# taz.de -- Obdachlose in der Hitze: Schutzlos auf dem Asphalt | |
> Der Sommer bringt obdachlose Menschen in Lebensgefahr. In Berlin | |
> organisieren Stadt und Vereine Angebote der Hitzehilfe. Doch das reicht | |
> nicht. | |
Bild: Besonders Großstädte wie Berlin heizen sich im Sommer auf – und werde… | |
Das mit der [1][Hitzehilfe habe sich] sofort herumgesprochen, sagt Artan | |
Zeka. Und er klingt dabei selbst fast ein bisschen erstaunt. Zeka leitet | |
die Mitte Juli in Berlin-Schöneberg eröffnete Anlaufstelle, mit der das | |
Land Berlin obdachlosen Menschen tagsüber Schutz vor Sonne und Hitze bieten | |
will. | |
„Schon am ersten Tag sind um die zwanzig Menschen gekommen, am zweiten Tag | |
waren es schon mehr als dreißig“, sagt er. Das sei vor allem im Vergleich | |
zur Kältehilfe im Winter auffällig. „Denn da dauert es nach unseren | |
Erfahrungen immer etwa eine Woche, bis die Menschen den Weg zu uns finden.“ | |
Der Tag, an dem Zeka gemeinsam mit Berlins Sozialsenatorin und den | |
Leiterinnen des Trägers Internationaler Bund (IB) durch die Einrichtung | |
führt, ist ein besonders heißer. Und einer, der verdeutlicht, wie wichtig | |
Hitzehilfe für [2][obdachlose Menschen] ist. Genau wie Kälte kann auch die | |
Hitze tödlich sein für Menschen ohne Obdach, konkrete Zahlen zu Hitzetoten | |
unter Obdachlosen gibt es bislang nicht. | |
Schon am Morgen sind es um die 30 Grad, im Laufe des Tages wird die | |
Temperatur in der Hauptstadt auf 38 Grad ansteigen. Für Menschen, [3][die | |
keine eigene Wohnung aufsuchen] können, sei das durchaus eine | |
lebensbedrohliche Gefahr, sagt Sozialsenatorin Katja Kipping (Linke). | |
„Gerade dicht besiedelte Städte sind noch einmal ein besonderer | |
Wärmespeicher, auch nachts kühlt es kaum ab“, sagt sie. „Wer obdachlos is… | |
kann sich nicht einmal mit einer kühlen Dusche oder einem kalten Fußbad | |
Linderung verschaffen.“ | |
## Mobile Teams in Parks und unter Brücken | |
Das soll nun in Berlin-Schöneberg wenigstens für einige Menschen möglich | |
gemacht werden. Die Unterkunft eröffnet erstmals im Rahmen eines | |
Modellprojekts, Kipping erhofft sich daraus auch Erkenntnisse darüber, was | |
die Menschen bräuchten. Dass sie damit nur wenige erreichen, ist ihr klar. | |
In Berlin sind neben der nun neu eröffneten stationären Unterkunft seit | |
2020 auch mobile Teams von der Sozialgenossenschaft Karuna im Rahmen der | |
offiziellen Hitzehilfe unterwegs. Sie fahren mit Kleinbussen und | |
Lastenfahrrädern viele der Plätze ab, an denen obdachlose Menschen ihre | |
Zelte oder Matratzenlager aufgebaut haben – etwa unter Brücken, in Parks, | |
am Rand des Landwehrkanals oder in der Nähe von S-Bahnhöfen und | |
U-Bahnstationen – und verteilen Wasser. | |
Außerdem reagieren sie auf Anrufe bei der Hitzehotline: Eine Anwohnerin hat | |
in der Nähe von Bellevue einen Mann gesehen, der wohl Wasser braucht. Arvid | |
Meinicke und Michael Birchner sind an diesem heißen Julitag mit einem der | |
drei Kleinbusse von Karuna im Westen der Stadt und machen sich auf den Weg. | |
Tatsächlich liegt ein Mann auf der Brücke hinter dem S-Bahnhof komplett in | |
der Sonne, die Augen geschlossen. „Das gefällt mir gar nicht“, kommentiert | |
Birchner. Mit einer 1,5-Liter Flasche Wasser und einem Wasserbeutel geht er | |
auf den Mann zu, fragt ihn, ob alles in Ordnung sei, ob er etwas Wasser | |
haben wolle. | |
Der Mann nimmt die Flasche und stellt sie neben sich. Eine Verständigung | |
ist schwierig, er spricht weder Deutsch noch Englisch, erklärt aber, er | |
komme aus Rumänien. Birchner meint, dass er gern an einem anderen Tag mit | |
Sprachmittler wiederkommen würde, um ihn zu einem Arzt zu begleiten. Er | |
notiert sich Zeit und Ort. | |
## Schluck aus der Flasche | |
Während die beiden bei dem Mann stehen, kommt ein Nachbar mit einer | |
weiteren Flasche dazu und bietet Wasser an. Der Mann stellt die Flasche | |
neben die erste, nach etwas Hin und Her ist er auch bereit, von seinem | |
Platz in der prallen Sonne etwas weiter in den Schatten des Brückenkopfes | |
zu wandern. | |
Birchner und Meinicke machen sich wieder auf den Weg. Als der Karuna-Bus | |
gerade anfährt, nimmt der Mann auf der Brücke einen Schluck aus der | |
Wasserflasche. „So hat er eine gute Chance, dass er den Tag ohne | |
Kopfschmerzen übersteht“, sagt Meinicke. | |
Theoretisch könnten sie auch Menschen in ihre Busse aufnehmen, die heißen | |
offiziell Cooling Busse und sind klimatisiert. Doch in der Praxis komme das | |
bisher kaum vor. Meinicke sagt, dass er den Menschen oft auch rate, | |
zwischendurch in einen Supermarkt zu gehen, wenn es zu heiß werde. | |
Andere obdachlose Männer treffen sie auf ihrer Tour mit entblößtem | |
Oberkörper an. Birchner fragt dann jedes Mal, ob sie noch ein Hemd dabei | |
haben. Er kennt die Probleme obdachloser Menschen aus eigener Erfahrung. | |
Neun Jahre habe er auf der Straße gelebt. | |
Über betreutes Wohnen sei er Schritt für Schritt zurück zu einer eigenen | |
Wohnung gekommen und weg vom Alkohol. Vor knapp zwei Jahren hat er bei | |
Karuna als Obdachlosenlotse angefangen, finanziert wird er über das | |
solidarische Grundkeinkommen des Lands Berlin. „Ich kenne die Straße aus | |
eigenem Erleben. Es ist genau der Job, den ich immer machen wollte“, sagt | |
er. Und weiter: „Wir gucken, wo wir schnell und flexibel unterstützen | |
können“, sagt Birchner. Wo sie nicht weiterkommen, informieren sie | |
Sozialarbeiter*innen. | |
## Fokus auf Hitze wegen Klimakatastrophe | |
Die Teams von Karuna sind nicht die einzigen, die Menschen auf den Straßen | |
von Berlin unterstützen. Die Streetworker des Vereins Gangway Berlin etwa | |
verteilen ebenfalls Wasser und Hygienebeutel, „ohne das jetzt groß | |
Hitzehilfe zu nennen“, sagt der dortige Fachleiter für Straßensozialarbeit, | |
Juri Schaffranek. | |
„Seit sich [4][die Klimakatastrophe] bemerkbar macht mit längeren und | |
heißeren Phasen haben wir darauf auch einen Fokus gelegt“, sagt er. Die | |
Tageseinrichtung der Hitzehilfe findet er sehr sinnvoll, auch die Arbeit | |
von Karuna lobt er. „Manchmal würde ich mir aber wünschen, dass wir uns | |
untereinander besser absprechen, damit nicht einige Orte überversorgt sind, | |
während andere vielleicht unter den Tisch fallen.“ | |
Der Hansaplatz in Berlin-Mitte könnte so ein Ort sein, an dem viele | |
Unterstützer*innen vorbeischauen. Birchner verteilt hier vier | |
Wasserflaschen an die Menschen, die dort sitzen und Bier trinken. Einer | |
der Männer freut sich fast noch mehr über die Pfandflasche als über das | |
Getränk und fragt nach mehr, Birchner hat aber nur noch Wasserbeutel. | |
Die Beutel haben die Berliner Wasserbetriebe für die Hitzehilfe abgefüllt. | |
Im Alltag erwiesen sie sich als nicht besonders praktikabel, weil das | |
Wasser in einem Schwung rausschwappt, wenn man sie aufreißt. Die einzige | |
Frau in der Runde legt sich einen Beutel an den Hals, um sich etwas | |
abzukühlen. Ein Mann fragt nach Essen, Kleidung und einem Sommerschlafsack. | |
Birchner sagt, dass sie heute nur Wasser dabei hätten, und verweist ihn an | |
die Bahnhofsmission am Zoo. | |
Als er zurück zum Auto geht, folgt die Frau ihm. Sie brauche einen Ausweis, | |
sagt sie. „Foto habe ich.“ Birchner bespricht mit ihr, wann er wiederkommen | |
kann, um sie zur Behörde zu begleiten, und ob sie das Geld für die | |
Ausweisgebühr hat. „Zwei Wohnungen habe ich verloren“, sagt sie. „Ich ka… | |
nicht mehr. All der Alkohol und so viel Streit immer.“ Sie hoffe, dass sie | |
noch mal eine Chance bekomme. | |
„Weil wir hier regelmäßig unterwegs sind, kommen wir gut in Kontakt und | |
können bei solchen Dingen helfen“, sagt Birchner, der auf der Tour fast | |
alle mit Namen kennt. „Aus dieser Regelmäßigkeit entwickelt sich dann | |
etwas.“ Am Ausweis hinge oft auch viel anderes, etwa Leistungen vom Amt. | |
„Was wirklich helfen würde wäre aber Housing First“, sagt Birchner, also | |
der bedingungslose Zugang zu einer Wohnung. | |
## Angebot hat sich herumgesprochen | |
In Berlin gibt es auch dazu ein Modellprojekt, doch die begehrten Plätze | |
sind begrenzt. „Wenn die Menschen erst einmal wieder eine Wohnung haben, | |
dann haben sie vielleicht auch die Kraft, andere Probleme anzugehen“, sagt | |
er. „Was auch gut wäre: Eine Anlaufstelle für obdachlose Menschen, die rund | |
um die Uhr geöffnet ist. Mit Essen, Trinken, ärztlicher Versorgung, | |
Duschen, Friseur und vielleicht sogar Zugang zu Ämtern.“ Dann müssten sie | |
sie nicht immer auf den nächsten Tag oder die kommende Woche vertrösten. | |
So bleibt die akute Hilfe zusammengestückelt. An zwei Wochentagen etwa | |
öffnet in Berlin die Taborkirche in Kreuzberg ihren Vorraum, um Schutz vor | |
der Hitze zu bieten. Die Gemeinde leistet seit knapp zwanzig Jahren in den | |
Wintermonaten auch einmal pro Woche Kältehilfe. | |
So lange ist auch Gemeindemitglied Wolfgang Rudolph dabei, der nun den | |
Menschen Tee, Kaffee und belegte Brote anbietet. Auch dieses Angebot hat | |
sich schon herumgesprochen. Eine Frau holt sich heißes Wasser für | |
Instant-Nudeln und freut sich über einen Kaffee, das Brot nimmt sie sich | |
für später mit. | |
„Ich sehe hier fast immer dieselben Leute“, sagt Rudolph. „Für diese Gru… | |
hat sich also in diesem langen Zeitraum fast nichts verändert. Das ist | |
unfassbar für mich“, sagt er. In der Gemeinde könnten sie auch noch mehr | |
machen – wenn sich weitere ehrenamtliche Helfer*innen finden würden. | |
Das Modellprojekt Hitzehilfe in Berlin gilt auf jeden Fall schon nach | |
wenigen Tagen als Erfolg. Aufgrund großer Nachfrage plant der IB, seine | |
Hitzehilfe nun auch in anderen Städten anzubieten. | |
In der Unterkunft in Schöneberg erhoffen sich die Mitarbeiter*innen, dass | |
sie mit den Menschen über die akute Hilfe hinaus ins Gespräch kommen und | |
vielleicht in der Zeit bis Ende Oktober ein paar Probleme lösen können. | |
Denn die Zeit nach den heißen Sommertagen ist auf der Straße nicht weniger | |
gefährlich. | |
26 Jul 2022 | |
## LINKS | |
[1] /Hitzehilfe-fuer-Obdachlose-in-Berlin/!5869631 | |
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## AUTOREN | |
Uta Schleiermacher | |
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