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# taz.de -- Gaslieferstopp nach Polen und Bulgarien: Polen macht’s möglich
> Das Nachbarland hilft Deutschland, russische Öl-Importe zu stoppen. Das
> Land könnte aber seinerseits Hilfe gebrauchen.
Bild: Künftig werden mehr davon einfahren: Ein Schiff liefert Flüssiggas in d…
Berlin Warschau taz | Es war eine [1][ziemliche Sensation], die Robert
Habeck am Dienstagnachmittag in Warschau eher beiläufig verkündete:
Deutschland habe die Ölimporte aus Russland in den letzten Wochen bereits
von 35 auf 12 Prozent des Gesamtbedarfs gesenkt, sagte der grüne
Wirtschaftsminister. Die Importe per Schiff seien bereits komplett gestoppt
worden, lediglich die ostdeutsche Raffinerie in Schwedt werde derzeit noch
über die Pipeline „Druschba“ (deutsch: Freundschaft) mit russischem Öl
versorgt.
Dieses zu ersetzen sei „die letzte Aufgabe, die noch im Weg steht“ auf dem
Weg zur Unabhängigkeit von russischem Öl. Und das soll offenbar deutlich
schneller gehen als bisher gedacht. „Dafür eine Lösung zu entwickeln ist
die Aufgabe der nächsten Tage“, sagte Habeck. Er gehe davon aus, dass es
sich tatsächlich nur um Tage handele. Dabei dürfte Polen eine wichtige
Rolle spielen.
Denn das Land verfügt über eine Pipeline, die von der Ostseestadt Danzig
(Gdańsk) zur Druschba-Pipeline führt, die Russland und Deutschland
verbindet. Durch diese Pipeline könnte Öl, das per Tanker nach Danzig
geschafft wird, nach Schwedt transportiert werden. Zusammen mit Lieferungen
durch eine weitere Pipeline aus Rostock könnte der Betrieb der Raffinerie,
die Berlin, Brandenburg und Teile von Polen mit Benzin- und Ölprodukten
versorgt, auch ohne russisches Öl weitgehend aufrechterhalten werden, hatte
zuvor bereits eine Studie im Auftrag von Greenpeace gezeigt.
Um kurzfristige Lieferungen zu ermöglichen, könnte Deutschland Öl aus
seiner nationalen Reserve zur Verfügung stellen, kündigte Habeck in
Warschau an. Doch es gibt noch ein weiteres Problem: Die Raffinerie in
Schwedt gehört mehrheitlich dem russischen Staatskonzern Rosneft. Der
dürfte kein Interesse daran haben, dort Öl zu verarbeiten, das nicht aus
Russland stammt – und die Polen haben kein Interesse, den russischen
Konzern zu beliefern.
Doch auch dafür zeichnet sich bereits eine Lösung ab: Am Montag hat das
Bundeskabinett eine Änderung des Energiesicherungsgesetzes auf den Weg
gebracht, die es erleichtern soll, Energieunternehmen unter
Treuhandverwaltung zu stellen oder sogar zu verstaatlichen. „Wir bereiten
uns auf alle denkbaren Szenarien vor“, sagte Habeck am Mittwoch in Berlin
auf die Frage nach einer möglichen Enteignung von Rosneft.
Mögliche Vergeltungsaktion
Während Deutschland also in Zukunft auf die Unterstützung Polens bei der
Ölversorgung angewiesen sein wird, dürfte es beim Gas umgekehrt sein. Denn
kurz nach Habecks Reise hat Russland Polen den Gashahn zugedreht. Seit
Mittwoch früh um 8 Uhr fließt kein russisches Gas mehr durch die
Jamal-Pipeline nach Polen. Ein Zusammenhang mit der möglichen polnischen
Öl-Hilfe für Deutschland ist denkbar – der deutsche Ökonom Jens Südekum
etwa geht von einer Vergeltungsaktion aus. Offiziell nennt Moskau aber
einen anderen Grund für den abrupten Lieferstopp: Polen habe sich
geweigert, das Gas wie gefordert in [2][Rubel statt in Euro] zu bezahlen.
Tatsächlich sind die Polen in dieser Frage härter als die meisten anderen
EU-Staaten. Die zahlen ihr Gas zwar formal weiter in Euro, haben aber
zugestimmt, dass die Gazprom-Bank für die Zahlenden ein weiteres Konto in
Rubel einrichtet, von dem aus die Gaslieferung nach einem Umtausch der
Euros in Rubel dann bezahlt werden kann. Dieses Modell habe Polen
abgelehnt, sagte Habeck. Als Strafe kündigte Gazprom am Dienstagabend an,
ab dem nächsten Tag die Gaslieferungen nach Polen, aber auch nach Litauen
und Bulgarien, „auszusetzen“.
In Polen rief der Stopp der Lieferungen allerdings keine Panik hervor. Denn
das Land hat sich auf das Szenario, dass Russland den Hahn zudreht oder
dass Polen seinerseits ein Gas-Embargo verhängt, gut vorbereitet. Noch am
Dienstagabend trat in Warschau die polnische Umweltministerin Anna Moskwa
vor die Presse. Sie verwies auf die zu 76 Prozent gefüllten Gasspeicher,
den Flüssiggashafen in Swinemünde (Świnoujście) und die zahlreichen
Interkonnektoren zu den Gasnetzen der Nachbarländer. „Es gibt keinen Grund
zur Beunruhigung“, erklärte sie.
Durch den Gasstopp wird nun dem LNG-Hafen in Swinemünde eine Schlüsselrolle
zukommen. Bislang war der noch in der Regierung des liberalen Premiers
Donald Tusk konzipierte Gashafen nur zu einem Drittel ausgelastet, da die
Preise für Flüssiggas aus den USA zu hoch waren im Vergleich zum russischen
Erdgas. Dies hat sich seit Kriegsbeginn geändert. Wichtig wird auch die
[3][Baltic Pipe] durch die Ostsee sein, die ab Oktober Gas von den
polnischen Förderfeldern in Norwegen nach Polen pumpen soll. Polen wird
auch auf die EU zählen können, die bereits Hilfe bei akuter Gasknappheit
zugesagt hat. Auch aus Deutschland sind Gaslieferungen nach Polen möglich,
indem die bisherige Fließrichtung der Jamal-Pipeline umgekehrt wird.
Gefahr der Rezession
Ein sofortiges Gas-Embargo hatte das polnische Parlament noch im April
abgelehnt, doch zum Jahresende, wenn der bestehende Vertrag mit Gazprom
ausläuft, sollten die Lieferungen aus Russland ohnehin enden. Noch 2021
stammten über 60 Prozent des polnischen Gases aus Russland, jetzt ist ein
Importstopp kein Problem: Das Nachbarland hat sich damit – ebenso wie
Litauen und Bulgarien, die den Ausfall der russischen Lieferungen ebenfalls
kompensieren können – sehr viel schneller aus der Abhängigkeit befreit als
Deutschland, wo der Anteil der Gasimporte aus Russland seit Kriegsbeginn
nur von 55 auf 35 Prozent gesunken ist und die Gasspeicher aktuell nur zu
33 Prozent gefüllt sind.
Ein vollständiger Verzicht auf russisches Gas zum jetzigen Zeitpunkt würde
Deutschland darum in eine Rezession stürzen, sagte
Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck. Und diesen Preis hält der Grüne
weiterhin für zu hoch.
27 Apr 2022
## LINKS
[1] http://5527195
[2] /Gaslieferungen-aus-Russland/!5843066
[3] https://www.baltic-pipe.eu/de/
## AUTOREN
Malte Kreutzfeldt
Gabriele Lesser
## TAGS
Schwerpunkt Krieg in der Ukraine
Russland
Polen
Kolumne Fernsicht
LNG
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Robert Habeck
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