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# taz.de -- Boomende Algen-Wirtschaft: Future Food aus der Ostsee
> Die EU will eine auf Algen basierte nachhaltige „Blue Bioeconomy“
> fördern. Projekte in Skandinavien und dem Baltikum zeigen, wie es gehen
> könnte.
Bild: Auch in anderen Regionen der Welt wird mit Algenwirtschaft experimentiert…
Kopenhagen taz | Vor sieben Jahren saß Mart Mere mit Freunden und ein paar
Flaschen Bier in der Sauna auf einer Insel in Estland. Der Finanzfachmann
wollte ein Unternehmen gründen, das irgendwas mit Meer zu tun hat. Und so
kommt es auch: Er wird Algenzüchter. Er recherchiert, wie man einheimische
Seealgen kultiviert oder aus dem Meer fischt. 2016 ist es so weit: Er und
seine Partner kaufen die Fabrik der Firma Est-Agar auf der estnischen Insel
Saaremaa.
Hier wird seit 1966 eine bestimmte Sorte von Agar produziert – ein
Zusatzstoff, der in Kosmetik, Medikamenten und Lebensmitteln („vegan,
koscher, halal“) zu finden ist. Er wird aus Furcellaria gewonnen, rote
Algen, die frei in der Ostsee driften. Das Geschäft floriert. Noch in
diesem November wird Mere mit neuer Technik seine Produktion verdreifachen.
Die Erzeugung bleibe nachhaltig, sagt er, weil sie nie zu viel Furcellaria
aus dem Meer nehmen.
Auf einer Konferenz im dänischen Grenaa Mitte Oktober hat der Este
WissenschaftlerInnen und Geschäftsleute aus ganz Nordeuropa getroffen.
Gäste aus Südkorea sind auch gekommen, wie Young Chul Lee, Direktor des
Marine Food Industry Research Center aus der südkoreanischen Hafenstadt
Mokpo. Dieser präsentiert die bereits hochentwickelte Algenindustrie seines
Landes und eine breite Palette von Produkten. Mit einer Ernte von 1,85
Millionen Tonnen im Jahr ist Südkorea der drittgrößte Produzent von Algen
als Wertstoff.
Der Anbau von Algen wird in Korea bereits seit dem 15. Jahrhundert
dokumentiert. Mit einem Marktanteil von 97 Prozent hat Asien einen riesigen
Vorsprung gegenüber dem Rest der Welt.
## EU4Algae und ein Aktionsplan
Europas Marktanteil liegt bei unter einem Prozent. Das soll sich nun
ändern. Eine neue „Blue Bioeconomy“ soll entstehen, die Jobs mit
Umweltschutz verknüpft. Die EU-Kommission hat dazu die Initiative
„EU4Algae“ ins Leben gerufen. Im Dezember kommt ein „Algae Action Plan“
dazu.
In Grenaa geht es hauptsächlich um die Ost- und Nordsee. Annette Bruhn,
Forscherin an der dänischen Universität Aarhus, spricht von „Multi-use
platforms“, Aquakulturanlagen innerhalb von Offshorewindparks, wo man Algen
und Miesmuscheln auf Seilen in großen Mengen nachhaltig züchten kann. Mit
positiven Nebeneffekten: Die Kombination fördert Biodiversität [1][in einer
Region, die von Überfischung belastet ist] und [2][unter Eutrophierung
leidet], also dem ungesunden Anstieg der Agrarnährstoffe Stickstoff und
Phosphor im Wasser. Algen saugen diese Chemikalien auf und reduzieren den
CO2-Wert des Meeres und tragen dadurch zum Klimaschutz bei.
## Mehrfachnutzung von Windparks
Schon nächstes Jahr soll das Pilotprojekt „Olamur“ starten. An der von
Vattenfall betriebenen Windkraftanlage Kriegers Flak zwischen Seeland und
Bornholm wird das „Multi-use“-Modell getestet. Wenn sich das als
wirtschaftlich und umweltverträglich erweist, könnten jährlich 800
Kilotonnen Muscheln sowie 230 Kilotonnen Algen in den Windparks produziert
werden.
Efthalia Arvaniti ist Programmdirektorin vom Submariner Network, einer NGO
mit Sitz in Berlin, die die „nachhaltige innovative Nutzung der
Meeresressourcen in der Ostsee“ fördert. Begeistert erzählt sie, dass
„Meeresalgen ein großes Potenzial für die Bioökonomie im Ostseeraum haben.
Wir befinden uns noch im Anfangsstadium. Wir sehen die ersten Pilotfarmen,
die Arten anbauen, die für die Ostsee relevant sind, wie Ulva (Meersalat)
und Fucus (eine Braunalge)“.
Wie wird man die Algen verwenden? [3][In der Kosmetik natürlich]. In der
Branche gäbe es einen Algen-Hype. „Food“ sei auch vielversprechend, aber
das „ist eine komplizierte Geschichte“, denn der Geschmack sei
entscheidend. „Wir sehen, dass die Verbraucher an Algen interessiert sind,
aber nicht wissen, wie sie sie zubereiten können.“
Es gebe Kommunikationsbedarf: „Leute erzählen viele Geschichten über
Wasserverschmutzung, über Schwermetalle und Nachhaltigkeit.“ Die Fachleute
sind sich aber einig: Makroalgen aus der Ostsee sind ein vielversprechender
Rohstoff für eine breite Palette von Produkten und Lebensmitteln.
Für eine blühende „Blue Bioeconomy“ gibt es noch Hürden. Zum Beispiel se…
Behörden zurückhaltend bei der Vergabe von Lizenzen für Algenzüchter, meint
Susan Holdt von der Technischen Universität Dänemark und Generalsekretärin
der International Seaweed Association. Eine weitere Herausforderung:
Algen-Nimbys, also Menschen und Organisationen, die keine Anlage vor ihrer
Küste sehen wollen. „Wir müssen das Meer kultivieren, aber auf eine gute
Art und Weise, damit es nicht wie eine visuelle Belästigung aussieht.“
Von den Ländern in der Region seien [4][Norwegen und Schweden führend bei
der Kultivierung dieser vielversprechenden Nutzpflanzen], sagt Holdt. Kommt
Deutschland voran? „Nicht so sehr. Dort ist der Anbau noch in kleinerem
Rahmen.“
27 Oct 2022
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## AUTOREN
Maurice Frank
## TAGS
Meere
Ostsee
Zukunft
Meer
Schwerpunkt Klimawandel
Landwirtschaft
Fischerei
Schwerpunkt Krieg in der Ukraine
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