| # taz.de -- Polen und die EU-Mittel: Spiel um Macht und Geld | |
| > Der Einsatz ist hoch: Für Polen geht es um 35,4 Milliarden Euro, für | |
| > Polens regierende Politiker um Sieg oder Niederlage in den Herbstwahlen. | |
| Bild: Um sich an der Macht zu halten, enthält Kaczyński Polen sehr viel EU-Ge… | |
| Warschau taz | Polens mächtigster Mann, Jarosław Kaczyński, steht kurz | |
| davor, erneut eine polnische Regierung an die Wand zu fahren. 2007 hatte er | |
| als Premier und Parteivorsitzender der Recht und Gerechtigkeit (PiS) die | |
| linksradikale Bauernpartei Samoobrona in eine Korruptionsfalle locken | |
| wollen. Als die jedoch, misstrauisch geworden, die Falle entdeckte und | |
| türeschlagend die Koalition verließ, setzte Kaczyński alles auf eine | |
| Karte: Neuwahlen. Diese sollten die PiS gestärkt an die Macht bringen. | |
| Doch Kaczyński verlor die Wahlen krachend. Acht Jahre lang verlor die PiS | |
| alle Parlaments-, Kommunal- und Präsidentschaftswahlen. Erst 2015 kam sie | |
| zurück an die Macht, erneut in einer Koalition mit zwei Splitterparteien. | |
| 2021 gelang es der PiS, den einen Koalitionspartner, die Partei | |
| Verständigung, vollständig zu zerschlagen und den Großteil ihrer | |
| Abgeordneten zu übernehmen. Der andere Koalitionspartner, das Solidarische | |
| Polen, stellt heute so radikale Forderungen, dass Kaczyński vor dem | |
| Dilemma steht, entweder Milliarden Euro aus dem Corona-Wiederaufbautopf der | |
| EU für Polen zu bekommen oder die Macht von PiS & Konsorten in Polen weiter | |
| auszubauen – ohne die dringend benötigten EU-Gelder. Das eine geht nur ohne | |
| Zbigniew Ziobro, den Chef der rechtsextremen Koalitionspartei Solidarisches | |
| Polen, das andere nur mit ihm. Bislang war Kaczyński die Macht immer | |
| wichtiger als das Geld. | |
| Ein Bruch der Koalition würde vorzeitige Neuwahlen nach sich ziehen. Die | |
| aber fürchtet Kaczyński inzwischen wie der Teufel das Weihwasser. Im | |
| Herbst stehen reguläre Neuwahlen an. So lange zumindest muss die Koalition | |
| halten, auch wenn die PiS die Schuld am erneuten politischen Desaster | |
| Kaczyńskis voll auf Ziobro abschiebt. Auch Oppositionspolitiker und | |
| liberale Medien übernehmen dieses PiS-Narrativ bereitwillig: Ziobro sei | |
| als Justizminister und Generalstaatsanwalt Polens der Vater vieler | |
| Rechts-„Reformen“, die Polens Rechtsstaat weitgehend demoliert hätten. So | |
| habe Ziobro das seit Jahren unter PiS-Kontrolle stehende Verfassungsgericht | |
| dazu gebracht, polnisches Recht über EU-Recht zu stellen, auch wenn dies | |
| gar nicht in Polens Verfassung stehe. | |
| Besonders oft ignorieren PiS-Politiker und seine „Ziobristen“ genannten | |
| Anhänger EU-Entscheidungen oder Urteile, die für Polen ungünstig sind. Seit | |
| einiger Zeit kostet das jedoch Geld. Seit alle Mitgliedstaaten der Klausel | |
| „Geld nur bei Rechtsstaatlichkeit“ zustimmten, kann Brüssel den Geldhahn | |
| zudrehen, wenn ein Mitgliedstaat sich nicht mehr an gemeinsames EU-Recht | |
| gebunden fühlt. | |
| Die Goldbüste eines zynisch lächelnden Ziobro auf der tiefschwarzen | |
| Titelseite des linksliberalen Nachrichtenmagazins Polityka mit der | |
| Schlagzeile „Der teuerste Minister der Welt“ greifen das PiS-Narrativ auf, | |
| geben aber auch die Stimmung im Land gut wieder. Der Titel entstand | |
| anlässlich des vierten Misstrauensantrags gegen Ziobro, den die | |
| demokratische Opposition Ende 2022 ins polnische Abgeordnetenhaus | |
| eingebracht hatte. Ziobro, so heißt es in der Polityka, habe Polens | |
| Steuerzahler bereits über 100 Milliarden Zloty (rund 21 Milliarden Euro) | |
| gekostet haben. Dabei geht es vor allem um EU-Strafen und entgangene | |
| EU-Zuschüsse. Für Kaczyński wäre der Misstrauensantrag eine Chance | |
| gewesen, den unbequemen Ziobro loszuwerden. Doch er entschied sich wie | |
| immer für die Macht. Ziobro bleibt im Sattel. | |
| Zu den Kosten für die Steuerzahler kommt täglich 1 Million Euro Strafe, die | |
| die Europäische Kommission nach einem Schuldspruch des EuGH im Juli 2021 | |
| gegen Polen verhängte. Das Urteil samt Strafgeld sollte Polens Regierung | |
| dazu zwingen, die von der PiS gegründete Disziplinarkammer am obersten | |
| Gericht abzuschaffen, da diese nach europäischen Rechtsgrundsätzen weder | |
| ein Gericht sei, noch ihre Mitarbeiter ordentlich ernannte Richter seien, | |
| deren „Urteile“ somit nicht rechtsgültig. Solche Reformforderungen der EU | |
| an Polen stehen im Vertrag über den Corona-Wiederaufbauplan Polens, den die | |
| PiS-Regierung mit der Kommission ausgehandelt und unterschrieben hatte. | |
| Statt nun aber die fast 280 Meilensteine zügig umzusetzen, um nach und nach | |
| 35,4 Milliarden Euro Zuschüsse und niedrig verzinste Darlehen beantragen | |
| zu können, versuchte Polen bislang, die Kommission auszutricksen. | |
| So wurde die [1][Richter-Disziplinarkammer] zwar Ende Mai 2022 unter großen | |
| Getöse abgeschafft. An ihre Stelle trat aber eine „Kammer für berufliche | |
| Verantwortung“, die fast die gleichen Aufgaben hat wie die bisherige. Zudem | |
| weigerte sich Ziobro, die durch den Neo-Landesjustizrat (Neo-KRS) | |
| politisierte Richterwahl rückgängig zu machen. Während der alte KRS gemäß | |
| dem Prinzip der Gewaltenteilung ein Selbstverwaltungsorgan der Richter war, | |
| das über Einstellungen, Versetzungen, Karriereschritte aller Richter im | |
| Land entschied, tut dies seit einigen Jahren ein Politikergremium, in dem | |
| vor allem [2][PiS-Politiker] sitzen – der sogenannte Neo-KRS. | |
| Nachdem die [3][EU-Kommission] den Etikettenschwindel entlarvte und Polen | |
| zur Korrektur aufforderte, warf Ziobro der Kommission wie schon so oft | |
| Einmischung in innere Angelegenheiten Polens vor. Der milliardenschwere | |
| Wiederaufbauplan der EU sei nichts anderes als „ein deutscher Schwindel“. | |
| Dennoch bereitet die PiS nun ein neues Gesetz über die | |
| Richterdisziplinarkammer vor. Dieses Mal soll sie vom obersten | |
| Berufungsgericht zum obersten Verwaltungsgericht in Warschau transferiert | |
| werden. Das ist zwar auch verfassungswidrig, wie inzwischen etliche | |
| Verfassungsrechtler darlegten, doch die PiS scheint zu hoffen, dass die | |
| EU-Kommission nicht dreimal hintereinander „Nein“ sagen wird. | |
| Erst wenn Polen mindestens 37 Meilensteine erreicht hat, kann es Geld aus | |
| dem EU-Wiederaufbaufonds beantragen und erhält dann eine erste Tranche in | |
| Höhe von 4,2 Milliarden Euro. Die Frage ist nur: Macht Zbigniew Ziobro mit? | |
| 8 Jan 2023 | |
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| ## AUTOREN | |
| Gabriele Lesser | |
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