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# taz.de -- Russische Oligarchen in Europa: Deals unter Freunden
> Ein Gefährte des russischen Präsidenten Putin macht Geschäfte in Europa.
> Dabei knüpft er antidemokratische und kremlfreundliche Netzwerke.
Bild: Enge Gefährten seit alten KGB-Zeiten: Wladimir Jakunin (links) und Wladi…
Das Radisson Blu Park Royal Palace Hotel befindet sich in bester Lage
Wiens, goldfarben schimmert seine Fassade hinter Bäumen, das Schloss
Schönbrunn ist wenige Gehminuten entfernt. Ein Penthouse in der obersten
Etage kann man [1][für knapp zwei Millionen Euro] erwerben.
Wem das 4-Sterne-Hotel gehört, ist unklar. Nicht ungewöhnlich, dass sich
Immobilienbesitzer hinter Gesellschaften und Offshorefirmen verstecken,
doch in diesem Fall lohnt es sich, genauer hinzuschauen. Der Hedgefonds,
der den Fonds des Hotelkäufers verwaltet, ist auch für die Investitionen
einer Stiftung von Wladimir Jakunin zuständig – ein einflussreicher
russischer Oligarch und Vertrauter Putins, der europaweit prorussische und
antidemokratische Initiativen finanziert. Auch der Name des ehemaligen
österreichischen Kanzlers Alfred Gusenbauer taucht in diesem Zusammenhang
immer wieder auf.
Zum Netzwerk Jakunins und seiner Familie recherchieren wir – ein Verbund
aus Journalist*innen aus sieben europäischen Ländern und Russland –
seit fast zwei Jahren. In dieser Zeit haben wir Registerauszüge geprüft,
Hintergrundinterviews geführt, russische Quellen im Exil getroffen und
waren zu Gast bei zwielichtigen Veranstaltungen. Daraus entstanden
zahlreiche Veröffentlichungen zu fragwürdigen [2][Deals mit hochrangigen
europäischen Politikern], über Konten mit Milliarden Dollar an
Bestechungsgeldern und [3][Immobilien] mit verschleierten
Eigentumsverhältnissen. In dieser Recherche widmen wir uns den
Hotelgeschäften der Familie Jakunin.
Wladimir Jakunin ist einer der ältesten Weggefährten Putins und bekannt für
sein nationalkonservatives Weltbild. Während er seine Familie und sein
Vermögen nach Europa verlagert hat, hetzt er im eigenen Land gegen die
„Dekadenz des Westens“ und die „globale Finanzoligarchie“. Als ehemalig…
Chef der russischen Eisenbahn hat er laut der Recherchegruppe von The
Insider nicht nur Geld in Milliardenhöhe vom russischen Staatsbudget
abgeführt, er unterhält auch beste Kontakte zu Geschäftsleuten und
hochrangigen Politikern im Ausland.
Für den russischen Politologen Alexander Morozov ist Jakunin ein „Pionier
der russischen Einflussnahme“, der zum “'Anti-Soros’ werden will – einem
Organisator der antiliberalen Politik auf globaler Ebene“.
Kaum ein anderer Oligarch ist so gut vernetzt in Europa wie Jakunin. Er
unterhält Stiftungen und Institute in Frankreich, Österreich, der Schweiz,
Tschechien und – bis vor Kurzem – auch in Deutschland. Alle haben dasselbe
Ziel: pro-russische Allianzen knüpfen und die Politik des Kremls im Ausland
salonfähig mache. In einige Aktivitäten ist auch der Rest der Familie –
seine Frau Natalia und die Söhne Andrei und Viktor – eingebunden. Russische
Aktivisten und Oppositionelle warnen schon lange davor, dass die Familie
auch im Ausland agiert. Mit Hilfe eines Netzwerks aus Treuhändern, Bänkern,
Anwälten und Politikern verfügen die Jakunins so über Strukturen, mit denen
sie Geld ins Ausland transferieren, Vermögen anhäufen und damit ihre
politische Propaganda und die des Kremls vorantreiben.
Das Bereicherungsprinzip der Familie ist seit den Neunzigerjahren dasselbe:
Über die Kontakte von Wladimir Jakunin werden Hotels günstig erworben und
nach der Renovierung und dem Rebranding mit Gewinn weiterverkauft.
Bei den Investments in Europa taucht der Name der Familie meistens nicht
auf. Das Geld, das mit großer Sicherheit aus dem Budget der russischen
Eisenbahn stammt – und damit von russischen Steuerzahlern –, ist danach
„sauber“.
Das Hotelgeschäft in Wien ist ein Paradebeispiel für das korrupte Prinzip
der Familie. Dieses Beispiel offenbart aber auch, wie sich russische
Oligarchen als saubere Geschäftsleute präsentieren, es zeigt, wie sie trotz
westlicher Maßnahmen weiterhin politischen Einfluss nehmen können – und
demonstriert die Scheinheiligkeit der europäischen Regierungen, die dieses
System jahrelang nicht nur geduldet, sondern gefördert haben und jetzt mit
den Konsequenzen konfrontiert sind.
Dabei ist der Westen alles andere als wehrlos. In den USA und Australien
ist Wladimir Jakunin seit der Krim-Annexion 2014 – damals war er noch Chef
der russischen Eisenbahn – aufgrund seiner Regierungsfunktion und der Nähe
zu Präsident Putin sanktioniert. Das bedeutet, dass er einem Visumsverbot
unterliegt, sämtliche Vermögenswerte in den USA eingefroren und ihm
Geschäfte und Transaktionen in Dollar untersagt sind.
Auch die EU könnte den Einfluss der Familie Jakunin über Sanktionen
einschränken. Sanktioniert werden seit 2014 [4][laut der Richtlinie]
insbesondere Personen oder Institutionen, die in die Gefährdung der
territorialen Integrität der Ukraine involviert sind, die von russischen
Entscheidungsträgern, die für die Annexion der Krim verantwortlich sind,
profitieren, die mit den prorussischen Separatisten im Donbass
interagieren, die von der russischen Regierung profitieren oder eine
substanzielle Einkommensquelle für die russische Regierung darstellen. Die
Liste umfasst [5][1.212 Russen und 108 Institutionen].
Als wir bei der EU-Kommission nachfragen, warum Wladimir Jakunin nicht auf
der Liste steht, teilt man uns mit, man möchte sich nicht zu einzelnen
Namen äußern. Dem Schweizer Magazin Republik [6][sagte ein EU-Sprecher]:
„Wenn jemand nicht auf der Sanktionsliste ist, bedeutet das, dass die
EU-Mitgliedsstaaten der Meinung sind, dass es nicht genügend Grund dazu
gibt, der Moment nicht der richtige ist oder dass es an Beweisen fehlt, um
die Person zu sanktionieren.“
2016, als Jakunin bereits in den USA und Australien sanktioniert war,
erhielt er ein Visum und eine Arbeitserlaubnis für Deutschland, um in
Berlin den Dialogue of Civilizations zu eröffnen. Einen mittlerweile
inaktiven Thinktank, der Experten zufolge [7][„an vorderster Front bei der
Verbreitung von Jakunins konservativer und homophober Botschaft im
deutschen politischen Establishment“] stand. Damals war schon bekannt, dass
Jakunin enge Kontakte zur Rechten pflegt. 2014 trat er etwa beim Kongress
„Frieden mit Russland“ des Magazins Compact auf, an dem auch der
AfD-Politiker Alexander Gauland teilnahm. Das Magazin stuft das Bundesamt
für Verfassungsschutz als „gesichert rechtsextrem“ ein.
Die Frage ist aber auch, ob Sanktionen gegen jemanden wie Wladimir Jakunin
überhaupt wirksam wären – wenn es um einen ganzen Clan geht.
In Großbritannien scheint man sich über die Gefahr, die von der Familie
Jakunin ausgeht, bewusst zu sein. Im April dieses Jahres wurde Wladimir
Jakunin mit 205 weiteren russischen Personen von der britischen Regierung
sanktioniert. Er kann seinen Sohn und seine Enkel nicht mehr besuchen, ihm
sind Transaktionen in Pfund untersagt und ihm wird der Zugang zu Konten
verwehrt. Auch sein Sohn Andrei – dem Gründer von VIYM –, der sich als
britischer Staatsbürger lange sicher wähnte, gerät jetzt in den Fokus der
Politik.
In der [8][Parlamentsdebatte über neue britische Sanktionen] sagte die
Labour-Abgeordnete Margaret Hodge, Wladimir Jakunin habe „fast vier
Milliarden Dollar an Vermögenswerten und Provisionen von der russischen
Eisenbahn abgeführt“, und dass „der größte Teil dieser Vermögenswerte j…
von seinem in London ansässigen Sohn über einen in Luxemburg registrierten
Investmentfonds VIYM verwaltet wird“.
## Die Famile schützen
Dabei bemüht sich Jakunin junior schon länger darum, sein Vermögen von den
Geschäften seines Vaters zu trennen. Laut einer Recherche des US-Mediums
Quartz aus dem Jahr 2017 beauftragte er eine Corporate-Intelligence-Firma
in London damit, den Ruf der Familie zu „schützen“, indem sie negative
Berichterstattung verhindern sollte und die Suchergebnisse durch selbst
erstellte positive Meldungen beeinflusste. Diese Praxis wird auch als
„reputation laundering“ bezeichnet und ist nicht unüblich unter russischen
Oligarchen und deren Angehörigen.
Andrei Jakunin wies gegenüber Quartz zurück, dass sein Vater Einfluss auf
sein Vermögen nimmt. Auch dass seine Firma VIYM die gleichen Initialen
trägt wie sein Vater Wladimir Iwanowitsch Jakunin (auf Englisch VIY), sei
reiner Zufall. Erklärt, woher sein Vermögen kommt – darunter ein
4,5-Millionen-Pfund-Anwesen in London-Hampstead, wo er mit seiner Familie
lebt –, hat Andrei Jakunin nie.
Juristische Mittel, das zu überprüfen, gäbe es. Seit der 2017 in
Großbritannien eingeführten „Unexplained Wealth Orders“ können verdächt…
Personen gezwungen werden, offenzulegen, wie sie eine Immobilie oder einen
Vermögenswert im Wert von mehr als 50.000 Pfund erworben haben, wenn der
Wert im Vergleich zum angegebenen Einkommen der Person unverhältnismäßig
erscheint. Bisher gab es jedoch [9][nur neun Fälle, in denen die Order zur
Wirkung kam].
Dass VIYM eine Art Familienfonds für die Geschäfte der Familie Jakunin ist,
konnte man schon früh erahnen. Doch das Geschäft mit den Hotels begann
sogar noch vor der Gründung.
Das erste Hotel, das in den Besitz der Jakunins gelangte, war das
Pribaltiskaja, das größte Hotel St. Petersburgs. Damals war Wladimir
Jakunin gerade aus New York, wo er für den sowjetischen Geheimdienst KGB
stationiert war, nach St. Petersburg zurückgekehrt. Dass er 1991 von dem
Posten zurücktrat, nachdem die „sogenannten Demokraten“ die Macht
übernommen hatten, beschreibt Jakunin in seiner Autobiografie „A
treacherous Path“.
Im Zuge der Privatisierungswelle der Neunzigerjahre kam er in den Besitz
des Hotels. 1996 stellte eine Untersuchungskommission der Stadt St.
Petersburg zwar fest, [10][dass die Privatisierung des Hotels unrechtmäßig
war und leitete Ermittlungen ein]. Doch Jakunin hatte mächtige Freunde, die
ihn schützten. Einer davon war der damalige stellvertretende Bürgermeister
der Stadt, Wladimir Putin.
Putin war wegen eines anderen Hotels [11][mit ähnlichen Vorwürfen
konfrontiert]. Was ihn und Jakunin zu dieser Zeit verband, war mehr als die
gemeinsame KGB-Vergangenheit: Beide waren aufeinander angewiesen, um sich
vor Ermittlungen zu schützen. Dafür machte Putin Jakunin zunächst zum
Leiter einer offiziellen Stelle zur Untersuchung von Korruption – um
jegliche Korruptionsvorwürfe von Putin und seinen Freunden abzuwehren.
Wie eng Putin und Jakunin schon damals waren, zeigt auch die Tatsache, dass
die beiden mit einigen weiteren ehemaligen KGB-Mitarbeitern 1996 die
berüchtigte Datscha-Kooperative Ozero gründeten. Die Mitglieder dieser
exklusiven Ferienhaussiedlung gehören bis heute zum innersten Kern von
Putins Kreis. Als Putin im Jahr 2000 Präsident wurde, erhielten die
Ozero-Mitglieder wichtige Posten. Juri Kowaltschuk wurde Chef der Bank
Rossija – auch genannt „Bank von Putins Freunden“ – und Andrei Fursenko
Bildungsminister.
Zur selben Zeit wurde der Leiter der Kommission, die die Privatisierung der
Hotels untersuchte, von Unbekannten überfallen und einige Jahre später von
der Staatsanwaltschaft St. Petersburg wegen der „Bildung einer kriminellen
Bande“ zu lebenslanger Haft verurteilt. [12][Er starb 2013 in einer
Strafkolonie in Russland.]
Das Hotel Pribaltiskaja aber blieb in der Hand der Jakunins. 2006 verkaufte
Sohn Andrei, der für das Hotelmanagement zuständig war, das Haus [13][für
geschätzte 100 Millionen Dollar] an einen norwegischen Investor. Im selben
Jahr gründete er die Beteiligungsgesellschaft VIYM, die zunächst vor allem
in Russland investierte.
Wladimir Jakunin war inzwischen mit Putins Hilfe zum Chef der russischen
Eisenbahn aufgestiegen; Sohn Andrei profitierte davon, wie eine Recherche
der Nachrichtenagentur Reuters zeigt. 2009 schloss VIYM [14][einen
„bahnbrechenden Deal“] im Wert von 500 Millionen Dollar mit dem
schwedischen Hotelbetreiber Rezidor ab, um eine Hotelkette zu erwerben. Ein
Teil der Hotels befand sich an wichtigen Bahnhöfen in Russland oder in
deren Nähe. [15][Die Jakunins bestritten damals, dass die Unternehmen
finanzielle Interessen teilten oder dass Andreis Kontakte seine
Hotelgeschäfte unterstützten.] In einer [16][Recherche von 2013] legte das
Team um Alexei Nawalny jedoch dar, wie Wladimir Jakunin über ein Netzwerk
aus Offshorefirmen Aufträge an seinen Sohn verteilte und so Geld ins
Ausland transferierte. [17][Dazu schrieb Nawalny] „In allen Ländern dienen
die Eisenbahnen dem Verkehr, bei uns aber darüber hinaus auch dem
Diebstahl.“
Während Jakunins Zeit als Chef der russischen Eisenbahn [18][verdreifachten
sich die Ausgaben des zweitgrößten russischen Staatskonzerns], das Bahnnetz
aber wuchs nur um 1,2 Prozent. Immer wieder berichteten Auftragnehmer über
[19][hohe Bestechungsgelder], die sie zahlen mussten. 2015 machte das
Unternehmen ein Minus von knapp 1,7 Milliarden US-Dollar. Da wurde es
selbst Präsident Putin zu viel. Noch im selben Jahr musste Jakunin von
seinem Posten zurücktreten.
Die Geschäfte der Jakunins beeinträchtigte das jedoch nicht – vor allem
nicht deren Ausweitung in Europa. Noch während seiner Zeit als Chef der
russischen Eisenbahn nutzte Wladimir Jakunin seine Kontakte, um ein
Netzwerk von russlandfreundlichen und sanktionskritischen Akteuren zu
schaffen. 2006 eröffnete er das Hauptquartier des „World Public Forum –
Dialogue of Civilizations“ in Wien. Die Idee des Instituts entstand aus dem
Rhodos-Forum, einer zweitägigen jährlichen Veranstaltung mit
Podiumsdiskussionen und Vorträgen auf der griechischen Insel Rhodos.
[20][Ein Experte bezeichnet das Forum als „eine 'influence operation’], die
darauf abzielt, die westlichen Gesellschaften zu spalten und zu schwächen“.
## Jakunin bleibt wichtig
Ob Jakunin seine politischen Initiativen nach seiner Entlassung als Chef
der russischen Eisenbahn im Auftrag Putins weitergeführt hat oder auf
eigene Faust handelt, lässt sich nicht eindeutig klären. Der
Osteuropaexperte Henning Schröder glaubt: „Solange er die Strukturen im
Ausland hat, bleibt er ein interessantes Asset.“ Und die Journalistin und
Russland-Kennerin Catherine Belton, die Jakunin interviewte, sieht ihn auch
weiterhin als einen „Treuhänder des Kreml“.
Dass Jakunin 2006 Wien als Standort wählte, ist kein Zufall. Einer seiner
wichtigsten Verbündeten ist der ehemalige österreichische Kanzler Alfred
Gusenbauer, den Jakunin während seiner Zeit als Chef der russischen
Eisenbahn kennenlernte. 2008 wurde Gusenbauer, der sich immer wieder gegen
die Sanktionen gegen Russland aussprach, von Jakunin mit dem Preis
„Dialogue of Civilizations“ ausgezeichnet. Auch nach Ende der Kanzlerschaft
2008 hielt die Verbindung. Ende Juli 2009 wurde Gusenbauer Mitglied des
Aufsichtsrates der Baugruppe Alpine Holding GmbH. In nur zehn Monaten
arrangierte er ein Joint Venture mit der russischen Eisenbahngesellschaft.
Jakunin kam 2010 nach Wien, um den Vertrag zu unterzeichnen – und verfolgte
höchstwahrscheinlich auch private Interessen.
2007, als Alfred Gusenbauer Kanzler geworden war, unterzeichnete die
Bundesimmobiliengesellschaft, der größte staatliche Immobilieneigentümer in
Österreich, einen Vertrag mit einer Tochterfirma der österreichischen
Unternehmensgruppe Schweighofer über den Verkauf eines 13.000 Quadratmeter
großen Areals. Dort wurde später das Radisson Blu Park Royal Palace Hotel
gebaut, [21][Kosten: 4,5 Millionen Euro]. 2012 wurde das Haus mit einer
[22][glamourösen Gala inklusive Showeinlage] der russisch-österreichischen
Startänzerin Karina Sarkissova eröffnet.
Einige Monate später veränderten sich laut Firmen- und Grundbuchauszügen
die Eigentümerverhältnisse. Unter den Gesellschaftern tauchen zwei neue
Firmen – beides Tochterfirmen von VIYM – und zwei neue Personen auf: der
Treuhänder der Familie Jakunin, Alessandro Lardi, und die Leiterin des
luxemburgischen Standorts von VIYM. Somit wurden alle Anteile an dem Hotel
nach der Eröffnung an VIYM und Andrei Jakunin übertragen. Daran ist
zunächst nichts verwerflich; es gibt jedoch ein pikantes Detail: Der
damalige Kanzler und Freund Jakunins, Alfred Gusenbauer, [23][pflegt auch
enge Kontakte zu Schweighofer], dessen Unternehmen die Ausschreibung für
das Grundstück gewann und für den Bau des Hotels verantwortlich ist. Ob
Gusenbauer einen Einfluss auf die Übertragung des Grundstücks an VIYM hatte
oder ob er überhaupt davon wusste, lässt sich nicht sagen. Wir haben ihn
mit einem Fragenkatalog konfrontiert, er antwortete denkbar knapp: „Zu
keiner der von Ihnen gestellten Fragen habe ich eine
Wahrnehmung/Erinnerung.“
Wir halten fest: Ein wertvolles Grundstück mitten in der österreichischen
Hauptstadt wird über Umwege an die Beteiligungsgesellschaft von Andrei
Jakunin übertragen. Dessen Vater, der damalige Chef der russischen
Eisenbahn, pflegt zu dieser Zeit engste Kontakte zum österreichischen
Kanzler Alfred Gusenbauer, der gern gesehener Gast bei Jakunins politischen
Foren ist, bei denen er sich immer wieder gegen Sanktionen ausspricht, und
er kooperiert als Geschäftsmann mit der russischen Eisenbahn.
Doch die Geschichte ist hier noch nicht zu Ende. Denn das Hotel blieb nicht
lange in der Hand von VIYM und Andrei Jakunin.
2013 gründeten die Jakunins die St. Andrew Foundation in Genf, um „das
russische nationale Erbe in Russland und im Ausland zu studieren und zu
bewahren“. Jahresberichten der Stiftung zufolge erhielt sie zwischen 2014
und 2016 11,5 Millionen US-Dollar an Spendengeldern und überwies 6,9
Millionen in ihre Fonds, darunter eine Zahlung von 200.000 Dollar für ein
Pro-Life-Programm zur „Sanctity of Motherhood“, das angeblich etwa 40.000
russische Babys vor der Abtreibung bewahrt hat. Der Familie gehören noch
zwei weitere Stiftungen. Der DOC Endowment Fund finanzierte den Berliner
Thinktank Dialogue of Civilizations. Die Foundation for Support of
Historical and Cultural Studies hat sich der Erziehung junger Menschen zu
„starken, insbesondere christlichen Werten“ verschrieben.
Der inhaftierte russische Oppositionelle Alexei Nawalny machte die
Schweizer Behörden 2014 darauf aufmerksam, dass die Stiftungsgelder den
russischen Steuerzahlern zustehen. Doch getan hat sich laut einem
Mitarbeiter von Nawalnys Team bis heute nichts. Auf Nachfrage teilte uns
die Schweizer Bundesanwaltschaft mit, dass sie den Brief geprüft habe, aber
„zum Schluss gekommen ist, dass die Eingabe keinen hinreichenden, konkreten
Tatverdacht zu begründen vermochte, welcher für die formelle Eröffnung
eines Strafverfahrens eine Voraussetzung dargestellt hätte“.
Dabei gäbe es gute Gründe, sich die Finanzen der Stiftungen anzuschauen.
Denn vielleicht stammt das Geld tatsächlich nicht nur aus „Spendengeldern“
– wie von Jakunin behauptet –, sondern aus Geschäften und Investitionen der
Familie, die sie mit Geld aus dem russischen Staatsbudget getätigt hat.
Studiert man den Jahresbericht von 2014-2016 der St.-Andrew-Stiftung,
fallen zwei Dinge auf: Die Firma des Treuhänders Alessandro Lardi, der an
der Übertragung des Wiener Hotels an VIYM beteiligt war, ist Teil des
„Investment Committees“ der Stiftung. Das bedeutet: Dieselbe Treuhandfirma
verwaltet sowohl Andrei Jakunins Investitionen und die Finanzen der
Stiftung. Davon, dass Andreis Aktivitäten nichts mit denen seines Vater zu
tun haben – wie er es behauptet –, kann keine Rede sein.
Und zweitens: Der Investmentmanager der St. Andrew Foundation ist laut dem
Jahresbericht der britische Hedgefonds Nevastar Finance Limited. Bei
unseren Recherchen stoßen wir auf ein Dokument der österreichischen
Finanzaufsicht, nach dem dieser Hedgefonds auch den Fonds der ECHO Group
verwaltet, die 2019 das Wiener Hotel von VIYM kaufte. Laut Kaufvertrag, der
uns vorliegt, lag der Kaufpreis bei 66 Millionen Euro.
Vieles ist ungewöhnlich an diesem Fall: etwa, dass eine politische Stiftung
solch eine komplexe finanzielle Struktur benötigt und dass ein Hedgefonds
für die Investitionen einer Stiftung zuständig ist. Ein Zufall?
Diese Frage können auch wir nicht beantworten. Was jedoch deutlich wird:
Eine der einflussreichsten russischen Oligarchenfamilien tätigt mitten in
Europa Geschäfte, die der Öffentlichkeit – und vermutlich auch den Behörden
– größtenteils verborgen bleiben. Und vermutlich kann sie so Geld aus dem
russischen Staatsbudget für prorussische und antidemokratische Initiativen
nutzen, die auch dem Kreml und seiner Agenda Einfluss in Europa geben.
## Ein Hotel in der Schweiz
Nach einem ähnlichen Muster investierte die Familie 2012 in das Hotel
Alexander in Davos. Auch hier war es der Jakunin-Treuhänder Alessandro
Lardi, der das Geschäft durchführte. Auch hier interessierte sich niemand
für den Ursprung des Geldes. Nach der Übernahme wurde das Hotel renoviert
und in Hard Rock Hotel Davos umbenannt. Ein Teil der Appartments wird nun
verkauft. Auf der Website wird eine attraktive Rendite versprochen; eine
Suite mit rund 110 Quadratmetern ist für 2,1 Millionen Schweizer Franken zu
haben.
In ein oder zwei Jahren wird Jakunins Beteiligung vergessen sein und jede
Spur des Millionenbetrags, der für den Kauf des Hotels in bar gezahlt
wurde, verschwunden sein. Auch die Schweizer Behörden werden dann machtlos
sein. Ob das Geschäftsmodell ein System zur Geldwäsche ist oder ob es „nur�…
zur Verschleierung von Besitzverhältnissen, zur Steuervermeidung oder zur
Umgehung von (drohenden) Sanktionen gewählt wurde, lässt sich nicht
eindeutig sagen.
Doch es bleibt die Frage: Warum nutzt man solche Strukturen, wenn man
nichts zu verbergen hat? Und warum schauen westliche Behörden dabei zu?
Vielleicht ist es das, was der russische Oppositionelle Wladimir Kara-Mursa
in einem Interview mit uns als „schreckliche Doppelmoral“ bezeichnet hat.
„Der größte Export des Putin-Regimes in den Westen ist nicht Öl oder Gas,
sondern Korruption“, sagt Kara-Mursa. „Damit eine Person Korruption
exportieren kann, muss eine andere sie importieren wollen.“
Die Recherche wurde von Investigative Journalism for Europe (J4EU)
gefördert. Mitarbeit: Anastasia Kirilenko, Sofia Izmaylova, Sebastian
Reinfeldt, Hazel Sheffield, Silvia Stöber
Anmerkung der Redaktion: Wir haben nachträglich vier Stellen im Text aus
rechtlichen Gründen geändert.
13 Aug 2022
## LINKS
[1] https://www.turpin-immobilien.at/objekt/6519761
[2] https://www.tagesschau.de/investigativ/tschechien-praesident-zeman-russland…
[3] https://www.rbb24.de/politik/thema/Ukraine/beitraege/russland-sanktionen-im…
[4] https://eur-lex.europa.eu/legal-content/EN/TXT/HTML/?uri=CELEX%3A02014R0269…
[5] https://www.consilium.europa.eu/de/policies/sanctions/restrictive-measures-…
[6] https://www.republik.ch/2022/03/18/unter-dem-radar
[7] https://www.politicalcapital.hu/pc-admin/source/documents/Laruelle_Rivera_C…
[8] https://hansard.parliament.uk/commons/2022-03-01/debates/6EF274E3-57A6-46ED…
[9] https://commonslibrary.parliament.uk/research-briefings/cbp-9098/
[10] https://www.svoboda.org/a/29109605.html
[11] https://tbcarchives.org/putin-1998/?highlight=FSB
[12] https://theins.ru/en/corruption/247201
[13] https://multfishki.ru/en/kompaniya-rzhd-i-syn-kak-stroilsya-biznes-andreya…
[14] https://www.reuters.com/article/uk-russia-railways-idUKBRE86O06T20120725?e…
[15] https://www.reuters.com/article/us-russia-railways-idUSBRE86O06U20120725
[16] https://navalny-en.livejournal.com/93479.html
[17] https://www.bpb.de/themen/europa/russland-analysen/231557/notizen-aus-brem…
[18] https://qz.com/1037549/how-the-family-of-vladimir-putins-us-sanctioned-all…
[19] https://theins.ru/en/corruption/252753
[20] https://www.tortoisemedia.com/2019/11/11/191111-putins-davos/
[21] https://www.ots.at/presseaussendung/OTS_20071119_OTS0269/ehemaliges-imax-k…
[22] http://www.tourismuspresse.at
[23] https://www.diepresse.com/5294962/armer-christian-kern-arme-spoe
## AUTOREN
Paul Toetzke
## TAGS
Lesestück Recherche und Reportage
Schwerpunkt Krieg in der Ukraine
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