Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- Krieg in der Ukraine: Polen in Führungsrolle
> Der russische Krieg gegen die Ukraine bringt Polen und westliche
> EU-Staaten einander näher. Innenpolitisch ändert sich im Nachbarland
> allerdings nichts.
Bild: Protest gegen antidemokratische Mediengesetze 2016 in Warschau
„Wir hätten auf die Polen hören sollen“, sagt uns ein deutscher Journalist
in einem Berliner Café. Solche Formulierungen sind in letzter Zeit
alltäglich geworden. Ursula von der Leyen, die Chefin der Europäischen
Kommission, hat sich ähnlich geäußert und auch die finnische
Regierungschefin Sanna Marin. Worte der Reue werden gegenüber Warschau und
anderen Ländern laut, die vor Moskaus Expansionspolitik gewarnt hatten.
Dabei geht es nicht nur um das russische Gas, sondern auch um die Würdigung
der dunklen Erfahrung des russischen Imperialismus, der in Polen und
anderen Ländern der Region seit 300 Jahren präsent ist. Trotz der
dramatischen Situation fällt es uns schwer, nicht eine gewisse Genugtuung
darüber zu empfinden, dass endlich die osteuropäische Sichtweise
berücksichtigt wird. Nur dass die Angelegenheit im Falle Polens besonders
heikel ist. Kann ein illiberales Land die Richtung in der EU-Politik
vorgeben?
Bis vor Kurzem nahmen Warschau und Budapest zwar schon eine Führungsrolle
ein – allerdings nur für den illiberalen Populismus. Vor allem Budapest
erregte die Aufmerksamkeit als Vorhut dieser populistischen Revolution.
[1][Gideon Rachman] hat in seinem Buch „The Age of the Strongman“ darauf
hingewiesen, dass Viktor Orbán unter nichtliberalen Politikern einer der
prominentesten ist.
Aber die Situation hat in letzter Zeit verändert. Polen befand sich nach
dem russischen Angriff auf die Ukraine in einer neuen geopolitischen
Situation. Die geopolitische Schwäche, die jahrhundertelang in der Nähe zu
Russland bestand, erwies sich plötzlich als Stärke, denn hier konnte ein
Waffenversandzentrum für die Ukrainer geschaffen werden.
## Nicht mehr am gleichen Strang
Zudem haben Warschau und Budapest in den letzten Monaten unterschiedliche
Positionen eingenommen. Während Viktor Orbán Sympathien für den
russischen Präsidenten zeigt, findet sich Jarosław Kaczyński im Lager
seiner schärfsten Kritiker wieder. Und die polnische Gesellschaft hat
[2][Millionen von Flüchtlingen] unter ihrem Dach aufgenommen.
Ist es nicht mehr angebracht, Polen zu kritisieren? Hat sich die Regierung
in Warschau nun ein Alibi verschafft, um populistische Macht auszuüben, die
Unabhängigkeit der Justiz und der öffentlichen Medien zu zerstören? Für
Menschen wie uns, die die letzten Jahre damit verbracht haben, zu
analysieren, was mit Polen nach 2015 passiert ist und warum die Wähler
beschlossen haben, den Weg, den unser Land 1989 eingeschlagen hat, zu
verlassen, ist diese Veränderung zu ernst, als dass wir uns nicht gründlich
damit beschäftigen sollten.
Es ist noch gar nicht so lange her, dass die Kritik an Polen kein Ende
nahm. Sowohl die Europäische Kommission als auch der Straßburger
Gerichtshof haben daraufhin gehandelt. Nun scheinen viele Menschen und
Institutionen in rätselhaftes Schweigen zu verfallen. Unter
geopolitischen Gesichtspunkten ist das aktuelle Vorgehen der EU in Bezug
auf Polen natürlich sehr sinnvoll. [3][In der Ukraine sterben jetzt
Menschen], und in Europa stehen wir vor der schwersten Energiekrise der
letzten Jahrzehnte.
Vielleicht lohnt es sich also, für eine Weile vom „[4][business as usual]“
abzuweichen. Das bedeutet nicht unbedingt, dass wir uns nicht mehr mit der
polnischen Demokratie beschäftigen werden, und was davon übrig ist, sondern
nur, dass man etwas später darauf zurückkommen wird, denn paradoxerweise
haben die illiberalen Politiker Polens und die Demokraten in Westeuropa
heute das gleiche Interesse, wenn es um die Ukraine geht. Das Problem, dass
sich Warschau keiner prodemokratischen Veränderung unterzogen hat und das
auch keinesfalls beabsichtigt, bleibt jedoch.
24 Sep 2022
## LINKS
[1] https://twitter.com/gideonrachman/status/1510955686657679363
[2] /Ukrainische-Gefluechtete-in-Polen/!5861100
[3] /Schwerpunkt-Krieg-in-der-Ukraine/!t5008150
[4] /Streit-zwischen-der-EU-und-Polen/!5855338
## AUTOREN
Karolina Wigura
Jaroslaw Kuisz
## TAGS
Kolumne Fernsicht
Schwerpunkt Krieg in der Ukraine
Polen
Russland
Rechtspopulismus
Wladimir Putin
Schwerpunkt Krieg in der Ukraine
Kolumne Fernsicht
Polen
Polen
Schwerpunkt Krieg in der Ukraine
Reiseland Polen
Polen
Schwerpunkt Krieg in der Ukraine
## ARTIKEL ZUM THEMA
Polen nach dem Raketeneinschlag: Zurück zur Normalität
Der Einschlag einer Rakete sorgt in Polen kurz für Aufregung. Doch die USA,
die den Luftraum durchgängig kontrollieren, geben schnelle Entwarnung.
Polen und Deutschland: Streitfrage Reparationen
Beide Seiten haben gute Gründe für ihre jeweiligen Argumente. Die
Herausforderung ist groß – aber es geht um grundlegende Versöhnung.
Jarosław Kaczyński: „Mit allem heizen, was brennt!“
Der Chef der nationalpopulistischen PiS gibt den Polen fragwürdige
Heiztipps. Die Regierung hat es versäumt, für russische Kohle Ersatz zu
bestellen.
Reparationsforderungen von Polen: Baerbock gibt Warschau einen Korb
Die polnische PiS-Regierung wollte erneut über Weltkriegsreparationen
sprechen. Die Frage sei „abgeschlossen“, stellte die Außenministerin nun
klar.
+++ Nachrichten zum Ukraine-Krieg +++: Mehr als 700 Festnahmen in Russland
Bei Protesten in Russland gegen die Teilmobilmachung wurden am Samstag über
700 Menschen festgenommen. Selenski fordert Russen zum Aufgeben auf.
Kaum Touristen: Der Krieg verändert Polen
Die Beskiden sind eine besondere Landschaft. Wegen des nahen Krieges ist es
noch leerer als sonst – der Eindruck der Zerbrechlichkeit kommt auf.
Streit zwischen der EU und Polen: Brüssel knickt vor Polen ein
Kommissionschefin Ursula von der Leyen will geblockte Coronahilfen jetzt
doch freigeben. Bei den Bedingungen, die Warschau erfüllen muss, macht sie
Abstriche.
Gaslieferstopp nach Polen und Bulgarien: Polen macht’s möglich
Das Nachbarland hilft Deutschland, russische Öl-Importe zu stoppen. Das
Land könnte aber seinerseits Hilfe gebrauchen.
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.