| # taz.de -- Debatte um 9-Euro-Ticket in Berlin: Verkorkster Anschluss | |
| > Regierungschefin Giffey (SPD) widerspricht mit ihrem Vorpreschen nicht | |
| > nur sich selbst, sondern vergrätzt so auch Koalitionspartner und | |
| > Brandenburg. | |
| Bild: Franziska Giffey hat sich und anderen mit ihrem Vorgehen beim 9-Euro-Tick… | |
| Über das 9-Euro-Ticket und das von der rot-grün-roten Koalition in Berlin | |
| versprochene Nachfolgemodell lässt [1][sich viel streiten]. Ist es nun | |
| sinnig oder nicht, nur ein Verkaufsschlager oder tatsächlich ökologisch | |
| seine [2][Milliardenkosten] wert? Ist es eine „Brot und Spiele“-Maßnahme | |
| zur Beruhigung aufgeregter Massen oder tatsächliche Entlastung? | |
| Darüber ist in der vergangenen Wochen viel diskutiert worden, und das wird | |
| auch weiter so sein. Kaum bestreiten lässt sich aber, dass Regierungschefin | |
| Franziska Giffey (SPD) dabei ein fragwürdige Rolle eingenommen hat | |
| Denn selbst wenn das 9-Euro-Ticket sich in vertieften Untersuchungen als | |
| etwas erweisen sollte, die alles Geld der Welt wert gewesen wäre: Die, um | |
| es bildhaft auszudrücken, von Giffey dabei nun verursachten Nebenkosten war | |
| und ist es nicht wert. Denn Giffey hat mit ihrer Ankündigung einer | |
| Fortsetzung des Tickets für alle zum einen frühere Ankündigungen | |
| widersprochen und dadurch ihre Glaubwürdigkeit beschädigt. | |
| Zweitens passt ihr offenbar [3][unabgestimmtes Vorgehe]n überhaupt nicht zu | |
| früheren Aussagen, eng mit dem Nachbarland Brandenburg zusammen zu | |
| arbeiten. Und drittens trägt ihr Vorpreschen – um es vorsichtig | |
| auszudrücken – nicht dazu bei, das Vertrauen von Grünen und Linkspartei in | |
| ihren Koalitionspartner SPD zu stärken. | |
| Denn Giffey macht mit einer Fortsetzung des Billig-Tickets, was sie | |
| eigentlich nicht unterstützen wollte, nämlich ein undifferenziertes | |
| Entlastungsangebot. „Entlastungspolitik mit der Gießkanne“ [4][solle | |
| vermieden werden], sagte die Regierungschefin noch nach einer Senatssitzung | |
| Mitte August. Genau ein solches [5][„Gießkannenprinzip“] aber erkennt etwa | |
| der Berliner Landeschef des Umweltverbands BUND, Tilman Heuser, im | |
| 9-Euro-Ticket und einem Nachfolgemodell für alle. | |
| ## BUND: „Gießkannenprinzip“ | |
| Viel besser findet Heuser, [6][wie er jüngst der taz sagte], wenn nur | |
| Einkommensschwache beim Ticketkauf deutlich weniger zahlen würden. Das | |
| übrige Geld sollte aus seiner Sicht in Maßnahmen wie eine | |
| Jobticket-Kampagne oder Energiesparberatungen und grundsätzlich in der | |
| Ausbau des öffentlichen Nahverkehrs gehen. | |
| Zudem hat Giffey viel Vertrauen bei den Brandenburger Nachbarn verspielt. | |
| Nach ihrer Amtsübernahme hatte die Regierende Bürgermeisterin eine enge | |
| Zusammenarbeit mit dem Umland betont. [7][Ihre erste Dienstreise ging nach | |
| Potsdam], die beiden Regierungen tagten auch schon zusammen; immer wieder | |
| war von der gemeinsamen Metropolenregion zu hören. | |
| Wie konnte es dann passieren, dass Giffey in einem – zumindest in der | |
| öffentlichen Diskussion – so zentralen Thema wie dem 9-Euro-Ticket nicht | |
| vorab in Potsdam durchklingelt und versucht, den dortigen | |
| Ministerpräsidenten und ihren SPD-Genossen Dietmar Woidke mit ins Boot zu | |
| holen? Denn nach Brandenburger Darstellung war der Vorstoß nicht | |
| abgesprochen. Woidke selbst forderte stattdessen ein „bundeseinheitliches, | |
| attraktives und seriös finanziertes Modell“. | |
| Die Frage nach der ausgebliebenen vorherigen Abstimmung stellt sich umso | |
| mehr, weil Giffey und Woidke mehr als die gemeinsame SPD-Mitgliedschaft | |
| verbindet: Der Brandenburger SPD-Chef gilt als einer derer, die dafür | |
| sorgten, dass die damalige Neuköllner Bezirksstadträtin 2018 plötzlich | |
| Bundesfamilienministerin wurde. | |
| ## Das Vertrauen hat gelitten | |
| Nicht zuletzt aber hat auch das Vertrauen in der Koalition gelitten, umso | |
| mehr, weil der SPD-Vorstoß schon vor der Koalitionssitzung bekannt wurde, | |
| in der es doch gerade um dieses Thema gehen sollte. Grünen-Fraktionschef | |
| Werner Graf sprach sich dagegen aus, ein neues Ticket auf den Markt zu | |
| bringen, bevor auf Bundesebene eine Anschlusslösung für das 9-Euro-Ticket | |
| geklärt ist. Und war mit dieser Bewertung nicht weit weg von Giffeys | |
| Parteifreunden in der Brandenburger SPD-Fraktion. Von dort hieß es am | |
| Dienstag: „Wir brauchen eine bundeseinheitliche Lösung, keine Sonderwege | |
| einzelner Länder.“ | |
| Mit einem Vorstoß gleich an drei Seiten nicht bloß Porzellan zu | |
| zerschlagen, sondern Vertrauen zu schädigen, ist schon eine Leistung. In | |
| einem Arbeitszeugnis, in dem nichts offen Negatives stehen darf, könnte es | |
| dazu allenfalls heißen: „Das muss man erst mal schaffen.“ Giffey hat so | |
| manches geschafft in der Politik, was sich tatsächlich und ohne | |
| Beschönigung zu beklatschen lässt. Ihr Vorgehen beim 9-Euro-Nachfolgemodell | |
| aber ist das Gegenteil davon. | |
| 3 Sep 2022 | |
| ## LINKS | |
| [1] /Franziska-Giffey-auf-erster-Dienstreise/!5826437 | |
| [2] https://www.br.de/nachrichten/deutschland-welt/bundestag-beschliesst-millia… | |
| [3] /Trotz-Giffey-Telefonats-mit-Woidke/!5874942 | |
| [4] /Berliner-Senat-reagiert-auf-Gasknappheit/!5871850 | |
| [5] /Debatte-ueber-9-Euro-Ticket-in-Berlin/!5874820 | |
| [6] /Debatte-ueber-9-Euro-Ticket-in-Berlin/!5874820 | |
| [7] /Franziska-Giffey-auf-erster-Dienstreise/!5826437 | |
| ## AUTOREN | |
| Stefan Alberti | |
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