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# taz.de -- Waldschäden in Deutschland: Der Forst ist abgerockt
> Ein ambitionierter Entwurf zum Waldgesetz machte Hoffnung, dann verließ
> die Ampel der Mut. Mit dem Thema könnten die Grünen aus ihrem Tief
> kommen.
Bild: Klimawandel: Baumsterben im Nationalpark Harz nahe des Brocken zwischen T…
Den Grund für Deutschlands schwache Wirtschaftskraft sah der britische
Guardian jüngst darin, dass das Land noch in analogen Industrien
wirtschaftet. Also total veraltet ist und sowohl technisch als auch geistig
in einem anderen Jahrhundert feststeckt. Brücken kaputt, Bahngleise locker,
Bäume geschädigt. Bäume?
Ja, [1][auch der Wald ist abgewirtschaftet], nicht nur Züge, Straßen,
Schulen. Auch der Zustand von Millionen vertrockneten oder kümmerlichen
Forstbäumen zeugt davon, wie abgerockt dieses Land ist. Wie wenig innovativ
an der Zukunftsgestaltung gearbeitet wird. Der Zustand der Wälder spiegelt
die Vergangenheit, in der unsere Vorfahren die Landschaft nach ihren
politischen Plänen, Ideologien und wissenschaftlichen Erkenntnissen der
damaligen Zeiten aufgebaut haben. Nur: Die Welt ändert sich, und
Deutschland lebt in alten Landschaften und überkommenen Bildern von sich.
600.000 Hektar Wirtschaftswald hat die Forstindustrie durch die Dürrejahre
2018 bis 2021 verloren. Vier von fünf Bäumen der häufigsten Forstbaumarten
Fichte, Kiefer, Eiche und Buche sind krank. Nur jeder fünfte Baum im
deutschen Wald kann dank geltender Forstpraxis mit den Folgen von Hitze und
Trockenheit leben. Die vergangenen Jahre waren ja nicht nur die
niederschlagsärmsten, sie waren auch die heißesten Jahre. Und
offensichtlich ist das Waldinnenklima in einem Großteil der
Wirtschaftswälder nicht in der Lage, die Wetterextreme auszugleichen.
Dafür verantwortlich ist die aus dem 19. Jahrhundert stammende Praxis von
Förstern, Wälder zu durchforsten, alle paar Jahre zu lichten und
Kronendächer auszudünnen. Die schweren Maschinen zerdrücken dabei die
Kapillaren in den Waldböden, sodass die Netzwerke der baumbegleitenden
Mykorrhizapilze zerstört und der Wasserhaushalt im Boden gestört werden.
Das Problem: Löcher in den Kronendächern und Forststraßen leiten heiße Luft
in den Wald und verstärken das Austrocknen der Wälder.
## Widerstand der Forstlobby
Naturnah wirtschaftende Waldbesitzer zeigen, wie sie gleichzeitig
ökologisch und ökonomisch arbeiten können. Sie lassen Bäume und andere
Pflanzen im Wald wachsen, fördern die Vielfalt im Wald, denn Ökosysteme
sind mehr als eine Ansammlung einzelner Lebewesen. Ökosysteme lernen und
entwickeln sich aus der Vielfalt ihrer Bewohner, sie spannen ein Netz, das
auch dann hält, wenn ein Fluss über die Ufer tritt oder ein Sturm wirbelt.
Bäume, Pilze, Insekten, Bakterien, Gräser, Regenwürmer und die anderen
Viecher und Pflanzen des Waldes können in naturnahen Wäldern ausprobieren,
wie sie mit den neuen Temperaturen umgehen.
Den revolutionären Grundgedanken von der tragenden Kraft ökologischer
Systeme und biologischer Vielfalt wollte Land- und Forstwirtschaftsminister
Cem Özdemir im Herbst 2023 per Novelle in das Bundeswaldgesetz pflanzen.
Hektargroße Kahlschläge wollte Özdemir verbieten. Der Waldboden sollte vor
der Zerstörung durch Maschinen geschützt, die Artenvielfalt erhöht werden.
Die Waldexperten im Landwirtschaftsministerium wollten jüngste
wissenschaftliche Erkenntnisse über die Natur des Waldes im
Bundeswaldgesetz verwurzeln. Die geplante Novelle sollte das Ökosystem Wald
schützen, damit Wälder auch im Klimawandel ökonomisch nutzbar sind. Die
Ökologie sollte die Wirtschaftskraft der Waldbesitzenden stärken. Vorbei.
Gewohnt aggressiv machten der Waldbesitzerverband und die Forstlobby
mithilfe der FDP klar, dass sie keinen Reformbedarf sehen.
Özdemir degradierte daraufhin die mutige Novelle zu einem vagen Entwurf,
der keine Sanktionen gegen die Zerstörung von Lebensgrundlagen im Wald
beinhaltet. Der nun vorliegende Entwurf überlässt es Waldbesitzern,
freiwillig Waldökosysteme aufzubauen, anstatt sie dazu zu verpflichten.
Kahlschläge sind weiter erlaubt. Zudem können die Bundesländer auch alles
ganz anders machen und das Bundeswaldgesetz so lassen, wie es ist.
Zweimal schon scheiterten Grüne und SPD an der FDP, als sie 2004 und 2010
das Bundeswaldgesetz reformieren wollten. Damals wie heute hält das
Bundeswaldgesetz weder dem Wissensstand über Waldökologie noch den
Erkenntnissen zum Artensterben und Klimawandel stand. Im 21. Jahrhundert
ist der Wald ein wichtiger Verbündeter im Kampf gegen den Klimawandel:
Wälder liefern Trinkwasser, schützen vor Überschwemmungen, kühlen die
Umgebung und erfreuen Menschen auch in trüben Zeiten.
Politisch widerspricht das Bundeswaldgesetz den geltenden Anforderungen so
komplexer Regelwerke wie dem Gesetz zur Wiederherstellung der Natur. Wald
dient dem Gesetzesgeist nach dem Waldbesitzenden und seinen
wirtschaftlichen Interessen, wie Paragraf 1 festhält: „Wald ist eine mit
Forstpflanzen bestockte Grundfläche“.
## Chance für Grüne
Damit das so bleibt, fordert der Deutsche Forstwirtschaftsrat 50 Milliarden
Euro staatliche Unterstützung, um Klimaschäden auszugleichen.
Forstwirtschaft und Waldbesitzerverband lehnen eine Ökologisierung des
Bundeswaldgesetzes ab und offenbaren, worum es ihnen geht: Subventionen
einstecken [2][und weiter in Reihe pflanzen.]
Das Bundeswaldgesetz bietet den Grünen die Chance, noch während der
Regierungszeit zu zeigen, dass es ihnen tatsächlich um den Klimaschutz
geht. Die Landtagswahlen sind verloren, die Grünen können nur noch auf die
KernwählerInnen setzen, die mit dem Attribut „grün“ etwas mit jener Partei
verbinden, der es mal um Natur, Umwelt und ein verantwortliches Leben im
Klimawandel geht.
Der Wald eröffnet den für die grünen Themen zuständigen Ministern Robert
Habeck, Steffi Lemke und Cem Özdemir die Möglichkeit, Haltung in der
Ressortabstimmung der Novelle zu zeigen und einmal noch in dieser Regierung
zu demonstrieren: Wir haben Rückgrat. Wir wissen, was Fortschritt in Zeiten
der Erderwärmung bedeutet. Mal sehen, ob es so kommt.
27 Sep 2024
## LINKS
[1] /Regierung-streitet-ueber-Waldgesetz/!6007521
[2] /Kommentar-Forstbrand-in-Brandenburg/!5530510
## AUTOREN
Ulrike Fokken
## TAGS
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