# taz.de -- Jarosław Kaczyński: „Mit allem heizen, was brennt!“ | |
> Der Chef der nationalpopulistischen PiS gibt den Polen fragwürdige | |
> Heiztipps. Die Regierung hat es versäumt, für russische Kohle Ersatz zu | |
> bestellen. | |
Bild: Ofen wird mit Kohleabfällen befüllt. Vor zwei Jahren ist das in Polen e… | |
WARSCHAU taz | Umweltaktivisten in Polen schlagen Alarm. Sie fürchten, dass | |
demnächst wieder ein giftgelber und nach Schwefel stinkender Smog die Luft | |
in Polens Städten und Dörfern verpesten wird. Denn die in Warschau | |
regierenden Nationalpopulisten von der Partei Recht und Gerechtigkeit (PiS) | |
haben angesichts der Steinkohleknappheit im Lande beschlossen, dass die | |
Besitzer von Kohleöfen – das sind immer noch knapp 14 Millionen Haushalte | |
in Polen – demnächst wieder Braunkohle und sogar Haushaltsmüll in ihren | |
„Stinkern“ verfeuern dürfen. Vor zwei Jahren erst war das streng verboten | |
worden. Wer gegen das Gummi-und-Plastik-Brennverbot verstieß, musste mit | |
einer empfindlichen Geldstrafe rechnen. Es wirkte: Die Luft in Polen wurde | |
sauberer. | |
Schon im April dieses Jahres, zwei Monate nach dem russischen Überfall auf | |
die Ukraine, verhängte Polens Regierung ein Kohle-Import-Stopp gegen | |
Russland. Doch von den rund 55 Millionen Tonnen Steinkohle, die Polen jedes | |
Jahr abbaut, eignen sich nur knapp 7 Millionen Tonnen für die Beheizung der | |
Kohle- und Kachelöfen in den Haushalten. Die Kohlehalden vor den Gruben | |
leerten sich schnell. Die PiS-Regierung aber sah sich außerstande, auf dem | |
Weltmarkt Ersatz für die bisher rund 8 Millionen Tonnen Steinkohle aus | |
Russland aufzutreiben. | |
Die Folge: die Preise für Haushaltskohle stiegen rasant an und liegen | |
zurzeit bei 3.000 bis 3.800 Złoty (ca 800 Euro) pro Tonne. Die hohe | |
Inflation von derzeit 17,2 Prozent macht den Konsumenten zusätzlich zu | |
schaffen. Immer mehr Polen können sich ihre Winterfuhre kaum noch leisten. | |
Noch schlimmer aber ist, dass die Kohle aus Kolumbien, Kasachstan und | |
Indonesien, die zumeist über den Hafen in Danzig/Gdansk ins Land kommt, von | |
wesentlich schlechterer Qualität ist als diejenige aus Russland. Es muss | |
also mehr Kohle verheizt werden, und da zeigt sich schon heute, dass es für | |
rund eine Million Haushalte in diesem Winter keine Kohle geben wird: Der | |
Markt ist leergefegt. | |
## Auch Sperrmüll wird gesammelt | |
Als im Juni die Klimaministerin Anna Moskwa vorschlug, dass die Polen ja im | |
Staatswald „Reisig für den Eigenverbrauch sammeln“ könnten, brach Panik | |
aus. Statt in die Wälder gingen viele auf Sperrmüllsuche und packten sich | |
alte Tische und Stühle, Sofas und Fensterrahmen ins Auto. Vermehrt werden | |
Papier- und Plastikcontainer geplündert. | |
Umweltschützer warnen nicht nur vor der massenhaften Müllverbrennung in | |
Privathaushalten, sondern auch vor dem Verbrennen von frisch geschlagenem | |
Holz oder gesammeltem Reisig in den Kachelöfen. „Brennholz muss mindestens | |
zwei Jahre lang trocknen“, erklärt Andrzej Guła von der polnischen | |
Initiative ‚Smogalarm‘. „Frisches Holz ist viel zu feucht, brennt schlecht | |
und qualmt das ganze Haus voll. Der Rauch, der dann aus dem Schornstein | |
kommt, belastet zudem die Atemluft mit einer großen Last an | |
Feinstaubpartikeln.“ Aus diesem Grund sei im Antismoggesetz auch festgelegt | |
worden, dass der Feuchtigkeitsgehalt von Brennholz bei unter 20 Prozent | |
liegen muss. | |
Premier Mateusz Morawicki macht die EU und deren Russland-Importembargo für | |
die prekäre Situation verantwortlich, verschweigt aber, dass die | |
PiS-Regierung vorgeprescht war und den Importstopp bereits im April | |
verhängt hatte, während die EU-Partnerländer sich noch bis August mit einem | |
Vorrat an der „kalorienreichen“ Steinkohle aus Russland eindecken konnten. | |
Jarosław Kaczyński, der PiS-Parteichef, der bereits seit einigen Monaten | |
auf Wahlkampftour ist, rät den Polen – gewissermaßen von kleinem Mann zu | |
kleinem Mann –, „mit allem zu heizen, was brennt, außer mit Autoreifen, | |
versteht sich“. | |
Um ihr Image als Kümmerer-Partei nicht zu gefährden, verspricht die PiS nun | |
allen mit Kohle Heizenden einen einmaligen Zuschuss von 3.000 Złoty | |
(umgerechnet 640 Euro). Außerdem sollen ab sofort die Kommunen für die | |
Verteilung der Kohle verantwortlich sein, deren Bürgermeister und | |
Stadtpräsidenten vor allem der bürgerlich-liberalen Opposition angehören. | |
Diese wehren sich nach Kräften, weil das Fiasko ja vorhersehbar ist: Woher | |
die Steinkohle nehmen, wenn keine da ist? In einem Jahr sind | |
Parlamentswahlen, in anderthalb Jahren Kommunalwahlen. Und die | |
Nationalpopulisten von der PiS, die bereits zwei Mal in Folge die Regierung | |
gestellt haben, wollen wieder gewinnen. | |
23 Oct 2022 | |
## AUTOREN | |
Gabriele Lesser | |
## TAGS | |
Polen | |
Kohle | |
Energiekrise | |
PiS | |
Schwerpunkt Krieg in der Ukraine | |
Robert Habeck | |
Polen | |
Kolumne Fernsicht | |
## ARTIKEL ZUM THEMA | |
Aufrüstung statt Zivilschutz in Polen: Polens Bunkermentalität | |
Die PiS-Regierung hat ihre Militärausgaben drastisch erhöht und bestellt | |
wie wild Panzer und Raketenwerfer. Doch wo bleibt der Zivilschutz? | |
Abhängigkeit von Rohstoffen: Der Ausweg aus der China-Falle | |
Die Energiewende hängt maßgeblich von Rohstoffen ab. Wirtschaftsminister | |
Habeck setzt auf Kooperationen und Kreislaufwirtschaft. | |
Reparationsforderungen von Polen: Baerbock gibt Warschau einen Korb | |
Die polnische PiS-Regierung wollte erneut über Weltkriegsreparationen | |
sprechen. Die Frage sei „abgeschlossen“, stellte die Außenministerin nun | |
klar. | |
Krieg in der Ukraine: Polen in Führungsrolle | |
Der russische Krieg gegen die Ukraine bringt Polen und westliche EU-Staaten | |
einander näher. Innenpolitisch ändert sich im Nachbarland allerdings | |
nichts. |