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# taz.de -- Streit zwischen der EU und Polen: Brüssel knickt vor Polen ein
> Kommissionschefin Ursula von der Leyen will geblockte Coronahilfen jetzt
> doch freigeben. Bei den Bedingungen, die Warschau erfüllen muss, macht
> sie Abstriche.
Brüssel/Warschau taz | Der erhoffte Geldsegen aus Brüssel wird in Polen
noch auf sich warten lassen: „Es handelt sich um das Geld europäischer
Steuerzahler, das nach den Regeln von Demokratie und Recht ausgegeben
werden sollte“, sagte die Präsidentin der EU-Kommission, Ursula von der
Leyen, bei einer Pressekonferenz am Donnerstag abend in Warschau. Sie war
nach Polen gekommen, um das nationale Corona-Wiederaufbauprogramm Polens zu
bestätigen, zugleich aber noch einmal die Bedingungen zu nennen, ohne deren
Erfüllung durch Polen Brüssel die Fördergelder und die Darlehen nicht
freischalten werde.
Ganz besonders wichtig war ihr dabei die Unabhängigkeit der Richter, die in
Polen seit dem Wahlsieg der Recht Recht und Gerechtigkeit (PiS) Ende 2015
immer weiter eingeschränkt wird. Sie forderte daher Polens Regierung auf,
die Überprüfung eines Richters auf seine Unabhängigkeit zu gewährleisten
und diese nicht mehr durch die Disziplinarkammer als ein Vergehen abstrafen
zu lassen. Die EU werde durch gegenseitige Solidarität zusammengehalten.
„Wir werden nicht zulassen, dass sich in unserem Land eine rechtliche
Anarchie ausbreitet“, konterte Polens Premier Mateusz Morawiecki (PiS).
Brüssel müsse die Souveränität jedes Mitgliedslandes respektieren. Obwohl
sich von der Leyen, Morawiecki und auch Präsident Andrzej Duda um einen
freundlichen Ton bemühten, war die Spannung zwischen den drei Politikern
deutlich zu spüren. Das polnische Corona-Wiederaufbau-Programm hat Brüssel
zwar anerkannt, doch ob und wann das Geld dann tatsächlich fließt, ist noch
nicht sicher.
Dabei hatte schon seit Tagen nicht nur Polens Premier öffentlich frohlockt,
dass nun endlich auch in Polen die Milliarden aus Brüssel rollen würden,
sondern auch der Justizminister und Generalstaatsanwalt Zbigniew Ziobro,
dessen Partei „Solidarisches Polen“ Juniorpartner in der Koalition der
Vereinten Rechten ist. Ziobro ist verantwortlich für die Demolierung des
polnischen Rechtsstaats seit Ende 2015. So anerkennen Polens Regierende nur
mehr die Urteile, die ihnen politisch genehm sind. Missliebige werden seit
einiger Zeit durch die Formel „Die Richter haben ihre Kompetenzen
überschritten“ erfolgreich ignoriert werden.
In Polen hofften viele demokratisch eingestellten Bürger auf die EU. Doch
statt Ziobro & Co den Geldhahn zuzudrehen und so eine Redemokratisierung
des Landes zu erzwingen, gibt Brüssel nun klein bei, wie es scheint.
Die EU-Kommission geht bei der nun geplanten Auszahlung von Finanzhilfen
aus dem Corona-Aufbaufonds an Polen neue Wege. Beantragt hatte das Land
knapp 24 Milliarden Euro an Zuschüssen sowie zusätzlich 11,5 Milliarden
Euro an Krediten. Anders als bisher üblich werden die Milliardenhilfen
nicht nur an wirtschaftspolitische „Meilensteine“ gebunden. Polen soll
zudem auch rechtspolitische Bedingungen erfüllen. Sie sollen dazu dienen,
die „Unabhängigkeit des Rechtssystems“ in Polen zu fördern, wie es in der
EU-Kommission heißt.
## Die Bedingungen der EU wurden spürbar gelockert
Bis zum Ende des 2. Quartals muss die umstrittene [1][Disziplinarkammer]
für Richter aufgelöst und durch ein neues System ersetzt werden
(Meilenstein 1). Zudem sollen die Verfahren für degradierte und
suspendierte Richter auf deren Antrag hin vor einem unabhängigen Gericht
neu aufgerollt werden (Meilenstein 2).
In einem dritten Schritt (Meilenstein 3) will die Brüsseler Behörde
überprüfen, ob alle Reformen wie vereinbart umgesetzt wurden. Dies soll
erst Ende 2024 erfolgen. Bis dahin dürfte schon rund die Hälfte der
Milliardenhilfen ausgezahlt sein. Die zweite Hälfte könnte bis August 2026
sogar ganz ohne rechtspolitische Auflagen fließen.
Geld gibt es allerdings erst bei Erreichen der Meilensteine. „Geld gegen
Reformen“ heißt das neue Motto in Brüssel. Allerdings ist die EU-Kommission
dabei nicht konsequent. Obwohl mehrere Kommissare – darunter die
„exekutiven“ Vizepräsidenten Frans Timmermans und Margrethe Vestager –
Bedenken erhoben haben, zeigt sich Behördenchefin Ursula von der Leyen
großzügig.
Die Bedingungen für eine Auszahlung, die sie im Oktober 2021 formulierte,
wurden spürbar gelockert. Von einer Wiedereinsetzung der entlassenen
Richter ist keine Rede mehr, nur noch von einer Überprüfung der strittigen
Fälle. Da der EuGH die von der PiS 2018 gegründete Disziplinarkammer am
Obersten Berufungsgericht als „Nicht-Gericht“ und damit als „illegal“
einstufte, erwarteten viele Oppositionelle, dass die Forderung der
Kommission nicht nur „Auflösung der Disziplinarkammer“ heißen würde,
sondern auch „Aufhebung aller bisherigen Urteile“ und „Rückstufung der
Richter an der Disziplinarkammer an ihre bisherigen Dienststellen“. Doch
davon steht nichts in den „Meilensteinen“.
## Polens Zickigkeit steht einer Einigung nicht im Weg
Recht locker geht die Behörde auch mit Strafzahlungen um, die Polen im
Streit über das Justizsystem leisten muss. Im Oktober 2021 hatte der
Europäische Gerichtshof das Land zu einem [2][Zwangsgeld von einer Million
Euro pro Tag] verdonnert. Inzwischen sind 210 Millionen Euro Strafe
aufgelaufen. Doch Warschau zahlt nicht. Die EU-Kommission ist deshalb dazu
übergegangen, die Buße mit anderen Zahlungen an Polen zu verrechnen.
Das Land verhalte sich „widerstrebend“, sagte ein Kommissionsexperte, doch
das stehe einer Einigung nicht im Wege. Großzügig sieht man auch darüber
hinweg, dass Polen einen Vorrang seines nationalen Rechts vor dem EU-Recht
behauptet. Das sei ein eher theoretischer Streit, heißt es, jetzt gehe es
um praktische Lösungen.
Wie die aussehen, wollte von der Leyen am Donnerstagnachmittag in Warschau
verkünden. Neben dem Rechtsstaat dürfte es auch um den Krieg in der Ukraine
gehen. Denn die Hilfe für die Ukraine, so vermuten EU-Diplomaten in
Brüssel, ist letztlich wichtiger als lästige Details der polnischen
Justizreform.
2 Jun 2022
## LINKS
[1] /Polen-schafft-die-Disziplinarkammer-ab/!5857375
[2] /EuGH-verurteilt-Polen/!5811513
## AUTOREN
Eric Bonse
Gabriele Lesser
## TAGS
Polen
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