# taz.de -- Abgeordnetenhaus: „Zweck heiligt nicht alle Mittel“ | |
> Parlamentspräsident Dennis Buchner (SPD) über Blockadeaktionen von | |
> Klima-Aktivisten, das Eilverfahren beim Nachtragshaushalt und mögliche | |
> Neuwahlen. | |
Bild: Dennis Buchner (SPD) ist der jüngste Präsident des Abgeordnetenhauses s… | |
taz: Herr Buchner, während wir jetzt beim Morgenkaffee zusammensitzen, | |
[1][blockieren wieder einige wenige Menschen viele andere] an | |
Autobahnauffahrten. Die Rechtfertigung: Parlament und Regierung tun zu | |
wenig gegen die Klimakrise. Was sagen Sie als Parlamentspräsident dazu? | |
Dennis Buchner: Die Grundannahme stimmt nicht: Ich finde schon, dass das | |
Thema Klimaschutz in den letzten Jahren sowohl im Bundestag als auch im | |
Abgeordnetenhaus eines der Themen ist, die am häufigsten angesprochen | |
werden. Und ich finde außerdem, dass wir dabei auch schrittweise | |
vorankommen. Dass es Ungeduld gibt, kann ich nachvollziehen. Allerdings | |
heiligt der Zweck auch nicht alle Mittel. | |
Bei Grünen und Linkspartei als Koalitionspartner der SPD ist nicht gerade | |
viel Ablehnung für die Blockade-Aktionen oder falschen Feueralarme | |
wahrzunehmen. | |
Ich glaube nicht, dass die Aktionen der letzten Tage – etwa Kunstwerke mit | |
Tomatensuppe zu übergießen – dem gemeinsamen Ziel, mehr Klimaschutz zu | |
erreichen, zuträglich sind. Die Aktivisten erweisen dem Ziel stattdessen | |
einen Bärendienst. Denn das Verständnis bei Menschen, die nicht so dicht an | |
dem Thema dran sind, dass es jetzt einschneidende Maßnahmen braucht, um die | |
Erderwärmung zu stoppen und den Klimaschutz zu verbessern, geht durch | |
solche Aktionen zurück. | |
Sie sind noch nicht mal ein Jahr Präsident, doch ein Ende könnte absehbar | |
sein: Wäre heute schon [2][die mutmaßlich Mitte Februar anstehende | |
Wiederholungswahl], würde die SPD laut Umfragen nur drittstärkste Partei | |
und nicht mehr den Parlamentspräsidenten stellen. | |
Erstens sind Umfragen keine Wahlergebnisse. Und zweitens hat die SPD in | |
Berlin sehr oft gezeigt, dass sie Wahlen gewinnen kann, auch wenn sie | |
vorher keine Umfragen gewonnen hat. Insoweit warten wir doch das Ergebnis | |
ab. | |
Sie haben kurz vor der Verhandlung des Verfassungsgerichts zu den | |
Wahlpannen gesagt, da werde etwas zu Unrecht skandalisiert und es sei „kein | |
Schaden für die Demokratie entstanden“. Das Gericht sah das drei Tage | |
später ganz anders. Warum haben Sie sich derart aus dem Fenster gelehnt? | |
Das Zitat ist jetzt sehr aus dem Zusammenhang gerissen. Was ich gesagt | |
habe, war, dass allein eine lange Schlange vor einem Wahllokal noch kein | |
Grund ist, skandalisiert zu werden. Ich habe kürzlich die | |
Parlamentspräsidentin Kataloniens getroffen und erzählt, dass bei uns | |
kritisiert wird, dass man an manchen Wahllokalen 90 Minuten, vielleicht | |
auch zwei Stunden warten musste, um seine Stimme abzugeben. Da hat sie erst | |
mal gelacht, weil das offensichtlich in einer ganzen Reihe von anderen | |
Demokratien gar nicht ungewöhnlich ist, dass man sich länger anstellt, um | |
seine Stimme abgeben zu können. | |
Die Leute sind hier aber seit Langem anderes gewöhnt. Warum haben Sie sich | |
überhaupt so dezidiert geäußert, anders als andere Spitzenpolitiker? | |
Die Deutsche Presse-Agentur hatte mich um ein Interview gebeten, und dieses | |
Interview habe ich geführt. Ich bestreite ja auch gar nicht, dass Fehler | |
passiert sind, die tatsächlich auch gut dokumentiert sind, wenn etwa | |
falsche Wahlzettel ausgegeben worden sind. | |
Was folgt denn aus Sicht der Juristen im Parlament aus einer | |
Wahlwiederholung? Beginnt eine neue fünfjährige Wahlperiode oder geht die | |
bisherige einfach dreieinhalb Jahre weiter? | |
Wenn keine Neuwahl, sondern eine Wahlwiederholung stattfindet, dann läuft | |
die jetzige Wahlperiode weiter, also wird ganz regulär im Jahr 2026 wieder | |
neu gewählt. | |
Beschneidet das nicht die Rechte jener Abgeordneten, die bei der | |
Wiederholungwahl neu ins Parlament kommen? Die wären ja nur für dreieinhalb | |
statt fünf Jahre gewählt. | |
Das kann man so sehen. Doch das Verfassungsgericht darf zwar eine | |
Wahlwiederholung anordnen, aber nicht das Parlament auflösen und eine | |
Wahlpriode beenden. Was genau das in allen Einzelheiten bedeutet, wird das | |
Gericht sicherlich genauer herausstellen. | |
Kurz vor der Verkündung des Urteils soll laut der Regierenden | |
Bürgermeisterin Franziska Giffey der Nachtragshaushalt beschlossen werden. | |
Und zwar so schnell, dass der Begriff „Hauruckverfahren“ passend erscheint. | |
Wie soll da echte Kontrolle möglich sein, immerhin das Königsrecht des | |
Parlaments? | |
Das ist eine schlichte Abwägung. Bislang gehen wir davon aus, dass das | |
Parlament auch nach dem Urteil am 16. November voll handlungsfähig bleibt. | |
Wenn dem aber nicht so sein sollte, dann müssen wir vorher den | |
Nachtragshaushalt beschließen. | |
Das müssen Sie erklären. | |
Nur damit können wir gewährleisten, die Menschen in dieser Stadt den Winter | |
über zu unterstützen, etwa bei den steigenden Energiekosten bei kleinen und | |
mittleren Betrieben. Die Koalition hat angedeutet, [3][dafür bis zu 1,5 | |
Milliarden zur Verfügung stellen zu wollen]. Wenn man das rechtssicher auf | |
die Beine bringen will, dann macht es Sinn, das vor dem 16. November zu | |
tun. | |
Aus Sicht des Senats durchaus nachvollziehbar. Aber Sie stehen doch für die | |
Legislative, also für die Kontrolle der Exekutive. | |
Wir haben durch die Kürze der Zeit sicherlich weniger parlamentarische | |
Mitsprachemöglichkeiten und Kontrollmöglichkeiten, als wenn man einen | |
normalen Haushalt über ein halbes Jahr debattiert. Auf der anderen Seite | |
geht es hier um ein Nachschießen in bestimmten Bereichen und nicht um einen | |
komplett neuen Haushalt, und mir ist es an der Stelle wichtiger, dass wir | |
die Menschen in Berlin unterstützen. | |
Als die SPD Sie 2021 als Präsident des Abgeordnetenhauses vorschlug, hat | |
der Tagesspiegel auf Basis von Äußerungen in sozialen Netzwerken | |
nahegelegt, da käme jetzt eine Art Rowdy ins Amt. | |
Der Tagesspiegel hat den Begriff „Ultra“ benutzt, und das bezog sich | |
darauf, dass ich Fan eines bestimmten Fußballvereins bin. Dass ich mich in | |
anderen Funktionen auch sehr pointiert im Wahlkampf geäußert habe, etwa als | |
Landesgeschäftsführer, also quasi Generalsekretär der SPD, ist sicherlich | |
richtig. Doch seit ich Parlamentspräsident bin, habe ich keine Kritik | |
vernommen, dass ich Sitzungen nicht überparteilich leiten und nicht allen | |
Fraktionen die Wahrnehmung ihrer parlamentarischen Rechte und Pflichten | |
ermöglichen würde. | |
24 Oct 2022 | |
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## AUTOREN | |
Stefan Alberti | |
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