# taz.de -- Bauernproteste in den Niederlanden: Stickige Stimmung | |
> Zur Lösung der Stickstoffkrise will die niederländische Regierung nun | |
> „Großverschmutzer“ aufkaufen. Das gestaltet sich schwierig. | |
Bild: Mit einer Autobahnblockade protestieren Bauern gegen die Stickstoffpolitik | |
In die festgefahrene Krise um Stickstoff-Emissionen in den Niederlanden | |
scheint Bewegung zu kommen: Wie die Regierung Ende vergangene Woche | |
ankündigte, wird sie die Vorschläge von Ex-Minister Johan Remkes | |
größtenteils übernehmen. Remkes war nach stetig eskalierenden | |
Demonstrationen von Bäuerinnen und Bauern im Sommer als „Stickstoff- | |
Vermittler“ angestellt worden. | |
Sein Bericht sieht vor, 500 bis 600 Betriebe, die für hohe Stickstoff- | |
Emissionen verantwortlich sind innerhalb eines Jahres aufzukaufen und | |
möglichst großzügig zu kompensieren. Am Plan, den Stickstoff-Ausstoß bis | |
2030 um die Hälfte zu reduzieren, will die Regierung festhalten. | |
Die Mitte-Rechts-Regierung in Den Haag bestätigte nun diesen Kurs, deutet | |
aber an, für das Aufkaufen der 500 bis 600 Betriebe wohl mehr Zeit zu | |
brauchen. Christianne van der Wal, Ministerin für „Natur und Stickstoff“, | |
bezweifelte, ob der Rahmen von einem Jahr realistisch sei. Van der Wal ist | |
in der angespannten Situation der vergangenen Monate zu einer | |
Schlüsselfigur geworden: Ihre im Juni vorgestellte „Stickstoff-Karte“, die | |
angab, in welchem Gebiet die Emissionen wie stark zu senken sind, war | |
Auslöser der Proteste. Nach dem Remkes-Bericht zog sie die Karte zurück. | |
Dass die Niederlande überhaupt eine Ministerin für Stickstoff haben, zeigt, | |
wie fundamental die seit drei Jahren schwelende Krise inzwischen ist. Die | |
Stickstoffemissionen sind hierzulande mehr als dreimal so hoch wie im | |
europäischen Durchschnitt, und die intensive Landwirtschaft – die | |
Niederlande sind nach den USA der zweitgrößte Agrarexporteur – ist für 61 | |
Prozent davon verantwortlich, vor allem in Form von Ammoniak durch | |
Tierausscheidungen. | |
## Ein erster Schritt Richtung Kompromiss | |
Stickstoffoxide und Ammoniak, zu denen der Stickstoff in der Luft reagiert, | |
sind Vorläufersubstanzen von gesundheitsgefährdendem Feinstaub und Ozon und | |
schädigen Ökosysteme. Letztere sind wiederum ein zentraler Aspekt der | |
niederländischen Krise: Im Kern geht es um jene 162 Gebiete, die als Teil | |
des EU-Netzwerks „Natura 2000“ besonders geschützt werden sollen. Dieses | |
Projekt der EU-Kommission geht zurück auf die Flora-Fauna-Habitatrichtlinie | |
von 1992. Die Nähe zu „Natura 2000“ ist ein entscheidendes Kriterium bei | |
der Auswahl der Betriebe, die nun aufgekauft werden sollen. | |
Der Remkes-Bericht wird in den Niederlanden als erster Schritt eines | |
Kompromisses zwischen dem Agrarsektor und der Regierung gesehen. Dabei gibt | |
es seitens der Regierung im Prinzip nur mehr lokalen und zeitlichen | |
Spielraum um die Ziele der Emissionsreduzierung zu erreichen. Dass | |
Vermittler Remkes in seinem Bericht ausdrücklich die tiefe | |
gesellschaftliche Kluft zwischen Metropolen und Provinz kritisiert und | |
Verständnis für die Sorgen der Bäuerinnen und Bauern äußert, wird bei | |
Agrar-Organisationen und der jungen, aber schnell wachsenden Partei | |
BauernBürgerBewegung (BBB) wohlwollend zur Kenntnis genommen. | |
Hinter dieser zaghaften Annäherung verschwindet freilich, wie undeutlich | |
das weitere Vorgehen derzeit ist. Da ist zunächst die Bemerkung Remkes, es | |
gebe bereits eine Liste besagter 500 oder 600 Betriebe, was Ministerin Van | |
der Wal wenig später bestritt: Sie wisse nicht, wer die Top-Verschmutzer | |
seien. Das staatliche Institut für Öffentliche Gesundheit und Umwelt (RIVM) | |
unterhält dagegen zwei Top 100-Listen, getrennt nach Ammoniak und | |
Stickstoffoxiden. Darauf befinden sich auch industrielle Betriebe. Nach | |
einer Befragung des öffentlich-rechtlichen TV-Senders NOS sind diese nicht | |
bereit, sich aufkaufen zu lassen oder umzuziehen. In dieser Konstellation | |
liegt die Gefahr, dass die Regierung mit dem Remkes-Bericht vor allem Zeit | |
gekauft hat – ohne Lösung für die Krise. | |
Unterdessen hat die Farmers Defence Force (FDF), die zum radikalsten Flügel | |
der Proteste zählt, nach der Stellungnahme der Regierung erneute Proteste | |
angekündigt. Wann diese stattfinden, ist bisher offen. Sicher sei nur, dass | |
man „wieder wie gewohnt Gas geben“ werde, so der Vorsitzende Mark van den | |
Oever in einer Videoansprache. Der Beschluss des Ministerrats sei „völlig | |
daneben“, und die Gespräche mit der Regierung ergebnislos geblieben, da | |
„erzwungenes Aufkaufen und Zonierung“ – gemeint ist eine kartographische | |
Einteilung von Stickstoff-Obergrenzen – nicht vom Tisch seien. „Wir werden | |
in Reservate gedrängt. Aber die Bauern der Niederlande werden nicht in | |
Reservaten wohnen, und wir lassen uns nicht bevormunden.“ | |
18 Oct 2022 | |
## AUTOREN | |
Tobias Müller | |
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