Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- Stickstoffkrise in den Niederlanden: Druck auf Bauern steigt
> Die Regierung in Den Haag bietet Landwirten und anderen
> Stickstoffverschmutzern eine Entschädigung an. Lehnen sie ab, droht eine
> Enteignung.
Bild: Bauerndemonstration in den Niederlanden im Herbst 2022 – auch für 2023…
Amsterdam taz | Die niederländische Regierung versucht, mit einen
Befreiungsschlag den jahrelangen Streit mit Bäuerinnen und Bauern um
Stickstoffemissionen in den Griff zu bekommen. Ab dem kommenden April will
sie 2.000 bis 3.000 sogenannten „Spitzenverschmutzern“ aus Landwirtschaft
und Industrie ein einmaliges Entschädigungsangebot machen. Medienberichten
zufolge sollen sie bis zu 120 Prozent des Marktwerts ihrer Betriebe
erhalten, wenn sie verkaufen. Wer sich einer Lösung verweigert, dem droht
eine Enteignung.
Laut Christanne van der Wal, Ministerin für Natur und Stickstoff der
konservative-liberalen VVD, geht es um einen Betrag „deutlich oberhalb von
100 Prozent“. Ein besseres Angebot werde es nicht geben, kündigte die
Ministerin in einem Schreiben an das Parlament an. Wer sich dagegen
entscheidet, muss danach strengere Umweltauflagen einhalten. Die besagten
Betriebe liegen in der Nähe besonders geschützter Gebiete, die zum
Europäischen Netzwerk „Natura 2000“ gehören.
An diesen Gebieten entzündete sich der langjährige Konflikt in dem Land,
das dreimal so viel Stickstoffemissionen ausstößt wie im europäischen
Durchschnitt. Am Anfang stand ein Urteil des höchsten niederländischen
Verwaltungsgerichts von Mai 2019. Demnach verstößt die frühere Praxis,
Genehmigungen für Stickstoff freisetzende Aktivitäten wie Bauprojekte
ausschließlich mit Naturschutzmaßnahmen zu kompensieren, gegen die
sogenannte [1][Flora-Fauna-Habitat-Richtlinie der EU] von 1992.
Seitdem befinden sich die dicht besiedelten Niederlande in der sogenannten
Stickstoffkrise, die immer wieder hochkocht: Um die landesweit fehlenden
300.000 Wohnungen bauen zu können, muss der anfallende Stickstoffausstoß
anderswo eingespart werden. Dabei rückt als Erstes die Landwirtschaft in
den Fokus, die vor allem durch die Ammoniak freisetzende Viehhaltung mit 61
Prozent für den größten Anteil am Ausstoß verantwortlich ist. Zur Senkung
der Emissionen will die Regierung den Viehbestand bis 2030 um 30 Prozent
verringern.
## Regierung pocht auf Erstkaufrecht
Die Landwirte fühlen sich zum Sündenbock abgestempelt, während etwa der bei
Amsterdam gelegene Flughafen Schiphol ungestraft gegen die Stickstoffregeln
verstößt. Um diesen zu entsprechen, müsste die Zahl der Flüge laut einem
Bericht des öffentlich-rechtlichen Senders NOS um ein Fünftel reduziert
werden. Nach einer ersten Protestwelle Ende 2019 hielten landesweite
Demonstrationen von Bäuer*innen [2][im Sommer vergangenen Jahres das Land
in Atem].
Die aktuellen Entschädigungspläne gehen auf einen Report zurück, den
Ex-Minister Johan Remkes im Oktober nach monatelangen Vermittlungen
präsentierte. Dabei pocht die Regierung auf ein Erstkaufrecht. Sie will
verhindern, dass stickstoffausstoßende Betriebe aufgekauft werden, um sich
die damit verbundenen Emissionsrechte zu sichern. Das geschieht bereits: Im
Dezember gab ein Sprecher des Flughafens Schiphol zu, dass der Airport
mehrere landwirtschaftliche Betriebe in den umliegenden Provinzen erworben
hat. 2021 hatte Schiphol sich noch von solchen Maßnahmen distanziert.
Langfristig erwägt die Regierung eine steuerliche Belastung von
Stickstoffemissionen. Im Januar sollen weitere Details des
Entschädigungsdeals bekannt werden. Nach aktuellem Stand müssen sich die
betroffenen Betriebe innerhalb eines Jahres entscheiden, ob sie auf das
Angebot eingehen, nachhaltiger wirtschaften oder an einen anderen Standort
umsiedeln. In letztem Fall haben sie keinen Anspruch auf Entschädigung.
Wer von keiner der drei Optionen Gebrauch macht, dem droht die Enteignung.
„Schmerzenden Herzens“, wie Ministerin van der Wal sich in ihrem Schreiben
an das Parlament ausdrückt. „Es ist ein letzter Schritt, von dem wir nicht
denken, dass er nötig ist. Sollte er doch nötig sein, werden wir uns das
zusammen mit den Bäuer*innen anschauen“, zitiert das Nachrichtenportal
nu.nl Premierminister Mark Rutte (VVD).
## Neue Proteste angekündigt
Dass die Regierung Landwirt*innen mit diesem Druckmittel zum Verkauf
drängt, ist ein Strategiewechsel. Bislang setzte die Regierung auf
Freiwilligkeit beim Aufkauf von Betrieben. Doch ihre bisherigen Angebote
zeigen wenig Resonanz. Nach einer Untersuchung der Tageszeitung Volkskrant
gingen zwischen November 2020 und November 2022 gerade einmal 31 Betriebe
darauf ein. Die staatliche Planungsbehörde für Umwelt (PBL) hält die
Möglichkeit, auf diese Weise den Viehbestand wie gewünscht zu reduzieren,
folglich für „kaum vorstellbar“.
Das nun realistischer werdende Szenario von Enteignungen sorgt für ein
bleibendes Eskalationspotenzial. Nicht wenige agrarische Akteur*innen
werfen der Regierung seit Jahren vor, dass es ihr just um Enteignungen
ginge, in Fachkreisen als „E- Wort“ verrufen. Die rechte [3][Farmers
Defence Force (FDF)] kündigte bereits für die erste Märzhälfte erneut
Proteste gegen die „rücksichtslose Katastrophenpolitik“ der Regierung an.
Dabei sei „ein Haufen Spektakel“ zu erwarten, so der FDF-Chef Mark van den
Oever. „Die Trecker werden wieder das Straßenbild bestimmen.“
6 Jan 2023
## LINKS
[1] https://www.bfn.de/abkommen-richtlinie/fauna-flora-habitat-richtlinie-ffh-r…
[2] /Bauernproteste-in-den-Niederlanden/!5861364
[3] /Bauernproteste-in-den-Niederlanden/!5862702
## AUTOREN
Tobias Müller
## TAGS
Düngemittel
Landwirtschaft
Protest
Niederlande
Landwirtschaft
Landwirtschaft
Düngemittel
Landwirtschaft
## ARTIKEL ZUM THEMA
Schädliche Dünger in den Niederlanden: Stickstoffkrise spitzt sich zu
Lässt die niederländische Regierung Öko-Auflagen für die Landwirtschaft
kippen? Der Druck auf das Kabinett steigt – auch von innen.
Auswirkungen auf Wälder: Stickstoffproblem wird verstärkt
Massive Stickstoffeinträge gefährden die Wälder. Trockenzeiten und
Dürreperioden vergrößern die schädliche Wirkung des Stickstoffs.
Bauernproteste in den Niederlanden: Stickige Stimmung
Zur Lösung der Stickstoffkrise will die niederländische Regierung nun
„Großverschmutzer“ aufkaufen. Das gestaltet sich schwierig.
Bauernprotest in den Niederlanden: Streik gegen Umweltregeln
Niederländische Bäuer*innen rufen für Freitag zu einem
15-Minuten-Ausstand auf. Sie suchen Verbündete im Kampf gegen strengere
Umweltauflagen.
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.