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# taz.de -- Technologieexperte über Diskriminierung: „Effizienz ist längst …
> Auch auf den ersten Blick wertfreie Technologie kann diskriminieren. Ein
> Interview mit Ben Green, der glaubt, Städte sollten nicht zu smart
> werden.
Bild: Toronto: Aus dem Viertel Port Lands will die Firma Alphabet Inc. ein High…
Die Städte der Welt wachsen und mit ihnen der Markt für neue Technologien.
Tech-Giganten wie Googles Mutterkonzern Alphabet basteln an ihrer Vision
der Stadt von morgen, US-amerikanische Kommunen werden mit den Angeboten
neuer Tech-Lösungen überschwemmt. Sie sollen das Stadtleben effizienter
machen – von der Müllentsorgung bis zur Verbrechensbekämpfung. Ben Green
beschreibt in seinem Buch „The Smart Enough City“, warum gesellschaftliche
Probleme zuerst politische Lösungen brauchen und inwiefern neue
Technologien den strukturellen Rassismus und die Ungleichheit in den USA
verstärken können.
taz.am wochenende: Herr Green, was kann Städte für sie persönlich
lebenswerter machen? Wie sieht ihre Stadt der Zukunft aus?
Ben Green: Die Problemlösung in Städten beginnt auf jeden Fall nicht mit
Technologien. Gerade jetzt, in Zeiten der Coronakrise, sehen wir hier in
den USA, wie verhärtete Ungleichheiten in den Städten zutage treten.
Besonders in New York, wo ich lebe, gibt es diese krasse Segregation.
Viertel, in denen mehrheitlich schwarze Menschen und People of Color leben,
sind viel stärker vom Virus betroffen als vornehmlich weiße Viertel. Im
Prinzip benötigen wir in den Vereinigten Staaten breite soziale Reformen.
Sidewalk Labs, eine Tochter des Google-Konzerns Alphabet, wollte in einem
Torontoer Hafenviertel eine technologisch aufgerüstete Smart City bauen.
Anfang Mai zog sich das Unternehmen aus den Planungen zurück. Was ist da
schiefgelaufen?
Das Projekt wurde von Beginn an undemokratisch aufgezogen. Die
BewohnerInnen Torontos wurden nicht danach gefragt, wie sie sich ein
solches Viertel vorstellen. Im Juni 2019 veröffentlichte Sidewalk Labs
außerdem einen Plan, der zeigte, dass sie viel mehr Fläche als ursprünglich
angekündigt entwickeln wollten. Damit hätte das Unternehmen noch weiter in
die Stadt ausgegriffen. Ich war als Experte in einem Rechtsstreit, der sich
dazu anbahnte, eingeladen, meine Einschätzung zu Fragen der Privatsphäre
des Projekts abzugeben. Bei der Datensammlung wurde Sidewalk Labs sehr
übergriffig, es gab keinerlei Garantien, dass die Daten der Menschen
geschützt sein würden.
Die Rede war von Bürgersteigen, die im Winter den Schnee automatisch
wegschmelzen, von Lieferrobotern und vielem mehr. Für technikbegeisterte
Menschen klingt das ja erst einmal interessant.
Tech-Unternehmen sind gut darin geworden, ihre Angebote als
menschenzentriert anzupreisen. Dadurch verschleiern sie aber auch Probleme
der Privatsphäre oder wer in der Stadt eigentlich Entscheidungen trifft,
wer welche Autorität hat. Sie verkaufen eine Vision der Stadt, die es den
BewohnerInnen als KonsumentInnen so bequem wie möglich machen soll, und
dringen in Herrschaftsfragen der öffentlichen Ordnung ein. Das alles greift
sehr viel tiefer als energieeffiziente Straßenbeleuchtung oder innovative
Müllentsorgung.
In Ihrem Buch „The Smart Enough City“ beschreiben Sie, dass
Tech-Unternehmen oft einen verzerrten Blick auf die Realität haben, weil
sie alles durch die Technologiebrille sehen. Sind Sie ein
Technologiepessimist?
Ich bin ein Technologierealist und frage mich, wie die Gesellschaft eine
agnostische Haltung gegenüber neuen Technologien entwickeln kann.
Besonders, wenn es um sozialpolitische Fragestellungen geht. TechnologInnen
bekommen in ihrer Ausbildung vermittelt, die Welt bestünde nur aus einer
Reihe technologischer Probleme, die allein mithilfe neuer Technologien zu
lösen sind. Wenn Städte weiterentwickelt werden sollen, darf Technologie
aber nicht die Hauptrolle spielen.
Hat ein solch technologiebezogenes Denken schon etwas Ideologisches?
So weit würde ich nicht gehen. Allerdings handelt es sich um eine Spielart
des Neoliberalismus. Smart Citys, wie sie heute angedacht werden, gäbe es
nicht ohne die Zerwürfnisse der Finanzkrise von 2008. Die Unternehmen
verkaufen ihre Datenlösungen und Technologien als budgetschonend,
effizient, sie locken die Städte mit der Aussicht, dass sie mit weniger
Personal und weniger Kosten viel mehr erreichen können. Wenn Diskurse, die
sich eigentlich um Werte drehen und darum, wie Politik gemacht werden soll,
in Diskurse über Technologie gedreht werden, findet eine Entpolitisierung
statt.
Wo zeigt sich das aus Ihrer Sicht besonders drastisch in den USA?
Im Justizsystem und in der Polizeiarbeit. Diskriminierung,
Polizeibrutalität und überfüllte Gefängnisse werden zum Teil damit
legitimiert, dass mittlerweile angeblich objektive algorithmische Lösungen
zum Einsatz kommen. Predictive Policing ist nur ein Beispiel. Weil das
Machine Learning hier mit Daten aus der Vergangenheit arbeitet, sagen
Algorithmen nicht präzise voraus, wo Verbrechen stattfinden, sondern wo sie
wahrscheinlich ermittelt werden. Daraus folgt, dass das
Kriminalitätspotenzial in Gegenden, in denen vermehrt Minderheiten leben,
überschätzt wird. In vornehmlich weißen Gegenden wird es hingegen
unterschätzt. Die Zielsetzungen der Technologie sind hier von vornherein
diskriminierend grundiert. Das lenkt davon ab, dass die Polizeiarbeit
reformiert werden müsste und dass die Polizei den Menschen helfen sollte,
anstatt sie zu bestrafen.
Städtische Verwaltungen müssen also besonders hellhörig werden, wenn
Tech-Unternehmen wertfreie Technologien anpreisen?
Absolut! Außerdem werden Städte in den USA regelrecht mit Angeboten von
Tech-Unternehmen überflutet. In Gesprächen, die ich zu meinem Buch führte,
erzählten mir städtische MitarbeiterInnen, wie genervt und gelangweilt sie
sind von Meetings mit VerkäuferInnen aus der Tech-Branche, die ihnen ein
paar Sensoren oder eine tolle App verkaufen wollen. Viele Angebote sind oft
einfach nur nutzlos.
Wie können städtische Regierungen denn sinnvolle technologische
Innovationen demokratisch abgesichert zulassen, anstatt auf vermeintlich
einfache Lösungen zu setzen, von denen nur die Unternehmen profitieren?
Die Städte brauchen Personal, das im Umgang mit Daten und neuen
Technologien ausgebildet ist. Diese Leute verstehen, welche technologischen
Lösungen hilfreich und welche schädlich sind, und können Verwaltungen dafür
sensibilisieren. Am besten vernetzen sie sich auch untereinander. Das
funktioniert in den USA ganz gut. Außerdem gibt es in einigen Kommunen
Regeln, wie neue Technologien eingeführt werden. Meistens müssen dazu
öffentliche Anhörungen abgehalten werden, und die Stadträte entscheiden am
Ende darüber. Das ist besonders wichtig, wenn es zum Beispiel um
irgendwelche Überwachungstechnologien geht. Natürlich reichen solche
Mechanismen nicht aus, sie sind aber ein guter Anfang.
Gute Anfänge haben Sie für Ihr Buch auch in Johnson County, Kansas
ausfindig gemacht. Dort gibt es ein Projekt, das vorbestrafte, psychisch
kranke Menschen davor schützen soll, wieder ins Gefängnis zu kommen, auch
mithilfe von Berechnungen durch Algorithmen.
Johnson County ist ein gutes Beispiel, wie man datenverarbeitende
Technologien einbinden kann. Allerdings beschäftigt man sich dort schon
seit geraumer Zeit damit, wie die Rolle der Polizei neu definiert werden
soll und welche Angebote den Gemeinden weiterhelfen. Über zwanzig Jahre
hinweg wurde dort ein Datenmanagementsystem entwickelt, das Informationen
aus allen möglichen sozialen Diensten zusammenträgt. Neue Technologien
kommen nicht aus dem Nichts, sie müssen auf etwas aufbauen, auf
institutionellen Kompetenzen und Strukturen.
Das bedeutet auch, dass „smart enoughe“ Städte ganz genau wissen müssen, …
sie eventuell Bedarf haben für neue Technologien, die unterstützend
eingesetzt werden können?
Städte müssen sich völlig im Klaren sein über ihre Grundprinzipien und
Ziele, wenn Technologie zum Einsatz kommen soll, ja.
Ihr Buch liest sich an manchen Stellen wie ein Lob der Ineffizienz. Würden
Sie das so stehen lassen?
Ich würde sagen, dass es viele Werte gibt, die vom Streben nach Effizienz
unterlaufen werden. Ineffizienz an sich ist nichts Gutes. Ich beziehe mich
aber auf ein paar Ideen zu dem Konzept sinnvoller Ineffizienz. Darunter
fällt zum Beispiel demokratische Meinungsbildung im Diskurs. Die ist
sinnvoll und wichtig. Aus der engstirnigen Sicht von Akteuren aber, die
alles möglichst schnell erledigen wollen, ist das natürlich ein eher träger
Prozess.
23 Jun 2020
## AUTOREN
Fabian Ebeling
## TAGS
Buch
Smart City
Technologie
Diskriminierung
Stadtplanung
Google
Schwerpunkt Rassismus
Film
Schwerpunkt Rassismus
New York
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