Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- Filme aus Japan und Irland im Wettbewerb: Lieben auf Japanisch
> Lidokino 7: Komplizierte Familienverhältnisse inszeniert Kōji Fukada. Den
> Irlandkonflikt als Allegorie zeigt Martin McDonagh in Venedig.
Bild: Es herrscht Kälte, weil die Erwartungen zu hoch sind: Japanische Familie…
Es sieht alles ganz unkompliziert aus bei den Eheleuten Taeko und Jirō und
dem Sohn Keita. Die Geburtstagsfeier von Jirōs Vater steht an, Freunde
helfen bei den Vorbereitungen, es soll eine Überraschung für den Jubilar
geben. Doch schon nach den ersten Minuten des Films „Love Life“, mit dem
der [1][japanische Regisseur Kōji Fukada] im Wettbewerb von Venedig
angetreten ist, schleichen sich Zeichen ein, dass die scheinbare Harmonie
eher Fassade ist und einige Schieflagen in der Familie lauern.
Von einem Familienkonflikt auf der Feier steuert Fukada die Handlung binnen
kürzester Zeit in eine Katastrophe, nachdem er dem Publikum zwischendurch
einige Momente von unbeschwert anmutender Komik gegönnt hat. Danach ist bei
dem Paar, das sich als Patchworkfamilie herausstellt, sehr zum Missfallen
der Eltern Jirōs, alles anders. Und es wird noch einmal anders, als der
leibliche Vater von Keita auftaucht, der ganz eigene Probleme mit sich
herumschleppt.
## Kälte in Paaren
„Love Life“ zeigt die Kälte, die zwischen Partnern herrschen kann, wenn es
zu viel an äußeren Erwartungen gibt, die an sie gestellt werden, und
versinnbildlicht dies mit der schuhkartonartigen Wohnung, in der Taeko und
Jirō wohnen, die mit ihren bodentiefen Fenstern völlig transparent wirkt,
in der die Schwierigkeiten jedoch unsichtbar hinter den diskreten
Schubladen an den Wänden lauern. Ähnlich verschlossen hat sich das Paar in
seinem Alltag eingerichtet und wacht erst langsam aus dieser habituellen
Lähmung auf.
Fukada, der in seinem Film „Harmonium“ von 2016 schon eine ähnlich
verwickelte Familiengeschichte erzählte, schaltet mit nüchterner Härte die
tragischen Momente im Leben des Paars gegen feine Situationskomik und weiß
hervorragend ökonomisch zu erzählen. Kleine Details ergeben mitunter erst
sehr spät ihren Sinn, bei aller Klarheit der Inszenierung entpuppt sich das
Liebesleben, das besichtigt wird, als nahezu heilloses Durcheinander. Ein
weiterer Höhepunkt des Festivals.
## Eine Spur zu geschliffen
Übersichtlicher, dafür aussichtsloser gestaltet sich ein Konflikt zwischen
zwei Freunden, von dem Martin McDonaghs Wettbewerbsbeitrag „The Banshees of
Inisherin“ handelt. Der irische Regisseur lässt seinen Film auf einer nicht
weiter benannten Insel vor dem Festland Irlands spielen, man schreibt das
Jahr 1923, in dem der Bürgerkrieg im Land endete. Vom Krieg hört man
lediglich ferne Kanonenschläge, stellvertretend dafür sind die Freunde Colm
(Brendan Gleeson) und Pádraic (Colin Farrell) zu Beginn des Films plötzlich
ohne erkennbaren Grund über Kreuz und werden es für lange Zeit bleiben.
Der Film ist eine als solche gut erkennbare Allegorie auf die Zerrissenheit
des Landes, souverän gespielt von den beiden Hauptdarstellern, die auch
schon in McDonaghs „Brügge sehen … und sterben?“ von 2008 Seite an Seite
spielten. Die von McDonagh verfassten Dialoge sind wie gewohnt pointiert
geschliffen, vielleicht eine Spur zu geschliffen, um seinen Figuren
genügend Leben einzuhauchen.
Womöglich sind dieser Colm und dieser Pádraic aber auch einfach zu hölzern
angelegt, Sturköpfe, die sie beide sind, um ernsthaftes Interesse an ihrem
Mangel an innerer Beweglichkeit zu wecken. Eine sehr sture Protagonistin
hatte McDonagh in „[2][Three Billboards Outside Ebbing, Missouri“], der
2017 in Venedig im Wettbewerb lief, mit mehr Erfolg auf Kurs gehalten.
Immerhin: Die wilde Insellandschaft sieht toll aus, und die mitwirkenden
Tiere, ein Hund und die Eselin Jeanne, haben anrührende Auftritte.
7 Sep 2022
## LINKS
[1] /Tokyo-International-Film-Festival/!5351032
[2] /Rachewestern-als-Tragikkomoedie/!5477569
## AUTOREN
Tim Caspar Boehme
## TAGS
Schwerpunkt Filmfestspiele Venedig
Filmfestival
Lidokino
Japan
Irland
Kolumne Lidokino
taz Plan
Reiseland Japan
Film
Schwerpunkt Filmfestspiele Venedig
Lidokino
Venedig
## ARTIKEL ZUM THEMA
Kinoempfehlungen für Berlin: Blicke nach Brasilien und Korea
Ein Programm im Filmmuseum Potsdam widmet sich der bedrohten Cinemateca
Brasileira. Und im Babylon ist das 4. Korea Independent Filmfestival zu
Gast.
Ohrenpflege in Japan: Fast wie bei der Mama
Ohrenpflege hat in Japan Tradition, privat und in speziellen Salons – eine
Möglichkeit der körperlichen Nähe in einer von Distanz geprägten
Gesellschaft.
Realitätsferne und -nähe in Venedig: Vororthölle und Kindsmord
Lidokino 9: Ein bewegender Gerichtsprozess aus Frankreich und die rührende
Geschichte eines wieder veröffentlichten Albums auf den Filmfestspielen.
Filme über Lehrende in Venedig: Wale und Wahlverwandtschaft
Lidokino 6: Der iranische Regisseur Jafar Panahi schreibt einen Brief nach
Venedig. Filme von Darren Aronofskys und Rebecca Zlotowski im Wettbewerb.
Diversität und diverse Süchte in Venedig: Glamour, Fleisch und Opiate
Lidokino 5: Liebevolle Menschenfresser, Fremdheit in der Familie und Nan
Goldins erfolgreicher Kunstaktivismus bei den Filmfestspielen.
„Riget: Exodus“ auf Filmfestival Venedig: Großer Bruder im Sumpf
Lidokino 4: Ein bisschen Wahnsinn schadet nie, wie Lars von Trier in
Venedig bestätigt. Der Regisseur setzt seine legendäre Krankenhaus-Serie
fort.
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.