Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- Filme über Lehrende in Venedig: Wale und Wahlverwandtschaft
> Lidokino 6: Der iranische Regisseur Jafar Panahi schreibt einen Brief
> nach Venedig. Filme von Darren Aronofskys und Rebecca Zlotowski im
> Wettbewerb.
Bild: Starke Rolle wegen oder trotz Körperprothese? Charlie (Brendan Fraser) i…
Ist das jetzt noch Schauspielkunst oder Pornografie? Man stutzt erst einmal
in Darren Aronofskys Wettbewerbsfilm „The Whale“, wenn man dessen
Protagonisten Charlie sieht. Hat sich der Schauspieler Brendan Fraser,
ohnehin von kräftiger Gestalt, für seine Rolle einen Körper durch heftigen
Verzehr zugelegt, der dem Titel des Films alle Ehre macht? Ein bisschen
beruhigt es zu lesen, dass die Gestalt seiner Figur durch Prothesen
ermöglicht wurde. Man könnte das, was man sieht, durchaus für echt halten.
Und was man sieht, ist viel.
Charlie lebt zurückgezogen in einer Wohnung irgendwo in Idaho, gibt am
College Onlinekurse für Essayschreiben. Seine Studenten bekommen ihn nie zu
Gesicht, die Kamera seines Computers sei kaputt, lautet seine
Entschuldigung. Im Verlauf der Handlung bekommt Charlie Besuch von
verschiedenen Personen: einem Missionar einer christlichen Endzeitsekte,
seiner Freundin Liz (Hong Chau), die ihn pflegt, seiner Tochter und ganz
zum Schluss auch von seiner ehemaligen Frau. Die Theaterstückvorlage merkt
man dem Film deutlich an, es wirkt wie bei Auftritten und Abgängen auf
einer Bühne, wenn jemand an der Tür klopft, kurz bleibt und sich dann
wieder verabschiedet.
Da Charlie stark übergewichtig ist, hat seine Gesundheit sehr gelitten. Liz
eröffnet ihm, dass er nicht mehr viel Zeit zu leben habe. In den Tagen, die
ihm bleiben, will er erneut eine Beziehung zu seiner Tochter aufbauen, die
er nicht mehr gesehen hat, seit er seine Familie für seinen Freund verließ.
Dass man für diesen monströsen Charlie, der ohne Rollator nicht aus dem
Sessel kommt, so viel Gefühl entwickelt, liegt am wuchtigen Spiel Frasers,
das sich nicht auf die Körperlichkeit reduzieren lässt. Da diese den Film
andererseits dominiert, bleibt die Frage, ob die schauspielerische Wucht,
mit der er Charlies Charakter entwickelt, von der leiblichen überlagert
wird. Trotzdem fühlte sich der begeisterte Applaus am Ende nicht unverdient
an, selbst wenn Restzweifel bleiben.
## Kinderwunsch als Hindernis
Weniger Zweifel gibt es bei der [1][französischen Regisseurin Rebecca
Zlotowski] und ihrem ebenfalls im Wettbewerb laufenden Film „Les enfants
des autres“ mit Virginie Efira in der Hauptrolle. Ihre Figur Rachel ist
Lehrerin an einer Pariser Schule, Single und ohne Kind. Da sie 40 ist und
sich Nachwuchs wünscht, erhofft sie sich von ihrem neuen Freund Ali
(Roschdy Zem), der selbst Single ist und schon eine viereinhalbjährige
Tochter hat, ein gemeinsames Kind.
Zlotowski baut ein sehr komplexes Geflecht zwischen Rachel, Ali, dessen
Tochter Leila und ihrer leiblichen Mutter Alice (Chiara Mastroianni) auf.
Hat Rachel anfangs vor allem ihre Not, von Leila als die „Neue“ des Vaters
akzeptiert zu werden, wird die unterschiedliche Sicht des Paars auf Rachels
Kinderwunsch nach und nach zum eigentlichen Hindernis ihrer Beziehung.
Die unaufgeregte Inszenierung mit vereinzelten dramatischen Zuspitzungen
hilft, sich auf die Figuren und die oft minimalen Regungen zwischen ihnen
zu konzentrieren, von Zlotowski fein nachzeichnet.
## Brief aus dem Gefängnis
Der Wirklichkeit außerhalb des Festivals war am Wochenende das Thema eines
Panels gewidmet mit dem Titel „Filmmakers under Attack: Taking Stock,
Taking Action“. Dort verlas der künstlerische Leiter der Filmfestspiele von
Venedig, Alberto Barbera, einen Brief, den der [2][im Juli verhaftete
iranische Regisseur Jafar Panahi] aus dem Gefängnis nach Venedig geschickt
hatte.
„Wir sind Filmemacher, Leben ist für uns Schaffen“, zitiert ihn der
Hollywood Reporter. Da ihre Arbeiten keine Auftragswerke seien, würden sie
von einigen Regierungen als Kriminelle betrachtet, weshalb einigen
Regisseuren das Filmemachen untersagt worden sei, andere seien ins Exil
oder in die Isolation getrieben worden. Trotzdem sei die „Hoffnung, wieder
etwas schaffen zu können, „ein Grund zu leben“. Am Freitag wird Panahis �…
Bears“ den Wettbewerb auf dem Lido beschließen.
6 Sep 2022
## LINKS
[1] /Spielfilm-Ein-leichtes-Maedchen/!5622477
[2] /Regisseur-Jafar-Panahi-festgenommen/!5864217
## AUTOREN
Tim Caspar Boehme
## TAGS
Schwerpunkt Filmfestspiele Venedig
Lidokino
Jafar Panahi
Kinderwunsch
Kolumne Lidokino
Schwerpunkt Filmfestspiele Venedig
Film
Lidokino
Deutscher Film
Film
## ARTIKEL ZUM THEMA
Vor der Preisverleihung auf dem Lido: Iranische Löwen in Venedig
Lidokino 10: Preisverdächtige iranische Werke auf dem Filmfest in Venedig.
Und die Verfilmung des tragischen Lebens von Marilyn Monroe.
Realitätsferne und -nähe in Venedig: Vororthölle und Kindsmord
Lidokino 9: Ein bewegender Gerichtsprozess aus Frankreich und die rührende
Geschichte eines wieder veröffentlichten Albums auf den Filmfestspielen.
Filme aus Japan und Irland im Wettbewerb: Lieben auf Japanisch
Lidokino 7: Komplizierte Familienverhältnisse inszeniert Kōji Fukada. Den
Irlandkonflikt als Allegorie zeigt Martin McDonagh in Venedig.
Diversität und diverse Süchte in Venedig: Glamour, Fleisch und Opiate
Lidokino 5: Liebevolle Menschenfresser, Fremdheit in der Familie und Nan
Goldins erfolgreicher Kunstaktivismus bei den Filmfestspielen.
Drama „Grand Jeté“ in den Kinos: Der Körper als Werkzeug
Im Mittelpunkt des Films „Grand Jeté“ von Isabelle Stever steht eine
gebrochene Ballerina. Die beginnt ein inzestuöses Verhältnis mit ihrem
Sohn.
Regisseur Jafar Panahi festgenommen: Strafe für Solidarität mit Kollegen
Im Iran gibt es eine Repressionswelle gegen Filmemacher_innen und die
kritische Öffentlichkeit. Jetzt traf es den Regisseur Jafar Panahi.
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.