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# taz.de -- Veganes Backen: Alles eine Frage der Statik
> Bei mehrstöckigen Torten auf Eier, Sahne und Butter zu verzichten, fällt
> vielen schwer. Wie rein pflanzliche Meisterwerke gelingen, wissen die
> Profis.
Bild: Kein raffinierter Zucker, aber ein raffinierter Look: vegane Tortenschnit…
Florentine Gronskis weitest angereiste Kundschaft kam aus dem Süden Bayerns
nach Düsseldorf. Der Grund für die lange Fahrt: Das Paar wollte auf seiner
Hochzeit eine besonders gute vegane Torte servieren. Und derlei ist noch
immer ziemlich selten zu bekommen.
Gronski ist gelernte Konditormeisterin. Ihre Ausbildung absolvierte sie in
einem klassischen Familienbetrieb, in dem Biskuitböden mit Eiern gebacken
und Cremefüllungen mit Sahne angerührt wurden. Schon damals haderte sie mit
den massenweise verwendeten Tierprodukten, die, wegen günstigerer Preise,
oft aus Großbetrieben stammten. [1][In der Backstube „La Fiorentina“], die
Gronski vor zwei Jahren eröffnete, kommen nun ausschließlich pflanzliche
Zutaten zum Einsatz.
Die vielen Ordner mit Rezepten, die sie in der Ausbildung gesammelt hat,
stehen inzwischen ungenutzt im Schrank. „Ich musste eigentlich alles neu
lernen“, sagt die 27-Jährige. Auch kann sie auf viele etablierte
Ersatzstoffe für tierische Produkte – wie eingeweichte [2][Leinsamen und
Bananen statt Eiern] oder neutrales Öl statt Butter – nur bedingt
zurückgreifen. „Das geht wunderbar zu Hause oder in Cafés, in denen
rustikale Kuchen gebacken werden. Aber meine Torten haben ganz andere
Anforderungen an Geschmack, Optik und Konsistenz.“ Bei mehrstöckigen
Kreationen aus Biskuit, Creme und Füllung müsse schließlich auch die Statik
mitmachen.
Soja und Hafer bringen Flaumigkeit und Trieb
Für Cremes greift Gronski auf Alternativen auf Soja- und Haferbasis zurück.
Dabei gelte es, auf Fettgehalt und Enzyme zu achten, sonst passiert, was
vegane Kaffeetrinker von ihrem Milchersatz kennen: Die Masse kippt, wird
klumpig, trüb und sauer. Die größte Herausforderung seien aber die
Teigschichten: „Normalerweise verleiht die lang aufgeschlagene
Eier-Zucker-Masse einem Biskuit Flaumigkeit und Trieb“, sagt die
Konditormeisterin. Und was ist dann das Geheimnis ihrer luftigen Teigböden?
Keine „fancy Ersatzstoffe“, stattdessen hochwertiges Backpulver, eine
Kombination aus Natron und Säure. Und sparsames Rühren.
Das ist alles? Gronski zögert und lacht. Mehr will sie nicht verraten.
Schließlich steckt viel Arbeit in der Rezeptentwicklung. Anfangs sei ihre
Küche – „nein, eigentlich die ganze Wohnung“ – mit Torten und Schüsse…
belagert gewesen. Wichtigstes Hilfsmittel: eine Feinwaage, um Zutaten aufs
Milligramm genau abzuwiegen.
Denn Backen ist Chemie. Damit ein Teig aufgeht, müssen die Bestandteile in
der richtigen Reihenfolge und im passenden Tempo vermischt und anschließend
bei exakter Temperatur gebacken werden. Nur so verwandelt sich eine zähe,
kompakte Masse in luftigen Kuchen oder blättriges Gebäck. Um jene über
lange Zeit perfektionierten Abläufe ohne tierische Produkte nachzustellen,
braucht es einige Geduld und viel Feingefühl.
„Was wir machen, geht eigentlich schon in die molekulare Richtung“, sagt
Jacintha Talmon Gros, Gründerin [3][der veganen Patisserie „Kaek“]. Sie kam
als Quereinsteigerin ins Tortenbusiness. Aus dem anfänglichen Hobby
entwickelte sich ein Blog über vegane Hochzeitstorten. „Der war ganz
schlecht“, sagt sie und lacht. Dennoch bestellten Brautpaare bei ihr. „Die
waren wohl so verzweifelt, weil es das sonst einfach nirgends gab.“
2021 folgte ein Ladenlokal in Stuttgart, in dem sie ihre Patisserie
verkauft. Auch Talmon Gros musste viele Torten backen, bis „die richtigen
Grundformeln“ gefunden waren: „Ich war wie Daniel Düsentrieb in meiner
Experimentierküche.“ Mitunter verwendet sie tatsächlich Produkte, die sonst
in der Molekularküche zum Einsatz kommen, etwa den Verdickungsstoff Xanthan
oder pflanzliche Bindemittel wie Guarkernmehl.
Natürliche Rohstoffe verleihen Farbe
Man müsse überlegen, welche Funktion die jeweilige Zutat in der
Ausgangsrezeptur habe und dann entsprechende Ersatzrohstoffe finden, sagt
sie. „Im Zweifelsfall auch mehrere, da jeder eine andere Funktion ausübt.“
Beim Ei zum Beispiel brauche es einen fürs Mundgefühl, einen anderen, der
Fett und damit Geschmack liefert, einen dritten für die gelbliche Farbe und
einen vierten, der – anstelle des Lecithins – den Teig bindet. Auch dabei
greift Talmon Gros auf pflanzliche Mittel zurück. Und die Farbe? „Entsteht
durch die natürlichen Rohstoffe, die auch die Geschmacksbasis bilden.“
Wer nach veganer Patisserie sucht, stößt schnell auf „Raw Baking“, ein
Konzept, das in Australien und Kalifornien groß wurde. Die Zutaten werden
dabei nicht gebacken, sondern lediglich gemischt. Dadurch, so die Theorie,
bleiben mehr Aromen und Nährstoffe erhalten. Angewandt wird das Prinzip
etwa von Dirk und Eva Johnston in ihrem 2020 [4][gegründeten Start-up
„Épique“], in dem sie elegante Kuchenschnitten herstellen, vegan, roh,
glutenfrei, ohne raffinierten Zucker.
Die Idee zur eigenen Backstube entstand, weil Eva Johnston nichts Süßes
fand, das ihren Ernährungsgewohnheiten entsprach. Der Onlineshop, über den
sie und ihr Partner ihre Kreationen mittlerweile an Kunden im ganzen Land
verkaufen, entstand aus der (Corona-)Not. „Innerhalb von ein paar Stunden
war alles ausverkauft“, sagt Dirk Johnston.
Als Basis dienen meist Cashewnüsse, die für mehrere Stunden in leicht
gesalzenes Wasser eingelegt wurden. Dadurch kommt eine Fermentation in
Gang, die Nüsse beginnen zu keimen und werden besser verdaulich. Durch
langes Rühren entsteht eine cremige, homogene Masse mit „toller
Cheesecake-Konsistenz“, schwärmt Dirk Johnston. Für veganes Karamell nehmen
sie Datteln und Tahini, für die Schokoganache dienen Kokosöl und
Ahornsirup.
Mischen und kühlen, das klingt einfach. „Theoretisch ist es das auch. Zwei
Dinge machen es aber schwierig“, erklärt der Fachmann. Zum einen gebe es
kaum Wissen und erprobte Methoden. Die kunstvollen Schnitten seien das
Ergebnis vieler schlafloser Nächte, die das Paar in einer gemieteten Küche
im Voralpenland verbrachte. Um seidige, homogene Cremes herzustellen,
brauche es außerdem große Mengen – und Maschinen. „Ohne eine gewisse Masse
kann man nicht genug Zug kreieren“, erklärt Dirk Johnston. Das sei wie bei
einem spärlich befüllten Mixer, bei dem der Inhalt in kurzer Zeit in
Klumpen am Deckel klebt.
Manchen liegt das „rohe Backwerk“ schwer im Magen
Auch Jacintha Talmon Gros hat mit Raw Baking experimentiert, sich
allerdings schnell davon verabschiedet. Als Grund nennt sie die teuren und
gehaltvollen Rohstoffe: „Das liegt ziemlich schwer im Magen.“ Diese
Rückmeldung hätten sie von ihren Kunden nicht bekommen, sagt Épique-Gründer
Dirk Johnston. Die Stücke seien nahrhaft, dadurch verspüre man nicht den
Drang, immer mehr zu essen. „Nach einem Slice sagt der Körper: Danke, das
reicht.“ Zu ihren Kunden zählten nicht nur Veganer, sondern auch
ernährungsbewusste Sportlerinnen und Leute, die Neues ausprobieren wollten.
Noch ist die vegane Patisserie eine Nische. Akzeptanz und Interesse wüchsen
aber, sagt die Düsseldorfer Patissière Florentine Gronski. Manche
Brautpaare erzählten ihren Gästen erst hinterher, dass die Torte vegan war.
„Gemerkt hat es noch nie jemand.“
30 Oct 2022
## LINKS
[1] https://www.lafiorentina.de/
[2] /Kolumne-Pflanzen-Essen/!5529501
[3] https://www.instagram.com/the_kaek/?hl=de
[4] https://epiqueraw.com/
## AUTOREN
Verena C. Mayer
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