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# taz.de -- Visa für russische Tourist:innen: Kein Urlaub in Kriegszeiten
> Kanzler Scholz ist gegen ein Visaverbot für Russ:innen. Das Baltikum und
> Polen treiben es voran. Es geht auch um die Frage, ob das Vorhaben die
> Richtigen trifft.
Bild: Richtig gegönnt: Urlaub in Baden-Baden
Eigentlich sollte diese Woche in Oslo [1][bei einem Treffen der nordischen
Staaten mit Kanzler Olaf] Scholz Einigkeit gegen den russischen
Angriffskrieg demonstriert werden. Bezüglich des Vorhabens, unabhängig vom
russischen Gas zu werden und den Nato-Beitritt für Finnland und Schweden
voranzutreiben, war das auch möglich. Für Streit sorgte allerdings eine
Frage, die seit Wochen immer wieder diskutiert wird: [2][Soll der
Schengenraum auch russischen Tourist:innen die Einreise verweigern?]
Darf ein Russe oder eine Russin Urlaub machen in der Europäischen Union,
während die Soldaten seines Landes die Ukraine bombardieren und ihre
Bürger:innen abschlachten?
Die estnische Ministerpräsidentin Kaja Kallas findet dafür klare Worte. Für
sie sei ein Besuch in Europa „ein Privileg und kein Menschenrecht“,
[3][twitterte sie vor einigen Tagen]. Und zuvor: „Stoppt die Ausstellung
von Touristenvisa an Russen.“ Denn jährlich werden Millionen Visa an
Russ:innen für die Einreise nach Deutschland und andere EU-Staaten
ausgegeben.
Darunter waren in der Vergangenheit ausreichend fragwürdige [4][Personen,
die das politische System in Russland mitgestützt haben,] während sie in
der EU alle Freiheiten genießen konnten. Es sind die reichen und
wohlhabenden Russ:innen nämlich, zu deren Lebensstil Mobilität gehört,
die eine Yacht im Mittelmeer und ein Zweithaus in der EU haben und ihre
Kinder auch gerne dort zur Schule schicken.
Wenn Russ:innen über Helsinki oder Tallinn in den Sommerurlaub nach
Griechenland, Zypern oder Spanien fliegen, während ihr Präsident einen
Krieg vorantreibt, dann hat das einen makaberen Beigeschmack. Estland und
Lettland haben die Visavergabe an Russ:innen deshalb bereits
eingeschränkt, Polen will ebenfalls eine Regelung erarbeiten, um
Schengen-Visa an Russ:innen verweigern zu können.
## Wen trifft das Verbot?
Die Frage nach der Sinnhaftigkeit der Visabeschränkung steht nun im Raum.
Gegner:innen des Vorhabens argumentieren, es werde schließlich auch
weiterhin Schlupflöcher geben. Viele derjenigen, die man mit so einem
Visaverbot treffen möchte, besitzen neben dem russischen sowieso bereits
einen zweiten, [5][„goldenen Pass“] und könnten damit weiterhin reisen.
Länder wie Zypern oder Malta boten jahrelang die Möglichkeit, gegen Geld
eine Staatsbürgerschaft zu erwerben. Reicht es dann aus, das Visaverbot
umzusetzen, wenn es mehrheitlich einen symbolischen und moralischen Wert
hat?
Die armen Russ:innen, die sich auch schon vor dem 24. Februar keine Reise
in den Westen leisten konnten, geschweige denn einen Reisepass besitzen,
weil das Geld gerade so zum Überleben reicht, wird so ein Einreiseverbot
ebenso wenig treffen. Das Vorhaben ginge also am Ziel vorbei, so
argumentiert eine Seite. Schließlich würde das Aussetzen der Visavergabe
Putins Narrativ befeuern, wonach der Westen sich gegen Russland verschworen
habe und das Land das eigentliche Opfer sei. Und man verspiele damit die
Chance, Russ:innen doch noch von westlichen Werten zu überzeugen. So kann
man natürlich jede politische Sanktion gegen Russland abbügeln.
Der Punkt ist: Natürlich ist absehbar, dass Putin ein solches
Einreiseverbot für seine politischen Zwecke instrumentalisieren wird. Ob
bei der Bevölkerung ein Umdenken stattfinden wird durch das Verbot – wer
weiß das schon. Aber ist es wirklich die Aufgabe der EU, russische
Bürger:innen davon zu überzeugen, dass Putin ein Verbrecher ist? Müssen
sie nicht selbst die Entscheidung gegen das Regime treffen und für
Demokratie, Menschenrechte und die Unverletzlichkeit der Grenzen der
Ukraine?
Hätten die jahrelangen Reisen der mobilen Russ:innen nicht längst zu
einem Umdenken führen müssen? [6][Der NZZ sagte der russische Historiker
und Aktivist Kamil Galejew], der in die USA ausgewandert ist: „Russlands
öffentliche Meinung wird nicht durch Bilder von Toten beeinflusst, sondern
durch Einbußen beim persönlichen Komfort, was direkt mit der Zustimmung für
Putins Regime korreliert.“ Er sprach sich dafür aus, die Normalität im Land
zu stören und mit einem Visaverbot zu zeigen, dass Europa die
Kriegshandlungen nicht hinnehme.
Vielleicht ist das aber auch zu groß gedacht. Das Ziel einer solchen
politischen Entscheidung müsste doch sein, Ukrainer:innen und ihrem
Land, das von Russland angegriffen wird, zu helfen. Wenn Krieg nicht als
legitimes Mittel ausreicht, um Tourismus aus dem Angriffsland zu
unterbinden, was könnte dann ausreichen?
## Oppositionelle haben Angst
Über alledem schwebt unweigerlich auch die große Grundsatzfrage danach, ob
man eine ganze Gesellschaft in Kollektivhaftung für einen Krieg nehmen
kann. Wo man auch gleich wieder bei dem eingangs erwähnten Scholz wäre, der
bis heute dabei bleibt, den russischen Angriffskrieg als „Putins Krieg“ zu
bezeichnen, und daran festhält, dass Russ:innen nicht insgesamt in
Haftung genommen werden können.
Auch in Oslo betonte er das wieder: „Das ist nicht der Krieg des russischen
Volkes, das ist Putins Krieg. Da müssen wir sehr klar sein.“ Sanktionen
seien gegen die verhängt worden, „die verantwortlich für den Krieg sind“.
Das werde fortgesetzt.
Bei vielen russischen Oppositionellen geht angesichts der Visadebatte aber
die Angst um. Denn auch bereits ausgestellte Aufenthaltstitel und Visa
sollen beispielsweise in Lettland überprüft werden. Neben einem kompletten
Visaverbot könnten die EU-Länder ja mal darüber nachdenken, wie bedrohten
Russ:innen, Oppositionellen, Journalist:innen und Aktivist:innen
weiterhin eine Einreise in die EU möglich gemacht werden kann. Das könnte
zwar kompliziert und aufwendig werden, doch wäre keinesfalls zu
rechtfertigen, sie nicht in die EU zu lassen.
17 Aug 2022
## LINKS
[1] /Olaf-Scholz-in-Skandinavien/!5874498
[2] /Sanktionen-gegen-Russland/!5874412
[3] https://twitter.com/kajakallas/status/1556903576726896642?ref_src=twsrc%5Et…
[4] /Russische-Oligarchen-in-Europa/!5871517
[5] https://www.spiegel.de/politik/deutschland/goldene-paesse-eu-warnt-vor-schl…
[6] https://www.nzz.ch/international/russland-oppositionelle-debattieren-ueber-…
## AUTOREN
Erica Zingher
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