# taz.de -- 29-Euro-Ticket in Berlin: Eine ziemlich wacklige Brücke | |
> Von wegen zielgerichtete Hilfen: Vor dem Erwerb des neuen Billig-Abos tun | |
> sich zahlreiche Hürden auf. Vielen dürften die zu hoch sein. | |
Bild: Wenn's denn mal so einfach wäre: Das 29-Euro-Ticket gibt es so eigentlic… | |
Wie gut ist eigentlich ein Produkt, vor dessen Erwerb man erst einmal ein | |
seitenlanges FAQ (also eine Sammlung der häufigsten Fragen sowie die | |
Antworten darauf) studieren muss? Kommt drauf an. Handelt es sich um einen | |
hochwertigen Laptop, ein E-Auto oder ein Wärmepumpen-Leasing, geht das in | |
Ordnung. Bei einem maximal drei Monate gültigen Fahrschein-Angebot eher | |
nicht. | |
Dass derzeit viele Medien versuchen, die Abgründe des Berliner 29-Euro-Abos | |
(vulgo: 29-Euro-Ticket, was so aber nicht stimmt) auszuloten und den | |
[1][FAQs von BVG und S-Bahn] eigene hinzufügen ([2][auch die taz]), ist | |
kein Wunder. Schließlich kann der Abschluss eines verbilligten | |
Umweltkarten-Abos mit Sonderkündigungsrecht selbst gestandene | |
RedakteurInnen ins Schwitzen bringen. Zumal solche, die nicht längst | |
eingefleischte ÖPNV-KundInnen sind. | |
Gerade für Menschen ohne Fahrkarten-Abo sollte aber das im rot-grün-roten | |
Senat ausgekungelte Angebot attraktiv sein – sie will man doch in großer | |
Zahl zum Umstieg auf die Öffentlichen locken. Was zumindest bei all jenen | |
eher scheitern wird, die wenig Erfahrung mit Abonnements haben oder ungern | |
ellenlanges Kleingedrucktes lesen. Diese mangelnde Einfachheit ist einer | |
der großen Unterschiede zum verblichenen 9-Euro-Ticket, das zudem für | |
weniger Geld sehr viel mehr bieten konnte. | |
Insofern ist es fast erstaunlich, dass BVG und S-Bahn zum Start des | |
Gültigkeitszeitraums auf rund 40.000 Neuabos verweisen können. Wobei: So | |
viel ist das nun auch wieder nicht – in einer Stadt wie Berlin, in der es | |
gleichzeitig fast 115.000 SeniorInnen gibt, deren Fahrkarten vom | |
29-Euro-Sondertarif nicht profitieren – oder zumindest nur, wenn sie sich | |
auf ein Prozedere aus Produktwechsel, Kündigung und Neuabschluss einlassen, | |
das viele ältere Menschen abschrecken dürfte: weil sie die Schlangen in den | |
Kundenzentren ebenso fürchten wie die Tücken des Digitalen. | |
## Ist so etwas „zielgerichtet“? | |
Dass es auch für die sozial Schwachen im Rahmen des Senats-Sonderangebots | |
keine weitere Rabattierung gab ([3][die könnte nun, vielleicht, zum 1. | |
Januar kommen]), gleichzeitig aber vielen Stamm-AbonnentInnen insgesamt bis | |
zu 103 Euro erlassen werden, die das vielleicht gar nicht brauchen – das | |
ist zwar in Zeiten hoher Inflation immer noch eine Entlastung, aber nicht | |
unbedingt eine [4][„zielgerichtete“, wie Grünen-Chef Ghirmai der taz | |
sagte]. | |
Und warum kommt die Überbrückung bis zu einem günstigen bundesweiten | |
Nahverkehrsticket jetzt so verschroben rüber? Das hat einige Gründe: die | |
Genese des Versprechens als politisches Druckmittel der SPD auf die | |
Koalitionspartnerinnen (manche unken: weil die Wahlwiederholung am Horizont | |
dräute), die rechtlichen Verstrickungen, die eine simplere | |
Einzelticket-Lösung offenbar unmöglich machten, und schließlich die | |
fehlende Zeit, die die teilnehmenden Verkehrsunternehmen unter gehörigen | |
Stress versetzt hat. | |
Bleibt abzuwarten, ob die Brückenlösung am Ende überhaupt eine ist: Denn | |
wer weiß schon, ob sich Bund und Länder wirklich rechtzeitig auf ein | |
finanzierbares und für alle akzeptables Modell eines | |
„9-Euro-Nachfolge-Tickets“ durchringen können. | |
1 Oct 2022 | |
## LINKS | |
[1] https://www.bvg.de/de/tickets-und-tarife/29-euro-aktion/29-euro-faq | |
[2] /Trickreiches-29-Euro-Angebot-in-Berlin/!5880442 | |
[3] https://www.vbb.de/presse/vbb-aufsichtsrat-geplante-tarifanpassung-fuer-202… | |
[4] /Berlins-Gruenenchef-zu-Wahlwiederholung/!5884935 | |
## AUTOREN | |
Claudius Prößer | |
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