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# taz.de -- Zoff in der Linkspartei: Linker Rosenkrieg
> Seit Sahra Wagenknechts von der AfD bejubelten Rede im Bundestag herrscht
> offener Kampf in der Partei.
Bild: An ihr entzündet sich der Streit, mal wieder: Sahra Wagenknecht
Die Explosion fand am Donnerstagvormittag vor einer Woche im Bundestag
statt. Die Erschütterungswellen sind bis heute zu spüren. Für die
Detonation sorgte Sahra Wagenknecht, die der Regierung vorwarf einen
„beispiellosen Wirtschaftskrieg gegen unseren wichtigsten
Energielieferanten vom Zaun zu brechen“.
Die Sanktionen würden die „deutsche Wirtschaft“ ruinieren. Die AfD
applaudierte. „Sie haben recht!“ rief AfD-Fraktionschefin Alice Weidel
begeistert. Die Hälfte der Linksfraktion blieb der Show demonstrativ fern.
Die Linkspartei unterstützt eigentlich Sanktionen gegen Putin wegen des
Ukrainekrieges. Nach Wagenknechts Tirade steht man wieder als Putins fünfte
Kolonne mit AfD-nahen Postionen da.
Seitdem hagelt es Angriff und Gegenangriff, Austritte und Vorwürfe. Partei
und Fraktion sind im Ausnahmezustand. Ulrich Schneider, Geschäftsführer des
Paritätischen Wohlfahrtsverbandes und prominenter Genosse, gab sein
Parteibuch zurück. Was Wagenknecht „vom Stapel ließ, war zu viel“, so
Schneider.
Sein Austritt tut der Linkspartei derzeit besonders weh. Denn eigentlich
will diese jetzt überall zusammen mit Sozialverbänden gegen die
unbrauchbaren Entlastungspakete der Regierung demonstrieren. Ein Abgang zur
Unzeit. Genauso wie der Streit um Wagenknecht. So richtig heiß sind in
diesem Herbst bislang nur die internen Schlachten in Linkspartei und
-fraktion.
Es herrscht Streit um fast alles. Auch darüber, was warum geschehen ist.
Wieso durfte Wagenknecht, die in der Fraktion keine Funktion hat, in der im
Parlament zentralen Haushaltsdebatte überhaupt reden? Dass Wagenknecht
einen Feldzug gegen die Sanktionen führt, war bekannt, der Eklat absehbar.
KritikerInnen sehen die Verantwortung bei der Fraktionsspitze aus Dietmar
Bartsch und Amira Mohamed Ali. Beide hätten Wagenknecht als Rednerin gegen
skeptische Einwände aus der Fraktion durchgesetzt. Bartsch widerspricht:
„Der Vorschlag kam von den Haushältern und nicht von der Fraktionsspitze.
Niemand hat in der Fraktionssitzung den Antrag gestellt, dass Sahra
Wagenknecht nicht reden möge“, so Bartsch zur taz.
## Offener Brief: Wir sind es leid“
Linke Abgeordnete, die schon damals das Kommende ahnten, haben das etwas
anders in Erinnerung. Mohamed Ali habe jede Kritik lautstark
abgeschmettert. Die Fraktionsspitze wollte diese Rede. Die einzige
Bedingung war, dass Wagenknecht nicht wieder die Öffnung der Pipeline Nord
Stream 2 fordern dürfe. Bartsch, eigentlich Reformer, hat schon vor Jahren
ein Bündnis mit Wagenknecht geschlossen.
Manche linke Abgeordnete halten Wagenknecht für das größte Problem und
Fraktionschef Bartsch, der der Eigenwilligen immer wieder den Rücken frei
hält, mittlerweile für das zweitgrößte Problem der Partei. Es geht dabei um
mehr, als um Wagenknechts Egotrip. Es geht darum, wer die Fraktion führen
soll. Und wie lange es die noch gibt.
Der erste Protest nach dem Eklat im Bundestag kam von drei
Landtagsabgeordneten aus dem Osten, Katharina König-Preuss aus Thüringen,
Jule Nagel aus Sachsen und Henriette Quade aus Sachsen-Anhalt. [1][„Wir
sind es leid“], heißt ihr offener Brief. Ob es um die Aufnahme von
Geflüchteten, die Coronapolitik oder um das Verhältnis zu Russland gehe,
immer wieder schieße Wagenknecht quer.
Sie müsse aus der Fraktion ausgeschlossen werden, Mohamed Ali und Bartsch
müssten als politisch Verantwortliche zurücktreten, so die Forderung.
Ähnlich sieht es die Bundestagsabgeordnete Cornelia Möhring.
Den offenen Brief der drei Ostfrauen hat sie noch nicht unterschrieben, sie
will erst sehen, was die Fraktionssitzung am kommenden Dienstag bringt.
„Ich erwarte von der Fraktionsführung, dass Konsequenzen gezogen werden“,
sagt Möhring zur taz am wochenende. So könne es nicht mehr weitergehen. Es
gebe völlige „Führungslosigkeit der Fraktion“.
Christian Leye, früher Wagenknechts Büroleiter in NRW, heute
Bundestagsabgeordneter, zählt zu der überschaubaren Unterstützergruppe, die
Wagenknecht in der Fraktion noch hat. Die Rede war „politisch richtig und
trifft einen Nerv in der Bevölkerung“, so der Linke aus Duisburg gegenüber
der taz am wochenende. Man müsse „über Entspannung im Wirtschaftskrieg“
debattieren dürfen. Der AfD-Applaus ficht ihn nicht an: „Die NPD fordert
auch den Mindestlohn. Sind wir deshalb jetzt dagegen?“
## Das Blame Game hat begonnen
Die Wagenknecht-Anhänger sehen sich nicht als Brandbeschleuniger der
innerparteilichen Krise, sondern als deren Opfer. „Es wird eine harte Linie
gegen Wagenknecht und den Teil der Partei durchgezogen, der sich politisch
dort verortet.
Angesichts des Tempos der Eskalation kann ich keine Prognose für die
Zukunft abgeben“ so Leye. Also Spaltung der Fraktion? Das würde Leye
„bedauern“, doch wenn es so komme, gehe es auf das Konto jener, die „den
Ausschluss von Wagenknecht aus der Fraktion fordern“.
Wagenknechts Auftritt hat wie ein Katalysator gewirkt. Der Riss, der nun
sichtbar geworden ist, geht tief. Die linke Anhängerschaft ist bei den
Russlandsanktionen gespalten. Die eine Hälfte ist dagegen, die andere
dafür. Viele WählerInnen im Osten haben Sympathien für eine
putinfreundliche Haltung. Manche glauben, dass im Osten die Hälfte der
Partei und auch der Landtagsfraktionen auf Wagenknechts Seite steht – wenn
es hart auf hart kommt.
Möhring hält eine Trennung jedenfalls für besser, als einfach so weiter zu
machen. „Lieber eine Linke Gruppe im Bundestag, die klare linke Positionen
vertritt, als eine Fraktion, bei der niemand weiß, wofür sie steht“. Das
Blame Game, wer an der möglichen Trennung Schuld ist, hat längst begonnen.
Die Konsequenzen einer Abspaltung wären schmerzhaft und hart. Falls
Wagenknecht und ihre AnhängerInnen die Fraktion verlassen, würde die
Linksfraktion im Bundestag zu einer Gruppe mit weniger Rechten und weniger
Geld schrumpfen.
Schon drei Austritte reichen, damit die 39-köpfige Fraktion ihren Status
verliert. Dieses Szenario wäre einmalig in der Parlamentsgeschichte, doch
die Fraktionsführung spielt es schon durch. Welche juristischen Folgen
hätte das? Wie viele MitarbeiterInnen könnte man in diesem Fall
halten?
## Kein zweiter Wagenknecht-Fall
Die Parteiführung steht bei alldem etwas hilflos an der Seitenlinie.
Wagenknechts Auftritt hat Janine Wissler und Martin Schirdewan kalt
erwischt. Sie hatten nach dem Bundesparteitag Ende Juni in Erfurt gehofft,
die Streitereien erstmal eingedämmt zu haben.
Die Kampagne eines „heißen Herbstes der sozialen Proteste“ lief an, die
Umfragen zeigten eine zaghafte Aufwärtsbewegung. „Gerade in diesen Zeiten
braucht es eine starke Linke, vielleicht mehr denn je“, so Wissler
gegenüber der taz am wochenende. Doch stattdessen beschäftigt sich die
Partei mit sich selbst.
Die Kommunikation zwischen Partei und Fraktion ist wieder auf dem Nullpunkt
angelangt. Für Donnerstag war eine gemeinsame digitale Sitzung der
Parteispitze mit den Landesvorsitzende anberaumt. Auch die Fraktionsspitze
war dazu geladen. Doch Bartsch und Mohamed Ali kamen nicht. Jetzt sollen
sie erneut eingeladen werden.
Wie geht es nun weiter? Janine Wissler fordert: „Wer in Parlamenten für Die
Linke spricht, muss die Positionen der Partei vertreten.“ Doch der
Parteivorstand hat keine formelle Möglichkeit, das gegenüber der
Fraktionsspitze durchzusetzen. Bei der Fraktionssitzung am kommenden
Dienstag wollen manche Wisslers Forderung durchbringen. RednerInnen im
Bundestag sollen dann die Parteiposition vertreten müssen – einen Fall
Wagenknecht 2.0 soll es nicht geben.
Der öffentliche Zoff geht derweil munter weiter. Wagenknecht koffert
Parteichef Schirdewan als „Fehlbesetzung“ an. Sie sieht sich in der selbst
geschneiderten Rolle der Volkstribunin, während die „Parteifunktionäre in
ihren Twitterblasen“ lebten. Katina Schubert, Vizechefin der Partei,
kontert, Wagenknecht sei „offenkundig auf Zerstörung aus“. Der alte Spruch
„Freund, Feind, Parteifreund“ war selten so treffend.
Der Streit dreht sich auch um die Frage: Was dürfen Linke sagen? Wo ist die
Grenze des Erlaubten? Diether Dehm, Ex-MdB und treuer Vasall von
Wagenknecht, hat diese rote Linie kürzlich mit Schwung übertreten, als er
öffentlich eine Konkurrenzkandidatur bei der Europawahl 2024 forderte. Das
sei „eindeutig parteischädigend“ und müsse „zwingend zum Parteiausschlu…
führen“, sagt Katina Schubert. In der Parteizentrale will man Dehm
loswerden. „Wir prüfen unter Hochdruck einen Ausschlussantrag“, so
Schubert.
Der Zoff hat tiefere Gründe. Es geht um die existentielle Frage, was die
Linkspartei eigentlich sein soll. Eine Partei, die der AfD Konkurrenz macht
– putinaffin und EU-skeptisch? Oder eine internationalistische, weltoffene
und moderne Partei, die mit SPD und Grünen konkurriert?
Ausschluss, Fehlbesetzung, Zerstörung: Die Linkspartei hat bis jetzt jede
Krise irgendwie überstanden, mit halbseidenen Kompromissen oder einfach aus
Erschöpfung. Doch jetzt kann es anders kommen. Es ist offen, ob Bartsch mit
dem Appell an die Einheit wie immer das letzte Wort haben wird. Seine Macht
bröckelt. Besonders übel nehmen viele dem Fraktionschef seine Unfähigkeit
zu begreifen, dass Wagenknechts Auftritt ein Fehler war. Sein Fehler.
Ulrich Schneider begründete seinen Austritt intern auch damit, dass Bartsch
Wagenknecht eisern weiter verteidigt. Und auch, wenn sich wieder ein
Formelkompromiss findet – die Spaltung ist längst da. Die Frage ist, wer
Schuld hat am Zustand der Linken.
In der Partei geht es aktuell zu wie in einer ruinierten Ehe: Man erträgt
sich kaum noch gegenseitig, und wartet auf einen günstigen Zeitpunkt für
die Scheidung. Oder ist die Angst, die Wohnung und das Auto zu verlieren am
Ende doch wieder größer?
16 Sep 2022
## LINKS
[1] /Nach-verstoerender-Wagenknecht-Rede/!5881082
## AUTOREN
Stefan Reinecke
Pascal Beucker
Anna Lehmann
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Kolumne Der rechte Rand
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