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# taz.de -- Energiekrise im Libanon: Solaranlagen gegen das System
> Im Libanon gibt es keinen zuverlässigen, günstigen Strom. Solarenergie
> könnte das Land erhellen, aber auch das politische System transformieren.
Bild: Solarenergie könnte das Energieproblem im Libanon lösen, hier Paneele �…
Beirut taz | Das Summen der Generatoren ist der ständige Unterton Beiruts.
In der libanesischen Hauptstadt gibt es nur rund zwei Stunden täglich Strom
vom staatlichen Energieversorger. Der Rest wird mit privaten Generatoren
überbrückt: Die oft schwarz-gelben Geräte sind eigentlich für Baustellen
oder Campingplätze gedacht. Doch in Beirut stehen sie in Häuserkellern oder
auf der Straße. Mit Diesel wird ein Motor angetrieben, der Strom erzeugt.
Die Geräte schleudern schwarze Partikel und Abgase aus.
Die Notstromversorgung, die in manchen Dörfern sogar zwölf Stunden lange
Stromausfälle überbrückte, ist heute die Hauptversorgung. Die staatliche
Strombehörde EDL kontrolliert 90 Prozent der Stromerzeugung des Landes.
Seit 1992 ist es der EDL nicht gelungen, zuverlässig und durchgängig Strom
zu liefern – und ihre Kosten zu decken. Der Energiesektor alleine ist für
40 Prozent des libanesischen Haushaltsdefizits verantwortlich, das Land
steht kurz vor dem Bankrott. In den vergangenen zehn Jahren machte die BDL
durchschnittlich 1,5 Milliarden US-Dollar Verlust jährlich. Vor der Krise
wurden nur 57 Prozent des erzeugten Stroms übertragen und abgerechnet.
„Seit 1999 wurden keine Kraftwerke mehr gebaut, es gab nur geringfügige
Zubauten“, sagt Jessica Obeid, Politikberaterin mit dem Fokus auf die
Energiewende in der Levante. Mitschuldig: Politiker*innen, die im Eigen-
und Klientelinteresse agieren.
2020 wurde öffentlich, dass die algerische Firma [1][Sonatrach], die 15
Jahre lang Kraftstoff an den Libanon über Subunternehmer verkaufte,
minderwertige Qualität liefert. Gegen den Generaldirektor der EDL wurde
wegen „beruflichen Fehlverhaltens“ Anklage erhoben, ebenso gegen den
Generaldirektor der Ölinstallationsabteilung und den Generaldirektor für Öl
im Ministerium für Energie, wegen Bestechung und Pflichtverletzung.
## Der Generatoren-Strom kostet oft mehr als die Kaltmiete
Auch im Geschäft mit Generatoren sind Politiker*innen involviert, so
Obeid: „Alle herrschenden Parteien haben Leute, die damit Geld verdienen.
Die gesamte Generatorwirtschaft macht im Jahr 2 Milliarden US-Dollar
Gewinn. Das ist riesig.“
Die Kosten für private Generatoren – die Betreiber werden gängig als
„Mafia“ bezeichnet – sind hoch: Die libanesische Währung hat seit [2][20…
etwa 80 Prozent ihres Werts verloren]. Der Strom aus den Aggregaten kostet
heute oft mehr als die Kaltmiete – zwischen 50 und 100 Euro im Monat. Dafür
reichen viele Löhne nicht – ein Soldat beim Militär verdient [3][monatlich
noch knapp 35 Euro.]
Auf manchen Hausdächern in Beirut, aber vor allem in den höher gelegenen
Dörfern, sind deshalb seit Kurzem Solarpaneele auf den Dächern zu sehen.
Der Markt ist da: Das [4][libanesische Energiespar-Zentrum], das für den
Staat die erneuerbaren Energien im Blick hat, zählte im März 2020 insgesamt
137 private Anbieter für Solarpaneele.
Doch die importierten Kollektoren müssen in US-Dollar bezahlt werden, die
Investition ist teuer. US-Dollar – vorher meist akzeptiertes Zahlungsmittel
im Libanon – sind kaum mehr zu bekommen. Für Vermieter*innen rentiert
sich die Ausgabe nicht, Mieter*innen können die Kosten nicht tragen.
## Nur die EDL darf Strom generieren und verkaufen
Eine Lösung: Gemeinden und Städte könnten solarbetriebene Anlagen
installieren und den Betrieb mit dem Geld finanzieren, das sonst an die
Generatorenbetreiber ginge. Die in den Bergen gelegene Stadt [5][Zahlé hat
sich mit einer eigenen], fossil betriebenen Versorgung [6][namens EDZ] von
der EDL unabhängig gemacht. Sie liefert günstigen Strom, 24 Stunden, jeden
Tag.
Doch laut Gesetz darf nur die EDL Strom generieren und verkaufen.
Gebäudeinhaber*innen machen sich strafbar, wenn sie ihren
Mieter*innen Solarstrom zur Verfügung stellen und dafür Geld nehmen.
Private Anbieter*innen dürfen keine alternativen Energien ins
öffentliche Netz einspeisen. Ein [7][Gesetzentwurf], das zu ändern, so
Obeid, liege seit Jahren in einer Schublade im Parlament.
Doch selbst wenn es alternativen Strom zum Einspeisen gäbe: Das Netz sei
alt, so Obeid. Außerdem fehle es an Wissen und Infrastruktur. „Es braucht
Batterien, die die Energie speichern – doch manche installieren Batterien,
die nur ein Jahr halten.“ Für diese Abfallmenge habe man keine
Recyclinganlagen.
Die Europäische Union, der Internationale Währungsfonds oder Organisationen
für Entwicklungszusammenarbeit, alle fordern Reformen im Libanon, wolle das
Land weiter Geld erhalten. Reformen, die es auch im Energiesektor geben
müsste.
## Private Initiativen versuchen Staatsversagen auszugleichen
Vereinzelt springen Nichtregierungsorganisationen ein. „[8][Licht für
Libanon]“ hat 300 Gebäude, Straßen, einen Park und einen Spielplatz mit
Solarlicht ausgestattet, eine andere solarbetriebene Ampeln aufgestellt.
Doch Initiativen können nicht den Staat ersetzen. „Die Regierungslinie –
über alle Sektoren hinweg – ist Untätigkeit“, so Obeid. „Sie verlassen …
darauf, dass aus dem Ausland kleinere Geldbeträge fließen, die das System
erhalten. Wie im Energiesektor: Diesel aus dem Iran, Strom aus Jordanien
und bald Gas aus Ägypten. Nichts davon wird die Probleme lösen.“
Ohne Staatsreformen bleibt es bei den Initiativen: Die Bank of Housing
vergibt ab dem 20. Juli [9][Kredite für Solaranlagen] an privat, mit 4,99
Prozent Zinsen und bis zu 30 Jahren Laufzeit. Die Bank stützt sich
hauptsächlich auf eine in Kuwait ansässige
Entwicklungsfinanzierungsinstitution. Vor allem für Dollar-Besitzende ein
gutes Angebot, denn der Kredit wird in libanesischen Pfund ausgegeben. Das
verliert durch die Inflation stetig an Wert – der Rückzahlungsbetrag sinkt.
21 Jun 2022
## LINKS
[1] https://today.lorientlejour.com/article/1242085/sonatrachs-contract-to-supp…
[2] /Drogenkonsum-in-Syrien-und-Libanon/!5838700
[3] https://www.the961.com/a-soldier-of-the-lebanese-army-decided-to-flee-due-t…
[4] https://lcec.org.lb/publications
[5] https://blogbaladi.com/how-edz-brought-247-electricity-to-zahle-full-story-…
[6] https://www.facebook.com/electricitedezahle/
[7] https://lcec.org.lb/our-work/partners/RELaw
[8] https://lightreach.net/light-for-lebanon/
[9] https://www.nna-leb.gov.lb/en/economy/543137/ministry-of-energy-housing-ban…
## AUTOREN
Julia Neumann
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