# taz.de -- Hype um Smart Citys: Die Stadt ist kein Computer | |
> Die Smart City beflügelt die Fantasie der Techkonzerne, die Industrie | |
> wächst. Doch die Idee einer voll automatisierten Stadt ist gar nicht so | |
> smart. | |
Bild: Was ist das Problem, für das smarte Städte eine Lösung sein könnten? | |
Es sollte die Stadt der Zukunft werden: In Toronto wollte die | |
Google-Schwester Sidewalk Labs 2017 eine ökologische Modellsiedlung bauen. | |
Robotertaxis, beheizte Radwege, selbstfahrende Mülltonnen – so stellten | |
sich die Architekten die Urbanität von morgen vor. Doch gegen das 50 | |
Millionen Dollar teure Städtebauprojekt regte sich Widerstand. | |
Eine Bürgerinitiative machte gegen die Smart City mobil: Die Aktivisten | |
fürchteten eine Privatisierung des öffentlichen Raums und „Landnahme“ ein… | |
Techkonzerns, der seine Fühler auch in den urbanen Raum ausstrecken und | |
[1][Daten der Bewohner sammeln will]. Leben in einem Überwachungslabor? Das | |
schien den Bürgern dann doch eine dystopische Vorstellung. | |
Im Jahr 2020 hat Sidewalk Labs das Projekt offiziell eingestellt. Zur | |
Begründung hieß es, die „noch nie dagewesene ökonomische Unsicherheit“ | |
aufgrund der Coronapandemie lasse keine Fortsetzung zu. Doch die smarte | |
Stadt beflügelt weiterhin die Fantasie der Techkonzerne. Keine | |
Techkonferenz, auf der nicht auch das Thema Smart City verhandelt wird. In | |
den vergangenen Jahren ist eine riesige Industrie entstanden. Smarte | |
Beleuchtung, Parksysteme, Entsorgungsmanagement – das Sortiment an | |
„Lösungen“ ist riesig. | |
Und auch das Interesse daran ist groß. Indiens Ministerpräsident Narendra | |
Modi will in den nächsten Jahren 100 smarte Städte aus dem Boden stampfen, | |
die deutsche Bundesregierung hat ein millionenschweres Smart-City-Programm | |
aufgelegt. Städte auf der ganzen Welt nennen sich Smart City – von Boston | |
bis Buxtehude. | |
## Der Begriff „smart“ ist vor allem ein Verkaufslabel | |
Nun ist der Begriff „smart“, wie auch „künstliche Intelligenz“, vor al… | |
ein Verkaufslabel, das an jede Hardware oder Software angeklebt wird, mag | |
sie noch so stupide vor sich hinrechnen. Wenn Städte eine Park-App | |
entwickeln, gilt das schon als „smart“, auch wenn Behörden weiter hin- und | |
herfaxen. | |
Doch Techkonzerne sind sehr erfolgreich darin, ihre Produkte als Visionen | |
zu vermarkten und als Narrative im öffentlichen Diskurs zu etablieren. Mit | |
dem Konzept wird eine Vision von Städten verkauft, die sich wie ein | |
Smartphone steuern lassen. Dank der Daten, die die Sensoren im urbanen Raum | |
sammeln, sieht der Stadtplaner auf seinem Bildschirm, wo es gerade klemmt | |
und wo nachjustiert werden muss. | |
Die Idee, städtische Abläufe mit Sensorennetzwerken zu steuern, verbindet | |
den architektonischen Funktionalismus mit den Lehren der Kybernetik. Die | |
Stadt wird als eine Art Maschine imaginiert, die aus Lenkungssystemen | |
besteht und durch Rückkopplungsschleifen sich an verändernde | |
Umweltbedingungen (Markt, Verkehr, Temperatur) anpasst. In der Kybernetik | |
geht es vor allem um die Herstellung eines Gleichgewichts durch die | |
Vorhersage von Bewegungen und Beseitigung von „Störungen“. | |
Das ist nicht nur graue Theorie: So wurden im Rahmen des Projekts Cybersyn | |
1971 in Chile unter dem sozialistischen Präsidenten Salvador Allende | |
verstaatlichte Fabriken mit einem Netz von Fernschreibern verbunden, die | |
Produktionsdaten wie Energieverbrauch und Lagerbestände an zentrale | |
Großrechner sendeten. | |
## Was ist das Problem, für das smarte Städte eine Lösung sein könnten? | |
Die Planer sollten in einem „Star Trek“-artigen Kontrollzentrum sehen | |
können, wie sich die Wirtschaft in den einzelnen Sektoren gerade | |
entwickelt. Das Cybersyn-Projekt scheiterte an der mangelnden | |
Datenverarbeitungskapazität der damaligen Rechner, doch die Idee einer | |
„Entscheidungsmaschine“ lebt fort. Die Frage ist: Was ist das Problem, für | |
das smarte Städte eine Lösung sein könnten? | |
Wenn Techkonzerne, ganz dem solutionistischen Denken des Silicon Valley | |
verhaftet, „Lösungen“ anbieten, impliziert das auch, dass sie eine | |
Problemdefinition haben. Nur: Die Probleme, die ein privater Konzern | |
definiert, sind ganz andere als die, die ein Jugendverein oder die | |
Freiwillige Feuerwehr identifiziert. Cisco etwa bietet „Lösungsangebote“ | |
für Parksysteme und definiert die Parkplatzsuche als Problem. Dass aber | |
möglicherweise nicht Parkplätze, sondern Autos das Problem in Städten sind, | |
wird in den Fertiglösungen ignoriert. | |
Die Delegation stadtpolitischer Entscheidungen an Konzerne birgt nicht nur | |
die Gefahr einer Privatisierung politischer Prozesse, sondern auch einer | |
Entpolitisierung. Denn die Werte, die im Code festgelegt werden, | |
orientieren sich an rein technischen Kriterien. Finden alle | |
Roboterfahrzeuge innerhalb eines vorgegebenen Zeitlimits einen Parkplatz, | |
ist das urbane System im Gleichgewicht, dann gibt es keine Probleme. | |
Der Idealzustand der smarten Stadt ist dann erreicht, wenn alle Prozesse | |
automatisch laufen: Der smarte Mülleimer meldet, wenn er voll ist, der | |
Parksensor, wenn der Parkplatz frei ist, und das Smartphone im Auto | |
benachrichtigt die Reparaturdrohne, wenn der Fahrer über ein Schlagloch | |
fährt. Ein Beschwerdemanagement braucht es da schon gar nicht mehr, weil | |
sich das System selbst reguliert. Der Bürger ist in diesem Schaltkreis nur | |
ein Sensor unter vielen. Mit der Idee der Polis hat das nicht mehr viel zu | |
tun. | |
## Ein Baukastenmodell für autoritäre Regime | |
Die Smart-City-Agenda verfolgt nicht bloß die Utopie einer Idealstadt, | |
sondern auch die Idee einer perfekten Steuerung. Alles läuft in | |
„geordneten“ Bahnen, wie eine Modelleisenbahn. Die Frage ist daher, was in | |
der kybernetischen Logik als „Störung“ gilt. Staus? Zugverspätungen? Oder | |
auch Proteste? | |
Das chinesische Suchmaschinenunternehmen Baidu hat einen Algorithmus | |
entwickelt, der anhand von Sucheingaben bis zu zwei Stunden im Voraus | |
vorhersagen kann, wo sich eine Menschenansammlung („kritische Masse“) | |
bilden wird – eine Art algorithmische Crowd-Kontrolle. Wo gärt und wo | |
rumort es? Wo bahnt sich eine Protestkundgebung an? | |
Smart-City-„Lösungen“ sind ein Baukastenmodell für autoritäre Regime, und | |
es ist nicht auszuschließen, dass Überwachungstechnologie dazu genutzt | |
wird, Bewegungsprofile von Bürgern zu erstellen. Es ist es eine Illusion zu | |
glauben, Städte ließen sich wie ein Smartphone steuern. „Störungen“ aller | |
Art sind die Regel, und wer glaubt, man könne das [2][einfach so | |
wegprogrammieren, hat von Urbanität nicht viel verstanden.] | |
Der Harvard-Ökonom Ed Glaeser schreibt in seinem Buch „Triumph of the | |
City“, dass Städte so etwas wie soziale Suchmaschinen seien, die ähnlich | |
gepolte Menschen zusammenbringen. In gewisser Weise waren auch schon antike | |
Städte smart, in dem Sinne, als diese sozialen Systeme sehr schnell auf | |
Veränderungen ihrer systemischen Umwelt – neue Handelsrouten, Kriege, | |
Katastrophen – reagieren konnten. | |
## Keine Probleme, keine Politik | |
Die digitalen Technologien, die sich nun als Lösungen für zumeist analoge | |
Probleme ausgeben, [3][erzeugen selbst neue Probleme]: E-Tretroller, die | |
achtlos in die Gegend geworfen werden und eine Stolperfalle für blinde, | |
gehbehinderte oder alte Menschen sind. Verstopfte Straßen, die dadurch | |
entstehen, dass Algorithmen Taxis und Lieferwägen teils auf absurde | |
Leerfahrten schicken. Und: neue Verwundbarkeiten. | |
Sicherheitsforscher haben immer wieder Schwachstellen in internetfähigen | |
Geräten entdeckt, die auch in Städten zum Einsatz kommen. Im Jahr 2017 | |
wurde in der 1,2-Millionen-Einwohnerstadt Dallas das Tornadowarnsystem | |
gehackt – kurz vor Mitternacht heulten die Sirenen auf und rissen die | |
Bewohner aus dem Schlaf. Es war auch ein Weckruf, was passieren kann, wenn | |
Hacker „intelligente“ Netze angreifen. Ein Albtraum, gerade in der heutigen | |
Zeit. Darüber spricht die Smart-City-Lobby freilich nicht. | |
Stattdessen wird eine Erfolgsgeschichte nach der anderen erzählt. Bloß: Was | |
nutzen Smart Meter, wenn der Strom knapp ist? Was bringt eine smarte | |
Beleuchtung, wenn Städte aufgrund der Energieknappheit das Licht | |
ausschalten müssen? Was ist smart an einer Stadt, die nur von der | |
Optimierung her gedacht wird? | |
Eine Stadt ist kein Computer, aber immer noch das beste System, um Menschen | |
zusammenzubringen. Wenn es keine Probleme mehr gibt, gibt es auch keine | |
Politik mehr. | |
6 Oct 2022 | |
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## AUTOREN | |
Adrian Lobe | |
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