| # taz.de -- Neue Vize-Chefin des Verfassungsschutzes: Agentin 002 | |
| > Ein Geheimdienst modernisiert sich: Mit Felor Badenberg ist erstmals eine | |
| > Frau in der Führung des Verfassungsschutzes. | |
| Bild: Die erste Frau in der Position: Felor Badenberg | |
| Wer Felor Badenberg in Berlin treffen will, muss im Bezirk Mitte an einer | |
| Tür klingeln, an der nichts auf den Verfassungsschutz hindeutet. In einem | |
| geräumigen Altbau hat das Amt ein großes Büro angemietet. In einem | |
| Besprechungszimmer sitzt die zierliche 47-Jährige im gestreiften Kleid und | |
| hohen Schuhen. | |
| Seit Mitte Juni ist Badenberg Vizepräsidentin des Verfassungsschutzes. Mit | |
| ihr gehört erstmals eine Frau zur Spitze des Nachrichtendienstes. Und zwar | |
| eine, die allseits als ehrgeizig und energisch beschrieben wird, mit klarem | |
| Wertekompass, eine, die über sich selbst sagt, der Kampf gegen Rassismus | |
| und Antisemitismus sei ihr „ein persönliches Anliegen“. | |
| Das zeigte Badenberg schon nach wenigen Tagen im Amt, hinter den | |
| verschlossenen Türen des Innenausschusses. Sie erklärte den [1][aktuellen | |
| Jahresbericht] ihres Geheimdienstes, sagte, dass dort beim nächsten Mal | |
| auch die Rechtsaußenpartei auftauchen werde, und verwies auf Schnittstellen | |
| der AfD mit den rechtsextremen Freien Sachsen – so schildern es Mitglieder | |
| der Runde. Ein AfD-Mann habe sich empört: Diese Schnittstelle gebe es gar | |
| nicht. Das sehe sie anders, soll Badenberg gekontert haben. | |
| Im direkten Gespräch ist Badenberg freundlich, sie erzählt lebendig und für | |
| eine Verfassungsschützerin erstaunlich offen. Doch nicht alles, was an | |
| diesem Morgen besprochen wird, darf auch geschrieben werden; ihre Zitate | |
| werden von der Pressestelle autorisiert. | |
| ## Sie raucht viel und will gehen | |
| Badenberg kam im Alter von zwölf Jahren aus Teheran nach Deutschland. Sie | |
| studierte in Köln Jura, kellnerte nebenbei. „Eigentlich wollte ich für | |
| Gerechtigkeit sorgen und Richterin werden“, sagt sie. Schon damals ist sie | |
| ziemlich tough: Ihr Sohn kommt zwischen dem ersten und zweiten Staatsexamen | |
| zur Welt, während der Schwangerschaft stellt sie ihre Promotion fertig. | |
| Badenberg macht keinen Hehl daraus, dass sie ihre Ziele mit Nachdruck | |
| verfolgt. „Man sollte für seine Positionen kämpfen und nicht beim ersten | |
| Gegenwind sagen: Ja gut, dann nicht. Das finde ich wichtig.“ | |
| Nur um auszuprobieren, wie ein Assessmentcenter funktioniert, bewirbt sie | |
| sich auf eine Stellenausschreibung beim Bundesinnenministerium – und | |
| bekommt am Ende mehrere Angebote. Weil sie in Köln bleiben will, nimmt sie | |
| das des Verfassungsschutzes an. Das war 2006. In den ersten Monaten fühlte | |
| sie sich fremd, rauchte viel und erwog, wieder zu gehen. Ihr | |
| Abteilungsleiter überzeugte sie zu bleiben. | |
| Badenberg wechselte vom „auslandsbezogenen Extremismus“ erst ins | |
| Haushalts-, dann ins Personalreferat, später baute sie die Cyberabwehr im | |
| Haus mit auf – und verdiente sich dafür von oben stets Anerkennung. | |
| Schließlich leitete sie die Abteilung 2, zuständig für Rechtsextremismus | |
| und Rechtsterrorismus. Jetzt ist sie stellvertretende Chefin von 4.200 | |
| Mitarbeitenden und leitet die Geschicke des Amtes mit. | |
| Mit dem Thema Rechtsextremismus kommt Felor Badenberg im Verfassungsschutz | |
| früh in Berührung. Als 2011 die rechtsextreme [2][Terrorgruppe NSU] | |
| auffliegt, leitet sie das Personalreferat. Der Geheimdienst hatte von der | |
| Existenz des Trios nichts gewusst, obwohl es jahrelang mordend durchs Land | |
| gezogen war. „Ich habe mich damals so geschämt, und ich schäme mich heute | |
| noch“, sagt Badenberg. | |
| Nach dem NSU-Debakel übernimmt [3][Hans-Georg Maaßen] die Leitung des | |
| Bundesamts, einige belastete Mitarbeiter werden versetzt, darunter einer | |
| mit dem Decknamen „Lothar Lingen“. Er hatte Akten von V-Leuten aus dem | |
| NSU-Umfeld schreddern lassen. Badenberg wickelt die Umsetzungen zu Maaßens | |
| Zufriedenheit ab. Der holte sie in seinen Stab – was ungewöhnlich war: | |
| Maaßen interessierte sich nicht für Frauenförderung, scharte vor allem | |
| Männer um sich. | |
| Badenberg war jetzt für die regelmäßigen Berichte an Abgeordnete und die | |
| Regierung verantwortlich – und schrieb auch Reden für Maaßen. Sie trug also | |
| gewissermaßen seinen Kurs mit, der vor allem auf den islamistischen | |
| Terrorismus zielte und die rechtsextreme Gefahr, auch die der AfD, zu | |
| wenig sah. Ob sie von Maaßens eigenen rechten Thesen, mit denen er seit | |
| seinem Rauswurf aus dem Verfassungsschutz 2018 hausieren geht, damals schon | |
| etwas mitbekam, sagt sie nicht. Zu Maaßen will Badenberg sich nicht äußern. | |
| Als sie vor zweieinhalb Jahren, nach dem Mord an Walter Lübcke und dem | |
| Anschlag in Halle, die Abteilung Rechtsextremismus übernimmt, ist die | |
| Überprüfung der AfD unter dem neuen Präsidenten Thomas Haldenwang bereits | |
| angelaufen – wegen des steigenden Drucks aus Politik und den Landesämtern | |
| und auch, weil Haldenwang sich den Kampf gegen den Rechtsextremismus auf | |
| die Fahnen geschrieben hat. | |
| Badenbergs Abteilung wird personell fast verdoppelt, sie bereitet Verbote | |
| vor von Gruppen wie Combat 18, stellt Organisationen der Neuen Rechten | |
| unter Beobachtung. Wenn Badenberg über die Szene redet, spricht sie von | |
| mitunter „grauenhaften“ Äußerungen. „Das ist zum Teil schwer zu ertrage… | |
| Felor Badenberg treibt mit ihrer Abteilung – gegen den Widerstand aus dem | |
| Innenministerium, an dessen Spitze damals noch Horst Seehofer steht – die | |
| Einstufung der AfD als eines rechtsextremen Verdachtsfalls voran. Sie | |
| versammelt rund 60 Mitarbeitende um sich, Jurist:innen, Historiker:innen, | |
| Islamwissenschaftler:innen, auch ein Linguist ist dabei, gearbeitet wird | |
| teils nachts. Am Ende steht ein Bericht, 1.001 Seiten stark, eine | |
| Dokumentation des Hasses. | |
| Als das Verwaltungsgericht in Köln im März [4][die Klage der AfD gegen die | |
| Einstufung verhandelt], sitzt Badenberg in einem blauen Kleid in der ersten | |
| Reihe. Die Nächte zuvor habe sie unruhig geschlafen, erzählt sie. Als am | |
| späten Abend das Urteil gesprochen ist und sie mit ihrem Team die Kölner | |
| Messe verlässt, habe beim Rausgehen ein Kollege zu ihr gesagt: „Wir haben | |
| gewonnen und dürfen uns auch freuen.“ | |
| Ihre Abwehr gegen die AfD hat sicher auch damit zu tun, dass Badenberg | |
| selbst zu einer Gruppe gehört, gegen die die Partei zu Felde zieht. Nach | |
| ihrer Ernennung zur Vizepräsidentin ätzten Rechte auf Social Media über | |
| eine „Islamisierung“ und „Unterwanderung“ deutscher Behörden. | |
| Und als der Focus kürzlich über eine angeblich aktuelle und „verbotene | |
| Reise“ von ihr in den Iran berichtete, forderte ein AfD-Mann ihren | |
| Rücktritt. Der Iran ist als Risikoland eingestuft, Mitarbeiter:innen | |
| des Verfassungsschutzes dürfen dorthin nicht reisen, außer sie haben eine | |
| Sondergenehmigung. Der Grund des Besuchs soll die Beerdigung ihres Vaters | |
| gewesen sein. | |
| Der Verfassungsschutz weist den Vorwurf vehement zurück. In dem | |
| Besprechungsraum in Berlin-Mitte erzählt Badenberg, dass sie aus | |
| „dringenden familiären Gründen“ tatsächlich im Iran war, das aber bereits | |
| vor fünfeinhalb Jahren und unter Einhaltung aller Vorschriften – und danach | |
| nie wieder. Details nennt sie nicht. Mittlerweile musste der Focus | |
| zurückrudern und behauptet nun nicht mehr, dass Badenberg gegen | |
| Sicherheitsvorkehrungen verstoßen habe. | |
| Badenberg, die engen Kontakt zu ihrer Familie hält, zahlt einen hohen | |
| Preis. Sie ist Schmähungen von rechts gewohnt, zumindest nach außen lässt | |
| sie diese abperlen. Dass der Focus aber einen „hohen Regierungsbeamten“ und | |
| einen nicht namentlich genannten früheren Innenstaatssekretär mit Kritik an | |
| Badenberg zitiert, zeigt, dass sie im Sicherheitsapparat nicht nur Freunde | |
| hat. | |
| Das Bundesamt holt mit ihrer Ernennung letztlich ein Stück | |
| gesellschaftliche Normalität nach. Als Badenberg 2006 antrat, gab es keine | |
| einzige Abteilungsleiterin, heute sei fast die Hälfte erreicht. Hinzu | |
| kommt: Auch der zweite Vizepräsident, Sinan Selen, hat eine | |
| Migrationsgeschichte. | |
| Fragt man Felor Badenberg, was sich während ihrer Zeit im Bundesamt | |
| geändert habe, nennt sie Führungsstil und Fehlerkultur. Sie selbst will | |
| Mitarbeiter:innen ermuntern, den Mund aufzumachen, wenn sie | |
| Fehlentwicklungen beobachten, und sich nicht zu schnell zufriedenzugeben, | |
| wenn Dinge versanden. „Wir wollen ja der Szene ihre Werkzeuge nehmen und | |
| wirklich etwas verändern.“ | |
| Erkundigt man sich über sie, hört man im Grunde nur lobende Worte. Selbst | |
| die Linke-Innenexpertin Martina Renner lobt Felor Badenberg als | |
| kommunikativ und zielstrebig im Kampf gegen rechts. Aber Renner betont | |
| auch: „Die Frage bleibt, wie repräsentativ sie für den Verfassungsschutz | |
| ist oder wie viel alte Strukturen dort doch noch weiterwirken. Und da darf | |
| man durchaus Zweifel haben.“ | |
| Und nicht nur Renner kritisiert, dass der Verfassungsschutz, auch unter | |
| Badenbergs Mitwirkung, die jüngsten Coronaproteste nicht als rechtsextrem | |
| einstufte, sondern dafür ein neues Beobachtungsobjekt mit sperrigem Titel | |
| schuf: „Verfassungsschutzrelevante Delegitimierung des Staates“. Auch | |
| Thüringens Innenminister Georg Maier (SPD) fordert, die Querdenkerszene | |
| „konsequent“ als rechtsextrem einzustufen. Badenberg dagegen verteidigt den | |
| Schritt: „Nicht alle dort teilen rechtsextremistische Ideologien.“ | |
| Auch mit der AfD ist die neue Vizepräsidentin noch nicht am Ende. Nach dem | |
| Kölner Urteil zur Einstufung legte die Partei Berufung ein. Badenberg gibt | |
| sich gelassen. Wird die AfD bald vom Verdachtsfall zum offiziellen | |
| Beobachtungsobjekt? Äußern will sie sich dazu nicht. Aber Badenberg betont: | |
| „Am Ende ist der Kampf gegen den Rechtsextremismus nicht nur eine Aufgabe | |
| für die Sicherheitsbehörden, sondern eine für die gesamte Gesellschaft.“ | |
| 19 Jul 2022 | |
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