# taz.de -- Eröffnungsfilm in Venedig: Gnocchi im U-Boot | |
> Lidokino 2: Eigentlich sollte Luca Guadagninos neues Werk die | |
> Filmfestspiele von Venedig eröffnen. Als Ersatz lief nun das italienische | |
> Kriegsdrama „Comandante“. | |
Bild: Der „Comandante“ Salvatore Todaro, gespielt von Pierfrancesco Favino | |
Gnocchi sind, richtig zubereitet, eine köstliche Sache. Wer lange Zeit auf | |
See unterwegs ist, freut sich umso mehr, wenn es an Bord etwas „Richtiges“ | |
zu essen gibt. In Edoardo De Angelis’ Spielfilm „Comandante“ bekommen die | |
Gnocchi eine fast rettende Qualität, helfen sie doch, die Moral einer | |
U-Boot-Besatzung deutlich zu heben. Auch sonst spielt das Essen darin eine | |
wichtige Rolle. | |
„Comandante“ eröffnet die 80. Ausgabe der Filmfestspiele von Venedig als | |
Ersatz für den ursprünglich vorgesehenen Liebesfilm „Challengers“ von | |
[1][Luca Guadagnino]. Durch den [2][Streik in Hollywood] hätte dessen Star | |
Zendaya auf dem Lido und dem roten Teppich gefehlt, sodass er zurückgezogen | |
wurde. Statt Liebe jetzt Krieg, statt Zendaya der italienische | |
Schauspielstar Pierfrancesco Favino. | |
Favino spielt in „Comandante“, nach einer wahren Geschichte aus dem Zweiten | |
Weltkrieg, den U-Boot-Kapitän Salvatore Todaro. Dessen Vorname hat durchaus | |
etwas Prophetisches. Denn trotz seines wild entschlossenen Auftretens | |
handelt dieser als Kommandant der „Cappellini“ nach anderem Kompass als | |
andere Kriegsparteien. | |
Bei einer Kanonenschlacht im Atlantik mit einem belgischen Handelsschiff, | |
dass unter britischer Flagge segelt, versenkt er das Schiff und rettet | |
anschließend einen Teil der Besatzung. De Angelis steuert seinen Film | |
bedächtig auf dieses Ziel zu, beginnt mit einem fast kitschigen Prolog, in | |
dem der kriegsversehrte Todaro von seiner Frau Anna (Cecilia Bertozzi) | |
gepflegt wird. Er soll sich als Kriegsveteran zurückziehen, sie möchte mit | |
ihm auf dem Land leben. In seltsam gekünstelten Einstellungen sitzen die | |
beiden in der Badewanne, sie trägt seine Kapitänsmütze, dazu sieht man ihre | |
nackten Brüste, was wie ein unbeholfenes Zitat aus Liliana Cavanis „Der | |
Nachtportier“ von 1974 wirkt, in dessen berühmtester Szene Charlotte | |
Rampling in ähnlicher Kostümierung, doch in völlig anderem Zusammenhang zu | |
sehen ist. | |
Pommes frites im U-Boot | |
Sobald die „Cappellini“ in See gestochen ist, ändert sich der Ton. Jetzt | |
sind harte Männer am Ruder, die Folgenreiches entscheiden müssen. Der Tod | |
lauert unter Wasser überall. In der Enge des U-Boots bleibt dennoch Zeit | |
für Betrachtungen über die Vielfalt der italienischen Küche, deren Grenzen | |
eingeschlossen: Als die belgischen Seeleute unter Deck genommen werden, | |
weil ihr Rettungsboot gesunken ist, dauert es nicht lange, bis diese nach | |
ihrem Nationalgericht gefragt, dem Schiffskoch Pommes frites beibringen. | |
Was der neapolitanische Koch mit den Worten kommentiert: Wir Neapolitaner | |
frittieren alles, aber darauf sind wir nicht gekommen. | |
Das wäre als Geste der Völkerverständigung ein gelungener Witz, wie | |
überhaupt De Angelis bemüht ist, die humane Seite Todaros zu zeigen. Vom | |
historischen Zusammenhang erfährt man weniger. Immerhin: Die Nazis hätten | |
die Überlebenden im Wasser ihrem Schicksal überlassen. Doch auch der | |
belgische Kapitän gesteht Todaro später, er hätte ihn im umgekehrten Fall | |
nicht gerettet. Todaros Replik in all diesen Fällen lautet: Wir sind | |
Italiener. | |
Damit nicht genug, wenn Belgier die Faschisten beschimpfen, schleudert | |
ihnen Todaro „Wir sind Seeleute!“ entgegen. Auf die Gegenwart bezogen, | |
lautet die frohe Botschaft des Films: Menschen in Seenot wird geholfen, was | |
ein positives Zeichen für die Migration über das Mittelmeer sein mag. | |
Andererseits ist das mantraartige Beschwören der italienischen Identität | |
und das Kleinreden des Faschismus zugunsten der Seemannskultur in der | |
Gegenwart höchst zweifelhaft. Einer „postfaschistischen“ Regierung könnten | |
solche Signale ebenfalls gefallen. | |
De Angelis hätte sich mehr zutrauen und seine Hauptfigur weniger heldenhaft | |
zeichnen können. Der paradoxe Effekt von „Comandante“ ist: So sehr man vom | |
ehrenhaften Verhalten Todaros gerührt sein mag, so misstrauisch wird man | |
gegenüber der emotionalen Manipulation des Films. | |
30 Aug 2023 | |
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## AUTOREN | |
Tim Caspar Boehme | |
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