# taz.de -- Ehrung von Antikolonialismuskämpfern: Stolzes Benin | |
> Immer mehr Denkmäler in Westafrika erinnern an Helden, die gegen | |
> Kolonialmächte kämpften. Zum neuen Selbstbewusstsein trägt auch die | |
> Raubkunst-Debatte bei. | |
Bild: Feierlichkeiten zur Unabhängigkeit am 1. August in Cotonou | |
Fast hätte es geklappt. Wäre Frankreichs Präsident Emmanuel Macron wenige | |
Tage später in Benins Wirtschaftsmetropole Cotonou gereist, hätte er zum | |
62. Unabhängigkeitstag am 1. August an der Einweihung mehrerer Denkmäler | |
teilnehmen können. Zwei sind ungewöhnlich symbolträchtig und zeigen: Gerade | |
Benin, aber auch weitere Länder in der Region entwickeln ein neues | |
Selbstbewusstsein, das an die Phase vor der Kolonialisierung anknüpft. | |
Wer nun in Cotonou landet, wird direkt am Flughafen von Bio Guéra begrüßt. | |
Der 1856 geborene Krieger thront auf einem sich aufbäumenden Pferd. Mit | |
einem Reiterstandbild wie das für Kaiser Wilhelm in Düsseldorf oder König | |
Johann in Dresden hat das wenig gemeinsam. [1][Bio Guéra] – insgesamt ist | |
die Statue aus Stahl und Gusseisen zehn Meter hoch – ist dynamisch und hat | |
einen entschlossenen Gesichtsausdruck. | |
Seit 1975 gilt er als Nationalheld, hat er doch gegen französische Truppen | |
gekämpft, die nach mehreren Kriegen Ende des 19. Jahrhunderts das einstige | |
Königreich Dahomey – es umfasst heute rund 20 Prozent der Staatsfläche von | |
Benin – zu einem Teil von Französisch-Westafrika machten. Wie 16 weitere | |
Kolonien in Afrika auch wurde es erst 1960 unabhängig. | |
Mit der Ehrung des Antikolonialismuskämpfers macht Benins Regierung unter | |
Patrice Talon deutlich: Die Verteidigung von Freiheit und Souveränität sei | |
ein „edles Anliegen“. Die Statue stehe für „Mut, Würde und Integrität�… | |
Eingeweiht ist auch die überlebensgroße, beeindruckende 30 Meter hohe | |
Amazone, die in unmittelbarer Nähe des Hafens und des Präsidentenpalastes | |
steht. Die Stahlkonstruktion mit Bronzeüberzug, die vor zwei Jahren | |
aufgestellt wurde, war seitdem verhüllt. | |
## 5.000 Kämpferinnen gegen die Kolonialisten | |
Sie erinnert an Soldatinnen, die auf Fon, der im Süden Benins am meisten | |
gesprochenen Sprache, auch Minons – Mütter – oder Agoodjié genannt wurden. | |
Dahomey-Herrscherin Tassi Hangbé gründete Anfang des 18. Jahrhunderts die | |
weibliche Armee, der zwischenzeitlich bis zu 5.000 Kämpferinnen angehörten. | |
Auch die Kriegerinnen bekämpften zum Schluss die französischen | |
Streitkräfte. | |
Die Amazone, so betonte Präsident Talon bei der Einweihung, sei das Symbol | |
der „beninischen Frau von heute und morgen“ sowie ein Zeichen des | |
Patriotismus. Diese Faszination hat sogar Hollywood erreicht. Im September | |
kommt der Film „[2][The Woman King]“ in die Kinos, der erzählt, wie die | |
Frauen das Königreich Dahomey verteidigt haben. | |
Zum neuen Selbstbewusstsein trägt auch die Debatte über die Rückgabe der | |
Raubkunst bei. In Cotonou sind zum zweiten Mal 26 Artefakte ausgestellt, | |
die französische Truppen im zweiten Dahomey-Krieg von 1892 bis 1894 raubten | |
und die Frankreich im vergangenen Jahr an Benin zurückgab. Franck Ogou, | |
Direktor der Schule für afrikanisches Kulturerbe (EPA) in der Hauptstadt | |
Porto Novo, wertet das als wichtiges Zeichen: „Wir alle können heute sagen: | |
Afrika gehört zur Weltgeschichte.“ | |
Der Kontinent wurde lange als „geschichtslos“ abgetan. Meinungen des | |
Philosophen Georg Wilhelm Friedrich Hegel, Afrika habe „keine Bewegung und | |
Entwicklung aufzuweisen“, haben sich jahrhundertelang gehalten. Die | |
Kunstwerke aus den Palästen des Königreichs Dahomey widerlegen das. Noch | |
deutlicher machen das die Benin-Bronzen, die aus dem einstigen Königreich | |
Benin, das im heutigen Nigeria liegt, stammen. | |
Jahrelang wurde über die Rückgabe der 3.000 bis 5.000 Kunstgegenstände, die | |
in zahlreichen Museen sowie Universitäten und Sammlungen in Europa und den | |
USA lagern, erfolglos verhandelt. Erst Frankreichs Ankündigung, Kulturgüter | |
zu restituieren, brachte Dynamik in die Gespräche, und mit einem Mal wurde | |
deutlich, welch immenser Wert die 1897 von britischen Truppen geraubten | |
Artefakte haben. | |
## Wertvolle Bronzen aus Nigeria | |
Nigeria wird gerade nicht mehr nur als Land wahrgenommen, in dem | |
Terrorgruppen Angriffe verüben und multinationale Ölfirmen für | |
Umweltzerstörung verantwortlich sind, sondern als [3][Heimat extrem | |
wertvoller Bronzen], für die sich die ganze Welt interessiert. Anders als | |
in Benin kreiert das in Nigeria aber kein neues Selbstverständnis. Das | |
liegt zum einen an der schieren Größe. Nigeria mit seinen 220 Millionen | |
Einwohner*innen ist es nie gelungen, eine gemeinsame Identität zu | |
schaffen. | |
Die Bronzen aus Benin City sind für Menschen aus Kano, Maiduguri oder | |
Ibadan weit weg und haben kaum Bezug zur eigenen Geschichte. Zum anderen | |
sind die Alltagsprobleme überwältigend. Jede Woche werden Dutzende Menschen | |
gekidnappt, Terrorgruppen drängen in Richtung Hauptstadt Abuja. Mehr als | |
[4][90 Millionen Menschen leben unterhalb der Armutsgrenze]. Dass gerade in | |
den frankophonen Ländern ein neues Selbstbewusstsein entsteht, liegt auch | |
an purer Frustration. | |
Auslöser ist vor allem die schwere Sicherheitskrise in Mali. Ein | |
Lösungsansatz sollte die französische Antiterrormission Barkhane sein, die | |
jedoch gescheitert ist. Beobachter*innen sagen, dass sie häufig | |
eigenmächtig und ohne Absprache mit malischen Verantwortlichen handelte. | |
Das hat wiederum auch viele Menschen in Burkina Faso verärgert, wo aufgrund | |
des Terrors mehr als 1,9 Millionen Menschen auf der Flucht sind. | |
Alte, sicher geglaubte Allianzen haben also ausgedient, und souveräne | |
Staaten haben selbstverständlich das Recht zu entscheiden, mit wem sie | |
Bündnisse eingehen. In Mali ist nun Russland der bevorzugte Partner. Auch | |
anderswo auf dem Kontinent wirbt Russland mächtig um Kooperationen, sehr | |
zum Ärger der früheren Verbündeten. Auch die Türkei steht vielerorts in den | |
Startlöchern. | |
Von langfristigem Nutzen wird das für den großen Teil der Bevölkerung | |
jedoch nicht sein, denn hier geht es zuallererst um geopolitische | |
Interessen und nicht um den wünschenswerten Aufbau eines funktionierenden | |
demokratischen Staatssystems. | |
18 Aug 2022 | |
## LINKS | |
[1] https://www.gouv.bj/monument/monument-guera/ | |
[2] https://www.youtube.com/watch?v=3RDaPV_rJ1Y | |
[3] /Rueckgabe-von-Benin-Bronzen-an-Nigeria/!5864588 | |
[4] https://www.premiumtimesng.com/business/business-news/520849-number-of-poor… | |
## AUTOREN | |
Katrin Gänsler | |
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