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# taz.de -- Obdachlose im Winter in Berlin: Auf der Straße droht der Tod
> Die frostigen Temperaturen sorgen für eine starke Auslastung der
> Kältebusse. Die haben wegen voller Notunterkünfte Probleme, die
> Obdachlosen unterzubringen.
Bild: Nicht mehr nur Obdachlose kommen zur Essensausgabe am Zoo, sondern auch A…
Berlin taz | Ein gutes Dutzend Obdachlose steht in der klirrenden Kälte vor
der Essensausgabe der [1][Bahnhofsmission am Bahnhof Zoo]. An einem Fenster
werden belegte Brötchen ausgeteilt, an dem anderen heiße Getränke. Warmes
Essen gibt es hier nicht, auch kein heißes Wasser, sagt Alex, der sich
gerne eine Suppe aufkochen würde, wie er der taz erzählt. Alex kommt jeden
Tag hierher und holt sich etwas zu essen. Auch ins Hygiene-Center nebenan
geht er regelmäßig, um sich zu duschen und die Zähne zu putzen.
Alex ist seit Beginn der Pandemie obdachlos. „Ich habe bei Corona alles
verloren“, sagt er. Mehr möchte er nicht erzählen. Der große stattliche
Mann in den Vierzigern ist in Klamotten aus der Kleiderkammer gekleidet,
auch wenn die nicht immer passen würden, wie er sagt. Trotz der eisigen
Temperaturen will er nicht in eine Notunterkunft, „zu viele Regeln“, so
seine Begründung. Zurzeit wohne er in einem „Objekt“: Was das genau
bedeutet – etwa ein leer stehendes Haus oder ein Baucontainer –, verrät er
nicht. Nur eines: „Es ist kalt.“
Temperaturen deutlich unter dem Gefrierpunkt wie in den vergangenen Tagen
können für Obdachlose lebensgefährlich sein. Die sogenannten Kältebahnhöfe
der BVG, in denen sich Obdachlose auch nachts aufhalten konnten, gibt es
nicht mehr. Die [2][Kältebusse der Berliner Stadtmission] seien daher
zurzeit „stark nachgefragt“, sagt Sprecherin Barbara Breuer der taz.
Siebzig bis 90 Anrufe bekommen die Fahrer*innen pro Nacht – mehr als
dreimal so viele wie bei Plusgraden. Man versuche dann, die Menschen
unterzubringen. „Das ist zurzeit aber gar nicht so einfach“, sagt Breuer.
Denn die Notunterkünfte sind voll. „Je kälter es wird, desto mehr Leute
gehen in die Notunterkünfte. Auch die, die sonst nicht wollen, kommen
jetzt.“ Insbesondere zu Stoßzeiten, also mitten in der Nacht, sei es
schwierig, noch ein freies Bett zu finden. Einige Notunterkünfte schließen
schon um 22 Uhr, egal ob sie voll sind oder nicht.
„Und viele Obdachlose sind suchtmittelabhängig und schaffen die Nacht nicht
ohne Alkohol“, erklärt Breuer. In den Unterkünften dürfen sie jedoch nicht
konsumieren. Also kommen viele erst spät und gehen nach ein paar Stunden
Schlaf wieder. Um dann noch Menschen aus dem Kältebus unterzubringen,
brauche es mitunter „viel Überredungskunst“. Insbesondere für Frauen, die
immerhin 20 Prozent der Obdachlosen ausmachen, sei es schwer, eine
Unterkunft zu finden.
## Meist klappt es irgendwie
„Meistens klappt es irgendwie; es wird noch ein bisschen gequetscht und
geschoben“, berichtet Breuer. Es komme jedoch vor, dass auch die letzten
freien Flächen wie Bänke oder der Boden voll sind mit schlafenden Menschen.
„Wenn gar nichts mehr geht, bekommen die Leute zwei Schlafsäcke und müssen
draußen schlafen“, sagt die Sprecherin der Stadtmission. Das passiere zwar
nicht regelmäßig, komme aber „leider immer mal wieder vor“.
Dass Menschen zurück auf die Straße geschickt werden, sollte laut
Senatsverwaltung eigentlich überhaupt nicht vorkommen. 1.073
Notübernachtungsplätze gibt es in der diesjährigen Kältehilfesaison. 2.000
Obdachlose wurden offiziell in Berlin gezählt, hinzu kommen 55.000
wohnungslose Menschen – wobei die Dunkelziffer weit höher liegen dürfte.
Laut Kältehilfe waren in der vergangenen Woche [3][965 Betten in den
Notunterkünften] belegt, 108 blieben frei. Damit niemand abgewiesen wird,
gibt es eine Art Warnsystem, sagt Stefan Strauß, Sprecher der
Senatssozialverwaltung, zur taz. Sobald sich die Auslastung den 100 Prozent
nähert, werde der Krisenstab informiert. Bei einem Engpass würde
schnellstmöglich das Angebot erweitert. „Im Notfall versuchen wir dann,
Hostels oder andere Unterkünfte anzumieten“, so Strauß.
In diesem Winter sei das bislang allerdings erst einmal vorgekommen: Vor
einer Woche, als die Traglufthalle in Friedrichshain nach dem Brand eines
Stromcontainers in sich zusammensank und für 117 Menschen eine neue
Unterkunft gefunden werden musste – mit Erfolg.
## „Die Bedürftigkeit insgesamt steigt“
Doch nicht nur der kalte Winter sorgt für einen Anstieg der Zahl der
Menschen, die die Einrichtungen der Obdachlosenhilfe aufsuchen. „Die
Bedürftigkeit insgesamt steigt“, sagt Breuer mit Blick auf die Preiskrise.
Hinzu kämen die Geflüchteten aus der Ukraine. Mehr als 100 Menschen würden
sich täglich in der Kleiderkammer der Stadtmission, einem der größten
Vereine für obdach- und wohnungslose Menschen in der Stadt, mit dem
Nötigsten eindecken.
Gleichzeitig haben die Berliner*innen in der Krise nicht mehr so viel
übrig, die Spendenbereitschaft sinke dramatisch. Vor allem Wintersachen
würden dringend gebraucht: Handschuhe, Mützen, Schals, Jacken und
Schlafsäcke – also alles, was gegen die Kälte hilft.
Dass immer mehr Menschen, die nicht auf der Straße leben, bedürftig werden,
merkt man auch in der Bahnhofsmission am Zoo. Im Gegensatz etwa zur Tafel
findet hier keine Bedarfsprüfung statt: Jede*r erhält Essen ausgeteilt.
„Es kommen deutlich mehr Leute mit Wohnung, aber ohne Geld, die nach Essen
fragen“, sagt Tim Schneck, der für die Ehrenamtler*innen zuständig
ist.
## Es fehlt Personal für Hilfsangebote
Trotz des höheren Bedarfs musste am Bahnhof Zoo das Hilfsangebot wegen
Personalmangels eingeschränkt werden. Auch die Öffnungszeiten sind bis Ende
des Jahres deutlich kürzer. „Zum allgemeinen Fachkräftemangel und weniger
Ehrenamtlichen kommt jetzt noch die Grippewelle dazu“, sagt Leiterin
Stefanie Richter. Dennoch würden die Mitarbeiter*innen täglich rund
600 Portionen Essen ausgeben, hinzu kommen Freizeitangebote wie
Spielenachmittage sowie Beratung und psychologische Betreuung.
Mehr als 70 Prozent der Menschen, die auf der Straße leben, haben laut
Studien eine akute psychische Erkrankung. Hinzu kommen meist noch
vielfältige andere Probleme. Viele bleiben ohne Hilfe, andere wollen keine.
„Manchmal ist es schwierig auszuhalten, dass die Menschen Hilfe ablehnen,
aber das ist ihr gutes Recht“, sagt Bahnhofsmissionsleiterin Richter. „Das
wichtigste ist, ihnen auf Augenhöhe zu begegnen.“
18 Dec 2022
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## AUTOREN
Marie Frank
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