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# taz.de -- Suizidprävention im Gefängnis: Schützende Räume
> Die Suizidrate in Gefängnissen ist allgemein hoch. In der JVA Moabit wird
> jetzt modellhaft ein Raum eingerichtet, der Selbsttötungen verhindern
> soll.
Bild: Ohne Ecken und Kanten: Möbel, wie sie auch in psychiatrischen Einrichtun…
Berlin taz | Justizsenatorin Felor Badenberg (parteilos, für CDU) sitzt am
Donnerstag in der JVA Moabit und erzählt von dem ersten Besuch, den sie der
Untersuchungshaftanstalt nach ihrem Amtsantritt abstattete: Damals habe ihr
die Leiterin auch den Raum gezeigt, in dem Inhaftierte mit akutem Selbst-
und Fremdverletzungsrisiko kurzfristig untergebracht werden. „Meine Güte“,
habe sie gedacht und versucht sich vorzustellen, wie es sein müsse, sich
dort aufzuhalten: „Ob ich in einem solchen Raum von meiner Absicht ablassen
würde?“
Tatsächlich ist der „besonders gesicherte Haftraum ohne gefährdende
Gegenstände“, wie er ganz offiziell heißt, eine Zelle wie aus einem
dystopischen Film – kahle Wände mit Kameras in allen Winkeln, eine
Kunststoffmatratze, eine offene Kloschüssel aus Edelstahl. Zwar hat die
JVA-Leitung vor Kurzem eine „Videowand“ anbringen lassen, auf der die
Gefangenen ein paar Spiele-Apps nutzen oder beruhigende Naturaufnahmen
ansehen können, aber auch damit wird daraus kein schöner Raum: Es ist eine
Akutverwahrung, mit der Justizpsychiatrie als nächster Station.
Badenberg will bessere Bedingungen für Häftlinge mit Suizidabsichten, sagt
sie. In den laufenden Haushaltsverhandlungen habe sie deshalb „sehr darum
gekämpft“, die nötigen Mittel für einen Suizidpräventionsraum einstellen …
können – einen Raum, der keine Selbstverletzungen ermögliche, aber dennoch
freundlich und „stabilisierend“ wirke.
## Ohne Ecken und Kanten
Mit Erfolg, wie sie am Donnerstag in der JVA mitteilte: Schon im ersten
Quartal des kommenden Jahres werde ein Raum in der Moabiter Teilanstalt 1
baulich hergerichtet und entsprechend eingerichtet. Nicht weniger als
438.000 Euro soll das kosten, was offenbar weniger an dem – auch nicht
billigen – Kunststoffmobiliar ohne Ecken und Kanten liegt, sondern an der
Ausstattung mit einer Fußbodenheizung: Wie JVA-Leiterin Anke Stein noch
einmal deutlich macht, können suizidale Menschen nicht nur Rohre, sondern
auch Heizkörper für ihre Absicht nutzen.
Stein erläutert, welchen psychischen Belastungen Inhaftierte ausgesetzt
sind, die zu spontanen Gedanken an eine Selbsttötung oder zur Verstärkung
vorhandener Gedanken führen können: Jemand, der mit einem Tatverdacht in
der Untersuchungshaft lande, sei aus seinem gewohnten Umfeld
herausgerissen, „dann bekommt man sein Urteil und weiß plötzlich, dass man
viele Jahre in Haft bleiben wird“. Tatsächlich sei die
Suizidwahrscheinlichkeit in einer JVA etwa so hoch wie in einer
psychiatrischen Einrichtung.
Im laufenden Jahr kam es bislang zu acht Selbsttötungen in [1][Berliner
Haftanstalten], berichtet Susanne Gerlach, Abteilungsleiterin für den
Strafvollzug in der Justizverwaltung – zwei Fälle hätten sich in Moabit
ereignet. In 14 Fällen habe es Suizidversuche gegeben, wobei es nicht immer
einfach sei, die Grenze zu Selbstverletzungen ohne Todeswunsch zu ziehen.
Monokausale Erklärungen für die Suizidrate in den Gefängnissen gebe es
nicht, so Gerlach: Warum die Zahl in den vergangenen Jahren zwischen 0
(2019) und 9 (2020) schwankte, lasse sich so nicht beantworten.
„Suizidpräventionsräume“ soll es laut der Justizsenatorin perspektivisch …
allen Berliner JVAs geben. Klar ist: Im Gegensatz zu dem anfangs
beschriebenen kahlen Raum mit Videokameras kann und wird die temporäre
Unterbringung im Präventionsraum nicht ohne Zustimmung des Gefangenen
stattfinden.
7 Dec 2023
## LINKS
[1] /125-Jahre-JVA-Tegel/!5964915
## AUTOREN
Claudius Prößer
## TAGS
Suizidversuch
JVA
Gefängnis
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Suizid
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Strafvollzug
Bundesamt für Verfassungsschutz
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