| # taz.de -- Vor der Preisverleihung auf dem Lido: Iranische Löwen in Venedig | |
| > Lidokino 10: Preisverdächtige iranische Werke auf dem Filmfest in | |
| > Venedig. Und die Verfilmung des tragischen Lebens von Marilyn Monroe. | |
| Bild: Navid Mohammadzadeh in „Beyond the Wall“ von Vavid Jalilvand | |
| Die 79. Ausgabe der Internationalen Filmfestspiele von Venedig, zugleich | |
| das 90. Jubiläum des ältesten Filmfestivals der Welt, neigt sich dem Ende | |
| zu. Am Sonnabend werden die Preise vergeben, ohne dass sich abzeichnet, an | |
| welchen Film der Goldene Löwe gehen wird. Starke Kandidaten sind weiterhin | |
| „Tár“ von Todd Field und „Love Life“ von Kōji Fukada, daneben kommen … | |
| Wettbewerb einige gute und eine Reihe eher mittelmäßiger Mitstreiter. | |
| Einer der bezwingendsten, allerdings auch am schwersten zu ertragenden | |
| Filme im Wettbewerb ist [1][Vahid Jalilvands] „Shab, Dakheli, Divar“ | |
| (Beyond the Wall), einer der zwei iranischen Beiträge neben [2][Jafar | |
| Panahis] „Khers nist“ (No Bears). | |
| In „Beyond the Wall“ kann man das eingeschlossene Leben des fast blinden | |
| Ali (Navid Mohammadzadeh) beobachten, der seine karge Wohnung nie zu | |
| verlassen und mit seinem Leben alles andere als zufrieden zu sein scheint. | |
| Zu Beginn ist er im Bad zu sehen, wie er sich mit einer Plastiktüte zu | |
| ersticken versucht. | |
| ## Heiseres Flüstern | |
| Langsam tastend sind seine Bewegungen, seine Stimme ein heiseres Flüstern. | |
| Im Bad sieht man kurz Wunden und Prellungen an seinem Körper, die nicht | |
| erklärt werden. Jalilvand wirft das Publikum in Alis Alltag, ohne viel zu | |
| erklären. Etwa die geflüchtete Leila (Diana Habibi), die sich plötzlich in | |
| seiner Wohnung versteckt und fast permanent weint, sodass sie sich den Mund | |
| zuhält, um nicht aufzufliegen. | |
| Kurz bevor Leila auftaucht, hatte Ali Besuch vom Hausmeister bekommen, der | |
| an seine Tür klopfte, um ihm mitzuteilen, dass sich eine gefährliche Frau | |
| im Haus aufhalte, die der Polizei zu übergeben sei. | |
| Was Leila in die Wohnung gebracht hat, wird in zwischengeschnittenen Szenen | |
| erzählt: Sie wartet mit Kollegen vor einer Fabrik, es gibt Proteste, weil | |
| die Arbeiter vier Monate keinen Lohn erhalten haben. Leila ist mit ihrem | |
| Sohn da, auf den sie aufpassen muss; im plötzlich ausbrechenden Chaos der | |
| aufgebrachten Arbeiter, das zu einem Handgemenge mit der Polizei führt, | |
| verliert sie ihn, wird von der Polizei aufgegriffen und in einen | |
| Transporter gesteckt. | |
| Sie schreit unaufhörlich nach dem Kind, fordert den Fahrer auf, anzuhalten | |
| und sie aussteigen zu lassen. Schließlich bekommt sie einen epileptischen | |
| Anfall, im Transporter bricht Unruhe aus, bis das Fahrzeug mit einem Lkw | |
| zusammenprallt. Leila, leicht verletzt, kann entkommen. | |
| ## Starke Kontraste | |
| Die Rückblende ist so überwältigend tumultartig gedreht, dass es einem beim | |
| Zuschauen die Kehle zuschnürt. In starkem Kontrast dazu sind die | |
| kammerspielartigen Szenen in Alis Wohnung, selbst wenn es lauter wird, von | |
| reduzierter Fokussiertheit. Nicht alle Aktionen und Bilder scheinen Sinn zu | |
| ergeben, wie die Bilder einer Überwachungskamera, die Ali aus der | |
| Vogelperspektive zeigen; auch Alis Verhalten, der zunächst vorsichtig | |
| agiert, gerät irgendwann irrational. | |
| Gegen Ende gibt es eine Wendung, die sich durch verschiedene Details | |
| angekündigt hat, aber trotzdem überrascht und das vorangegangene Geschehen | |
| in neuem Licht erscheinen lässt. Ein Film, dessen Bilder einen verfolgen, | |
| wie Ali von seiner Vergangenheit heimgesucht zu werden scheint. | |
| Eine seltsame Mischung aus Leichtigkeit und Schwere bietet dagegen „Blonde“ | |
| von Andrew Dominik. Ana de Armas spielt in diesem Wettbewerbsbeitrag | |
| Marilyn Monroe. Das tut sie oft weniger im Sinne einer Verkörperung als | |
| durch Imitation, wobei sie zugleich Verfremdungen hinzufügt, da ihre Norma | |
| Jean Baker, so Monroes bürgerlicher Name, mit leicht kubanischem Akzent | |
| spricht. | |
| Die Verfilmung der tragischen Geschichte der Hollywoodikone hinterlässt | |
| einige Fragen: Möchte man die Nachbildung des Lebens der Monroe überhaupt | |
| so gern sehen wie ihre Filme? Was gibt Dominik ihrer weitgehend bekannten | |
| Vita hinzu, von den hervorgehobenen #MeToo-Aspekten abgesehen? Und bekommt | |
| Ana de Armas womöglich einen Preis? | |
| 9 Sep 2022 | |
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| ## AUTOREN | |
| Tim Caspar Boehme | |
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