| # taz.de -- Auswirkungen auf Wälder: Stickstoffproblem wird verstärkt | |
| > Massive Stickstoffeinträge gefährden die Wälder. Trockenzeiten und | |
| > Dürreperioden vergrößern die schädliche Wirkung des Stickstoffs. | |
| Bild: Der Nationalpark Hainich in Thüringen mit Deutschlands höchstem Baumkro… | |
| Ungesehen rieselt der Stickstoff in den Wald, düngt Bäume, Sträucher, | |
| Kräuter und verändert die Artenvielfalt im Wald. Flechten und Moose leiden | |
| besonders, da sie Wasser und den im Regen gebundenen Stickstoff über die | |
| Blätter aufnehmen. Wo Moose absterben, machen sich stickstoffliebende | |
| Brombeeren und Brennnesseln breit. Haben die beiden Pflanzenarten den | |
| Waldboden erst einmal durchdrungen, haben andere krautige Arten keine | |
| Chance. | |
| Moose sind jedoch für das Waldinnenklima entscheidend. Sie speichern wie | |
| ein Schwamm große Mengen Wasser, das sie nach und nach in das Ökosystem | |
| abgeben. Ohne Moos ist also im Wald nicht viel los in trockenen Zeiten. | |
| [1][Zuviel Stickstoff schädigt auch die Bäume] und damit den wirtschaftlich | |
| genutzten Forst. Bäume wachsen schnell, wenn die Wurzeln an viel Stickstoff | |
| im Boden gelangen. Sie schießen in die Höhe, was sich forstwirtschaftlich | |
| zunächst gut anhört. | |
| Zum Verständnis: Stickstoff ist einer der entscheidenden Nährstoffe, mit | |
| dem Pflanzen und Tiere Zellen aufbauen. Bäume, Gräser, Sträucher ziehen den | |
| Stickstoff mit den Wurzeln aus dem Boden, in den Regenwürmer, Asseln und | |
| andere wirbellose Tierchen und Mikroben den Stickstoff eingearbeitet haben. | |
| Da Bäume den lebensnotwendigen Stickstoff nicht selbst aus dem Boden lösen | |
| können, helfen ihnen Mykorrhizapilze und Bakterien. Die Mykorrhiza leiten | |
| durch haarfeine Fäden den Stickstoff zu den Wurzelfäden und erhalten dafür | |
| Zucker von den Bäumen. | |
| Doch entwickeln insbesondere Fichten starke Kronen und wenige Wurzeln, wenn | |
| sie viel Stickstoff im Boden finden. Mit starken Kronen und schwachen | |
| Wurzeln knicken sie schneller ein. Auch verholzen die Bäume mit schnell | |
| verfügbarem Stickstoff im Boden nicht. Sie wachsen eher fluffig – und | |
| brechen dann schnell, wenn der Wind rüttelt oder Schnee auf ihnen lastet. | |
| Und die Bäume ziehen durch ihr schnelles Wachstum viele andere Nährstoffe | |
| wie Phosphor oder Calcium mit aus dem Boden, wenn sie dank Stickstoff | |
| wuchern. Stickstoffhaltige Böden laugen aus und versauern, was ebenfalls | |
| viele Pflanzen und Bodenlebewesen nicht vertragen. | |
| ## Wurzelwerk nicht voll ausgebildet | |
| In trockenen Zeiten stehen die hochgewachsenen Bäume dann ohne | |
| weitverzweigte und tiefreichende Wurzeln, die noch in unteren | |
| Bodenschichten Wasser aufspüren könnten. | |
| Die trockenen Zeiten verstärken das Stickstoffproblem in Deutschland, das | |
| landestypische Nichtstun im Klimawandel verschärft die Krise. Das betrifft | |
| alle Ökosysteme, doch bleiben wir im Wald. In der Trockenheit werfen | |
| Laubbäume die Blätter frühzeitig schon im Juli oder August ab, um sich vor | |
| dem Austrocknen zu schützen. Die Bäume haben keine Zeit, Nährstoffe wie | |
| Stickstoff und das Chlorophyll zurückzuziehen, also fallen die Blätter | |
| grün. Ebenso wie Halme und Äste bleiben die Blätter auf dem Boden liegen, | |
| da Regenwürmer und andere wirbellose Zersetzer in Trockenstarre auf den | |
| Regen warten. | |
| „Bei einer Wiederbefeuchtung fangen die Mikroorganismen wieder an aktiv zu | |
| werden, setzen schnell Stickstoff frei, den die Bäume im späten Herbst und | |
| Winter nicht aufnehmen können“, sagt Alexander Tischer, | |
| Forstwissenschaftler und Bodenkundler an der Universität Jena. In | |
| Buchenmischwäldern und einem Fichtenbestand des Hainich (Thüringen) | |
| untersuchen er und das Bodenkundeteam der Uni Jena seit 2014 den Waldboden. | |
| Die Geräte der Bodenkundler:innen messen Feuchtigkeit, Stoffflüsse, | |
| Nährstoffeinträge unter Buchen, Ahorn und Fichten. In der extremen Dürre | |
| 2018 las Alexander Tischer von den Messstellen im August 14 Prozent | |
| Feuchtigkeit im Boden. Wüste, in der das Bodenpersonal unter den | |
| Regenwürmern und Springschwänzen erstarrt. | |
| Im Winter 2018, als alles wieder nass war, maß Tischer 140 Kilogramm | |
| Stickstoffaustrag pro Hektar im Buchenwald. Das ist fünf Mal mehr als | |
| üblich. Auch unter Fichten und Ahorn waren die Stickstoffmengen im | |
| Bodenwasser mehrfach höher als in gemäßigten Jahren und lagen bei 125 | |
| Kilogramm Stickstoff pro Hektar unter Ahornen und 119 kg/ha unter Fichten. | |
| „Solche Stickstoffmengen pro Hektar sind eher in landwirtschaftlichen | |
| Systemen typisch“, sagt Tischer. „Für Wälder ist das sehr viel.“ | |
| Im trockenen Sommer stehen die Nährstoffe den Bäumen also nicht zur | |
| Verfügung. Und im Herbst und Winter können die Bäume den Stickstoff nicht | |
| aufnehmen, da sie in der Zeit nicht wachsen. Und wie in den | |
| landwirtschaftlichen Böden schädigen die enormen Stickstoffmengen den | |
| Boden, versauern die Erde oder rauschen mit dem Regen davon. Der Stickstoff | |
| gelangt mit dem Wasser in tiefere Schichten, im schlimmsten Fall ins | |
| Grundwasser und über Bäche und Gräben in die Flüsse und Seen. Und | |
| beschleunigt dort das Wachstum von Algen und stickstoffliebenden | |
| Wasserpflanzen. | |
| Stickstoff ist für das Wachstum der Bäume und Wälder ebenso entscheidend | |
| wie das Klima, hat Waldökosystemforscherin Sophia Etzold von der | |
| Eidgenössischen Forschungsanstalt Wald, Schnee und Landschaft der Schweiz | |
| herausgefunden. Etzold nennt 30 Kilogramm Stickstoff pro Hektar jedoch | |
| einen „tipping point“. Ab dann werden die Auswirkungen auf das Baumwachstum | |
| und den Wald negativ, schreiben Etzold und ihre Kolleg:innen. Die deutsche | |
| Bundesregierung hat sich schon vor Jahren vorgenommen, den Stickstoffgehalt | |
| im Boden auf 70 Kilogramm pro Hektar zu begrenzen. Und schafft es nicht. Im | |
| Mittel liegen 90 Kilogramm Stickstoff im Hektar. | |
| Die schlafenden Regenwürmer und erstarrten Springschwänze im Waldboden sind | |
| jedoch nicht daran schuld, dass Stickstoff in verschiedenen chemischen | |
| Verbindungen eine Bedrohung für das Leben geworden ist. 90 Prozent des | |
| Stickstoffs weht aus den Ställen der Massentierhaltung in Wälder, Seen und | |
| andere Ökosysteme, der Rest stammt aus den Schloten von Kohlekraftwerken, | |
| Industrieanlagen und aus dem Straßenverkehr. Schon in regnerischen Zeiten, | |
| also vor den vermehrten Dürren der Klimakrise, hatte Deutschland ein | |
| Stickstoffproblem im Wasser, an Land und in der Luft. | |
| Der Europäische Gerichtshof verurteilte Deutschland im Juni 2021 wegen | |
| jahrelanger Überschreitung der Stickoxid-Grenzwerte in mehreren Städten und | |
| Ballungsgebieten. Verantwortlich dafür waren Dieselmotoren. Das Element | |
| Stickstoff geht mit Sauerstoff, Wasserstoff und anderen viele Verbindungen | |
| ein. Als Nitrat, Feinstaub, Lachgas, Ammoniak und in anderen | |
| Erscheinungsformen tritt Stickstoff als Gas, Säure und in fester Form auf. | |
| Stickstoffverbindungen schädigen das Herz-Kreislaufsystem, versauern Böden | |
| und Seen, töten Fische und Moose und heizen den Klimawandel an. | |
| Laut Europäischer Umweltagentur sterben jedes Jahr hunderttausende Menschen | |
| vorzeitig in der EU an den Folgen von Feinstaub. In Deutschland starben | |
| demnach 53.800 Menschen im Jahr 2019 an den Auswirkungen von Feinstaub auf | |
| das Herz-Kreislauf-System und die Atemwegsorgane. | |
| In Euro ausgedrückt kostet das Stickstoffproblem Deutschland 30 Euro pro | |
| Kilogramm Ammoniak, eine der häufigsten Stickstoffverbindungen. Ammoniak | |
| stammt zu 94 Prozent aus den Tierställen der deutschen Landwirtschaft, die | |
| insgesamt für 90 Prozent des Stickstoffs hierzulande verantwortlich ist. | |
| Zum Megatonnenüberschuss Stickstoff [2][tragen auch Düngung mit | |
| Mineraldünger und Gülle] bei, Grünlandumbruch und der Ausbau der | |
| Biogasanlagen als erneuerbare Energien. | |
| Die externen Kosten der landwirtschaftlichen Stickstoffüberproduktion | |
| tragen zum Beispiel die Trinkwasserbrunnen. Knapp ein Drittel der | |
| Grundwasserkörper in Deutschland sind laut Umweltbundesamt [3][wegen Nitrat | |
| aus der Landwirtschaft] in einem „schlechten chemischen Zustand“. | |
| Die drei Ampel-Parteien haben sich im Koalitionsvertrag 2021 vorgenommen, | |
| das Stickstoffproblem aus der Landwirtschaft anzugehen. Doch die FDP | |
| blockiert die Arbeit im „Kompetenznetzwerk Nutztierhaltung“, der | |
| sogenannten Borchert-Kommission, und verschleppt eine Lösung des | |
| Stickstoffproblems. Vorrangig geht es um Abgaben auf Fleisch und eine | |
| Verringerung der Tierbestände. Mit dem Geld will | |
| Bundeslandwirtschaftsminister Cem Özdemir (Grüne) den Umbau von Ställen | |
| finanzieren und die Stickstoffemissionen der Zucht- und Mastbetriebe | |
| verringern. | |
| 21 Oct 2022 | |
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| Ulrike Fokken | |
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