# taz.de -- 9-Euro-Nachfolgeticket in Berlin: Der Zauber des Anfangs ist weg | |
> Berlins Alleingang beim Billigticket belastet die viel beschworene Nähe | |
> mit Brandenburg. Mit etwas Fingerspitzengefühl wäre das vermieden worden. | |
Bild: Schienen gemeinsam auf Kurs, bis das Ticket-Gezerre kam: die Nachbar-Län… | |
Warum? Warum ohne Not ein Verhältnis belasten, das gerade aufzublühen | |
schien? Warum ohne Not eine – in Luftlinie – nur 30 Kilometer vom Roten | |
Rathaus entfernt sitzende Nachbar-Landesregierung vergrätzen? Wieso viele | |
Brandenburger in ihrer Überzeugung bestätigen, die Berliner schon immer ein | |
Dominanzstreben unterstellten? | |
Das sind mehr als berechtigte Fragen [1][nach dem Alleingang des | |
rot-grün-roten Berliner Senats beim 9-Euro-Nachfolgeticket]. Man sei nicht | |
einbezogen worden, es habe keine Gespräche gegeben, nicht nachvollziehbar | |
sei das Berliner Ansinnen, ein Affront für das Nachbarland sei das – das | |
alles war nicht etwa nur von der in Potsdam, aber nicht in Berlin | |
mitregierenden CDU zu hören. | |
Nein, auch Daniel Keller, SPD-Fraktionschef im brandenburgischen Landtag, | |
machte klar: „Wir brauchen eine bundeseinheitliche Lösung, keine Sonderwege | |
einzelner Länder.“ Allein die Brandenburger Grünen äußerten innerhalb der | |
rot-schwarz-grünen Koalition Verständnis für ihre Berliner Kolleginnen und | |
Kollegen. | |
Dabei hatte man vorher lange das Gefühl, dass die politischen Spitzen | |
beider Bundesländer, Franziska Giffey und Dietmar Woidke, ein Herz und eine | |
Seele waren. Eine geborene Brandenburgerin im Roten Rathaus, deren Bruder | |
und Vater weiter in Briesen nahe Frankfurt/Oder eine Autowerkstatt | |
betreiben, schien der Garant dafür, dass die auch zuvor schon zu hörenden | |
Sätze von der gemeinsamen Metropolenregion mehr als Floskeln sein würden. | |
Woidke wiederum war bei Giffeys Wahl im Abgeordnetenhaus Ende 2021 dabei; | |
er hatte kurz davor den Berliner SPD-Landesparteitag besucht. Woidke gilt | |
zudem als einer derjenigen, die Giffey einst den Weg ins | |
Bundesfamilienministerium ebneten. | |
Wieso also all das konterkarieren? Die Antwort ist schlicht: Aus | |
Eigeninteresse. So sehr Berliner Politikerinnen und Politiker auch in den | |
vergangenen Tagen und Wochen betonten, an einer gemeinsamen Lösung mit | |
Brandenburg interessiert zu sein: Sie machten letztlich nicht den Eindruck, | |
dieser Gemeinsamkeit wegen Abstriche von ihren eigenen Vorstellungen zu | |
machen – entweder würden die Brandenburger mitmachen oder Berlin die Sache | |
alleine durchziehen, trotz gemeinsamen Verkehrsverbunds. | |
## Zurück zum Gießkannenprinzip | |
Vor allem der SPD-Fraktionschef im Abgeordnetenhaus, Raed Saleh, drängte | |
mantrahaft darauf, der Staat müsse [2][den Bürgern etwas zurück geben, das | |
Geld sei da]. Dass das beim 9-Euro-Nachfolgeticket nicht zielgenau, sondern | |
nach dem „Gießkannenprinzip“ passierte, wie etwa der Berliner BUND-Chef und | |
langjährige Landespolitik-Kenner [3][Tilmann Heuser feststellte], war den | |
entscheidenden Köpfen egal. | |
Dabei lag eine Alternative nahe, wenn man es denn ernst meinte mit echter | |
Entlastung, konzentriert auf die weniger Begüterten: Nicht ein | |
29-Euro-Ticket für alle, sondern das Sozialticket – bisher für 27,50 Euro | |
zu haben – für knapp den halben Preis anzubieten. Und zwar für eine größe… | |
Gruppe als bisher, nämlich für alle, die Anspruch auf einen | |
[4][Wohnberechtigungsschein der höchsten Kategorie 180] haben. Das hätte | |
grob gerechnet halb Berlin erfasst. | |
Das wäre es vielleicht wert gewesen, einen Streit mit Brandenburg zu | |
riskieren. Doch für das, was Brandenburgs CDU-Fraktionschef Jan Redmann | |
jetzt zurecht „Wahlgeschenk“ nannte, gilt das nicht. Ein Alleingang konnte | |
im Nachbarland nur daran erinnern, dass Berlin sich schon immer in einer | |
anderen Liga wähnte und in der Wahrnehmung des Umlands schon zu DDR-Zeiten | |
vorrangig versorgt wurde. Dieser skeptische Blick auf die Bundeshauptstadt | |
sorgte bereits 1996 dafür, dass die damals geplante Länderfusion in | |
Brandenburg [5][bei einem Volksentscheid klar scheiterte.] | |
Wie also jetzt weiter? Brandenburgs Ministerpräsident Woidke ist natürlich | |
zu sehr Profi, um offen vergrätzt gegenüber Berlin aufzutreten. Aber die | |
besondere Stimmung und Chance, die sich daraus ergab – besser: zu ergeben | |
schien -, dass zwei Menschen an der Spitze ihrer Bundesländer standen, die | |
sich sichtlich gut verstanden, dürfte erstmal Vergangenheit sein. | |
16 Sep 2022 | |
## LINKS | |
[1] /Nachfolger-fuer-9-Euro-Ticket-in-Berlin/!5877588 | |
[2] /Berliner-SPD-Chef-kritisiert-Ampel/!5873150 | |
[3] /Debatte-ueber-9-Euro-Ticket-in-Berlin/!5874820 | |
[4] https://www.gesobau.de/mieten/wohnberechtigungsschein.html | |
[5] https://de.wikipedia.org/wiki/Berlin-Brandenburg#Volksentscheid | |
## AUTOREN | |
Stefan Alberti | |
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