# taz.de -- Geplatzte Obdachlosenzählung in Berlin: Es sieht schlecht aus für… | |
> Das Ziel, die Obdachlosigkeit bis 2030 abzuschaffen, ist kaum noch zu | |
> erreichen. Dafür fehlt nun ein wichtiger Baustein. Die Politik agiert | |
> konzeptlos. | |
Bild: Nicht alle Obdachlosen in Berlin sind so sichtbar wie jene hier am Stuttg… | |
Die Überwindung der [1][Wohnungs- und Obdachlosigkeit in Berlin bis 2030] | |
war vor vorneherein ein sehr ambitioniertes Ziel. Viele waren skeptisch, | |
als die ehemalige Sozialsenatorin Elke Breitenbach (Linke) vor knapp zwei | |
Jahren ihren „Masterplan“ verkündete. Wie soll das gehen, fragten sie, | |
angesichts zunehmender Wohnungsknappheit und Armut, steigenden Mieten und | |
immer mehr Zuwanderern? | |
Nach der [2][Absage der zweiten Wohnungslosenzählung], die Ende vergangener | |
Woche bekannt wurde und eigentlich kommenden Mittwoch stattfinden sollte, | |
bleibt festzuhalten: Die Chancen, den Masterplan zu realisieren, sind damit | |
weiter gesunken. Denn nun wird weiterhin die solide Datenbasis fehlen, die | |
Expert*innen seit Jahren fordern. Es weiß ja niemand, wie viele Menschen | |
genau auf der Straße leben, in Kellern und auf Dachböden, bei | |
Bekannten/Freunden auf dem Sofa – seit wann und warum genau, was sie | |
brauchen, was ihnen fehlt. | |
Man weiß nur: Die knapp 2.000 Obdachlosen, die bei der [3][ersten Erfassung | |
im Januar 2020] von den Zähler*innen auf Berlins Straßen angetroffen | |
wurden, können nicht „alle“ sein – das widerspricht den Beobachtungen und | |
auch den Schätzungen der Expert*innen, die von bis zu 10.000 Obdachlosen | |
ausgegangen waren. | |
Und weil sich zudem Obdachlosigkeit im Winter anders darstellt als im | |
Sommer, etwa weil mehr Wanderarbeiter*innen aus dem In- und Ausland | |
in die Hauptstadt kommen, haben die [4][Expert*innen um Armutsforscherin | |
Susanna Gerull] von Beginn an gesagt, man brauche eine „Sommerzählung“ – | |
beziehungsweise regelmäßig wiederkehrende Zählungen. Und man benötige für | |
die umfassende Wohnungsnotfallstatistik auch Befragungen von anderen | |
Menschen, etwa jener, die tagsüber die Angebote der Wohnungslosenhilfe | |
aufsuchen. | |
Aus all dem wird auf absehbare Zeit nichts. Die Verantwortlichen, also die | |
Senatsverwaltung für Soziales und der Verband für sozial-kulturelle Arbeit | |
(VskA), haben – warum auch immer – entschieden, die verpatzte Sommerzählung | |
im Winter 2023 nachzuholen. Methodisch macht das keinen Sinn. Zudem haben | |
die Befragungen anderer Wohnungsloser in den Hilfseinrichtungen [5][laut | |
Gerull] ebenfalls nicht stattgefunden wegen Corona. Von der geforderten | |
„umfassenden Wohnungsnotfallstatistik“ sind wir also so weit weg wie vor | |
Ausrufung des Masterplans des Senats. | |
Das mag zum kleinen Teil daran liegen, dass die Zivilgesellschaft, die ja | |
die Zählung mit mindestens 2.600 Freiwilligen vor allem stemmen sollte, | |
gerade zu sehr mit anderen Themen (Corona, Ukraine-Krieg, Klimakrise) | |
beschäftigt ist, die auch alle „Solidarität“ fordern – und viele Mensch… | |
wohl auch überfordern. | |
Das größere Problem ist jedoch die Zögerlichkeit und Konzeptlosigkeit der | |
Politik, die sich im aktuellen Vorgehen zeigt. Wenn einem die „Abschaffung | |
der Obdachlosigkeit“ ein ehrliches und dringliches Anliegen ist, darf man | |
einen zentralen Baustein wie die Zählung nicht an die Zivilgesellschaft | |
auslagern. Das müssen Politik und Verwaltung schon selber organisieren, | |
finanzieren und umsetzen. | |
Ob Breitenbachs Nachfolgerin Katja Kipping (ebenfalls Linke) dazu bereit | |
ist? Sie wird sich schnell etwas einfallen lassen müssen, um das Ziel 2030 | |
nicht völlig aus den Augen zu verlieren. | |
18 Jun 2022 | |
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## AUTOREN | |
Susanne Memarnia | |
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