen Sitzungen des Hauptausschusses, des wichtigsten und mit
32 Mitgliedern auch größten Untergremiums des Parlaments.
Beschlossen wird das Ganze meist drei Monate nach der ersten Lesung. Beim
Nachtragshaushalt geht das etwas schneller, weil es in der Regel nur um
punktuelle Nachbesserungen geht. Doch selbst dabei haben die Abgeordneten
viel mehr Zeit und Luft als die jetzt dafür angesetzten 13 Tage.
## Urteil des Verfassungsgerichts
Völlig überraschend hatte Regierungschefin Franziska Giffey (SPD) Mitte
Oktober vor Journalisten [3][die Planänderung verkündet]. Der Grund dafür:
Der kurz zuvor bekannt gewordene Termin für die Urteilsverkündung des
Verfassungsgerichts über eine mögliche Wiederholung der
Abgeordnetenhauswahlen aufgrund der zahlreichen Pannen. Am 16. November
will das Gericht entscheiden, und kaum jemand zweifelt daran, dass es zu
Neuwahlen im Februar kommen wird.
Giffey und viele andere führende Politiker befürchten, dass das Gericht mit
dem Urteil die Befugnisse des Abgeordnetenhauses einschränkt. Dann könnte
das Parlament möglicherweise nicht mehr jenen Nachtrag beschließen, ohne
den sich das Entlastungspaket nicht bezahlen lässt, das gegen die hohen
Energiepreise und die Inflation helfen soll.
Die CDU als größte Oppositionsfraktion reagierte zunächst mit Unverständnis
auf das angekündigte Expressverfahren: „Das ist fahrlässig“, sagte ihr
haushaltspolitischer Sprecher Christian Goiny. Aus seiner Sicht war „seit
Wochen völlig klar“, dass der Senat zur Entlastung schnell einen
Nachtragshaushalt vorlegen müsse.
Rund zwei Wochen später sah auch Goiny gegenüber der taz keine Alternative
mehr zu dem Eilverfahren. Im Ältestenrat des Parlaments, in dem führende
Politiker der Fraktionen die Plenarsitzungen vorbereiten, stimmten CDU wie
FDP mit der rot-grün-roten Koalition dafür, Tempo zu machen. „Wir wollten
uns dem nicht verweigern, obwohl der Zeitplan sehr sportlich ist“, hieß es
nun von Goiny. Ob seine Fraktion dem Nachtragshaushalt selbst zustimmt,
ließ er offen – „wenn die Koalition da noch irgendwelche Wahlkampfgeschenke
reinpackt, dann nicht“.
## „Es besteht Handlungsbedarf“
Ähnliches ist von Sibylle Meister zu hören, der langjährigen
Haushaltsexpertin der FDP-Fraktion. Die verkürzte Beratung sei wegen des
Urteilstermins alternativlos – „es besteht ja Handlungsbedarf“. Man könne
dem Bäcker, der wegen der Energiepreise dringend auf Hilfen angewiesen ist,
schlecht sagen, dass die nicht kämen, weil man intensiver beraten wollte.
Meister ging gegenüber der taz davon aus, dass sich die meisten Fragen an
die jeweiligen Senatsverwaltungen in den Sitzungen selbst und ohne die
sonst üblichen aufwändigeren Berichtsaufträge beantworten lassen. Deshalb
soll es, so ist von der Koalition zu hören, auch möglich sein, schon vor
den Sitzungen Fragen einzureichen.
Steffen Zillich, Finanzexperte der mitregierenden Linkspartei, saß im
Abgeordnetenhaus auch schon in der Opposition und kann das Unbehagen der
jetzigen Opposition nachempfinden, hätte aber nach eigener Aussage in jener
Rolle auch zugestimmt, des Sachzwangs wegen. Zillich regte jüngst an, den
vom Senat angepeilten [4][Entlastungsrahmen von 800 bis 1.500 Millionen
Euro] auszudehnen: Kreditermächtigungen sollten den Senat dazu befähigen,
nötigenfalls aufzustocken. Als einzige Fraktion lehnt die AfD das
Eilverfahren ab.
Torsten Schneider von der SPD sieht den Zeitplan in seiner Doppelrolle als
parlamentarischer Geschäftsführer, also Fraktionsmanager und
Haushaltsexperte, etwas entspannter als andere. „Da haben wir schon andere
Dinge in kürzerer Zeit beschlossen“, sagte er der taz und erinnerte an die
Hilfen für syrische und ukrainische Kriegsflüchtlinge. „Hier müssen alle
Kompromisse machen: Regierung, Parlament und Bevölkerung.“
## Zwei Milliarden für Entlastungen
Laut Schneider wird sich das Volumen des Landeshaushalts – im Juni erst mit
einem Volumen von rund 75 Milliarden Euro für 2022/2023 beschlossen – um
mehr als die von Giffey angekündigten 1,5 Milliarden erhöhen. „Die
Koalition bringt Landesprogramme von deutlich über einer Milliarde an den
Start“, sagte Schneider, „zusammen mit der Mitfinanzierung der
Bundesprogramme werden über zwei Milliarden bereitgestellt.“
Was der SPD-Politiker verspricht: „Wir schieben keine neue Projekte an, wir
entlasten die Bevölkerung.“ Es würden dafür keine geplanten Dinge
gestrichen oder gekürzt, es handle sich schlicht um ungeplante
Steuermehreinnahmen.
Dass diese Milliarden einfach „übrig“ sind, hatte Finanzsenator Daniel
Wesener [5][bei einer Zwischenbilanz im August] noch ganz anders gesehen –
man könne froh sein, am Ende des Jahres bei einem ausgeglichenen Haushalt
zu landen, prognostizierte er damals. Schneider sagte dazu jetzt: „Das ist
keine Kritik am Finanzsenator, der hat einfach seinen Job gemacht.“
Vergangene Woche äußerte sich Wesener auf taz-Anfrage so zum
Nachtragshaushalt: „In der aktuellen Krise ist schnelles Handeln gefragt.
Die Bürgerinnen und Bürger, aber auch Betriebe und Freie Träger, erwarten
zu Recht, dass die von allen Parteien versprochenen Entlastungsmaßnahmen
auch schnell umgesetzt werden.“
1 Nov 2022
## LINKS
[1] /Abgeordnetenhaus-beschliesst-Haushalt/!5859812
[2] /Vize-Regierungschefin-will-kaempfen/!5889817
[3] /Finanzierung-des-Entlastungspakets/!5887634
[4] /Entlastungspaket-fuer-Berlinerinnen/!5879486
[5] /Halbjahresbilanz-zum-Haushalt/!5873417
## AUTOREN
Stefan Alberti
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