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# taz.de -- 125 Jahre JVA Tegel: Gefangene verdienen Respekt
> Veranstaltung anlässlich des 125-jährigen Bestehens der
> Justizvollzugsanstalt Tegel mit ausgewählten Gästen. Nicht alle Reden
> waren von Relevanz.
Bild: Auch Anklopfen an der Zelle gehört zu einem angemessenen Umgang
Berlin taz | Das genaue Datum steht nun endgültig fest. Am 2. Oktober 1898
wurde die Justizvollzugsanstalt Tegel erstmals mit Gefangenen belegt.
„Erstbezug“, wie der Leiter von Berlins Männerhaftanstalt Martin Riemer das
am Freitag nannte. Anlässlich des 125-jährigen Bestehens des Gefängnisses
fand in der Anstaltskirche eine Veranstaltung mit geladenen Gästen statt.
Ein bisschen wie ein Insidertreffen mutete das Ganze an. Leiter anderer
Knäste waren gekommen, Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der
Senatsverwaltung für Justiz, der Präsident des Amtsgerichts, die
Generalstaatsanwältin, Mitglieder des Berliner Vollzugsbeirats. Inhaftierte
hingegen waren nur durch die vier Mitarbeiter der [1][unabhängigen Tegeler
Gefangenenzeitung Lichtblick] vertreten – und durch die Gefangenen-Band,
die mit dem Pastor zwischen den Reden auftrat. Leitfaden für Musikauswahl
und Reden war das Gestern, Heute und Morgen der JVA Tegel.
Tegel hat eine dunkle Geschichte. Schon in der Kaiserzeit waren dort
politisch Unliebsame inhaftiert worden. Auch in der Weimarer Republik
wurden Menschen allein für ihre politische Haltung eingesperrt. Ihre
dunkelste Zeit hatte die Strafanstalt Tegel von 1933 bis 1945, während der
nationalsozialistischen Diktatur. Angehörige des politischen,
gewerkschaftlichen, religiösen und militärischen Widerstandes waren dort
bis zu ihren Verfahren vor dem Volksgerichtshof untergebracht. Viele
Inhaftierte sind aus Tegel direkt in die Hinrichtungsstätten in Plötzensee
oder Brandenburg an der Havel verbracht und dort ermordet worden.
Zu den bekanntesten Inhaftierten zählten Friedrich Wilhelm Voigt, auch
bekannt als Hauptmann von Köpenick, Carl von Ossietzky und Dietrich
Bonhoeffer. Das und vieles mehr steht auch in einer umfassenden Chronik,
die die Haftanstalt anlässlich des 125-jährigen Bestehens herausgebracht
hat.
## Justizsenatorin will Geld in die Hand nehmen
Auch Justizsenatorin Felor Badenberg (parteilos, für die CDU) gehörte am
Freitag zu den Gästen. Wie Polizei und Rettungsdiensten komme den
Justizbediensteten „eine große gesellschaftliche Relevanz“ zu, sagte sie
bei ihrer Ansprache. Auch kündigte Badenberg an, „Geld in die Hand zu
nehmen“ für den Neubau einer Teilanstalt auf dem Gelände. Neues verriet sie
damit nicht. Schwarz-Rot hatte schon bei den Koalitionsverhandlungen
beschlossen, das von Badenbergs Vor-Vorgänger Dirk Behrendt (Grüne)
gestoppte Bauvorhaben wieder aufnehmen.
Der Neubau ist auch aus Sicht von fortschrittlichen Justizexperten
überfällig, um die aus der Kaiserzeit stammende Teilanstalt II schließen
und sanieren zu können. Die Inhaftierten sind dort in 7,8 Quadratmeter
großen Zellen ohne abgetrennten Sanitärbereich untergebracht. Sie schlafen
mit dem Kopf praktisch neben dem Klo, wie [2][Anstaltsleiter Riemer im
taz-Interview] sagte.
Wenn eine Rede an diesem Tag von Relevanz war, dann die des [3][früheren
Tegeler Anstaltsleiters Ralph-Günter Adam]. Adam hatte 1978 als
Sozialarbeiter in Tegel angefangen. Von 2007 bis zu seiner Pensionierung
2013 hatte er das Gefängnis geleitet. Er lebt inzwischen in Bayern und
engagiert sich ehrenamtlich für die Nationale Stelle zur Verhütung von
Folter. Der Auftrag von Gefängnissen sei nicht nur, die Gesellschaft vor
Straftätern zu schützen, sondern auch den Inhaftierten den Weg zurück in
die Gesellschaft zu bahnen, sagte Adam. „Gefangene sollten nicht nur eine
Nummer sein, sondern ihre Würde behalten.“
Auch in der Zeit, als er schon Anstaltsleiter war, hatte Adam noch
Fortbildungsveranstaltungen für Mitarbeiter gemacht. Um seine Philosophie
weitergeben, wie er am Freitag sagte. „In keiner Institution haben Menschen
so viel Macht über andere Menschen wie im Strafvollzug.“ Es beginne bei
kleinen Dingen wie Anklopfen an der Zelle, und auch
Ganzkörperdurchsuchungen könnten weniger entwürdigend durchgeführt werden.
Mit den Wünschen für „ein von gegenseitigem Respekt getragenes Miteinander�…
schloss Adam dann auch seine Rede.
## Aufgeschlossen für KI in Tegel
Martin Riemer, seit 10 Jahren Anstaltsleiter, wagte einen Blick in die
Zukunft. Gegenwärtig sind rund 700 Männer in Strafhaft und
Sicherungsverwahrung untergebracht. Tegel sei ein Gefängnis für besonders
schwierige Menschen mit komplexen Störungen, sagte Riemer. Auch die
Konflikte in Europa und der Welt würden vor der Haftanstalt nicht
haltmachen.
Traumatisierte Inhaftierte mit Fluchterfahrung bräuchten eine besondere
therapeutische Betreuung. Das sei nicht nur eine Frage von Personal, auch
die Sprachbarrieren seien ein großes Problem. „Ob uns KI da in Zukunft
helfen kann?“, fragte Riemer. Etwa, indem therapeutische Hilfe in die
Sprache des Gegenübers übersetzt werden könne? „Ich wäre für so eine
Entwicklung aufgeschlossen“.
6 Oct 2023
## LINKS
[1] /Knastzeitung-aus-Berlin-Tegel/!5922963
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[3] /Gefaengnis/!5068866
## AUTOREN
Plutonia Plarre
## TAGS
Strafvollzug
Schwerpunkt Künstliche Intelligenz
Gefangene
Berlin-Tegel
Suizidversuch
Schwerpunkt Stadtland
wochentaz
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