# taz.de -- Entscheidung über Corona-Aufbaufonds: Karlsruhe lässt EU-Schulden… | |
> Das Bundesverfassungsgericht hat zwei Beschwerden gegen den | |
> Corona-Aufbaufonds der EU zurückgewiesen. Demnach darf die EU Kredite | |
> aufnehmen. | |
Bild: „Next Gen EU“: Die Milliarden sollen vor allem in Digitalisierung und… | |
Karlsruhe taz | Die EU darf zur Bewältigung der Pandemiefolgen Kredite | |
aufnehmen, [1][obwohl dies in den EU-Verträgen nicht ausdrücklich | |
vorgesehen ist]. Dies entschied an diesem Dienstag das | |
Bundesverfassungsgericht und lehnte die Klagen von EU-Skeptikern ab. In | |
seinem Urteil nannte das Gericht Bedingungen für die Kreditaufnahme der EU. | |
Konkret ging es um den sogenannten „Wiederaufbaufonds“ der EU. Mit 750 | |
Milliarden Euro sollen die coronabedingten Belastungen der europäischen | |
Volkswirtschaften ausgeglichen werden. Das [2][beschloss ein EU-Gipfel im | |
Juli 2020]. Etwa die Hälfte wird an die EU-Staaten als Zuschüsse | |
ausbezahlt, der Rest als Darlehen. Deutschland soll rund 28 Milliarden Euro | |
erhalten. Die EU nennt das Programm „Next Generation EU“, weil das Geld zu | |
großen Teilen in Digitalisierung und Klimaschutz investiert werden muss. | |
Bis 2023 sollen die Milliarden auf der Grundlage von nationalen | |
Wiederaufbauplänen an die Mitgliedstaaten ausbezahlt werden. | |
Der Aufbaufonds ist bei EU-Skeptiker:innen umstritten, weil die EU damit | |
erstmals in großem Umfang am Kapitalmarkt Schulden aufnehmen darf. Das Geld | |
muss bis 2058 zurückbezahlt werden. Gegen das Schuldenprogramm klagte | |
einerseits Wirtschaftsprofessor Bernd Lucke, einst Gründer der AfD. Die | |
zweite Verfassungsbeschwerde stammte von dem Unternehmer Heinrich Weiß, | |
Anfang der 1990er Jahre Präsident des Bundesverbands der Deutschen | |
Industrie (BDI). Die Kläger monierten vor allem, dass die EU ihre | |
Kompetenzen überschritten habe. Es gebe auf EU-Ebene ein | |
„Verschuldungsverbot“. | |
Der Zweite Senat des Bundesverfassungsgerichts lehnte beide Klagen nun ab. | |
Die EU habe ihre Kompetenzen „nicht offensichtlich“ verletzt. Es sei | |
vertretbar, die EU-Verträge so auszulegen, dass die EU solche Programme mit | |
Krediten finanzieren darf. Die Richter nehmen damit Bezug auf eine eigene | |
Entscheidung von 2010, den so genannten „Honeywell-Beschluss“, wonach sie | |
etwaige Kompetenzüberschreitungen der EU nur rügen werden, wenn diese | |
„strukturell bedeutsam“ und „offensichtlich“ sind. Denn eigentlich ist … | |
der Europäische Gerichtshof für die Kontrolle von EU-Recht zuständig, nicht | |
ein nationales Verfassungsgericht. | |
## Juristisch gewagte Argumentation | |
Das Bundesverfassungsgericht akzeptierte nun also die Auslegung der | |
EU-Gremien und des Bundestags, wonach die EU zwar nicht generell Schulden | |
aufnehmen darf, die Kreditaufnahme allerdings als „sonstige Einnahme“ gemä… | |
Artikel 311 EU-Arbeitsvertrag in Einzelfällen zulässig sein kann. | |
Die Schulden müssen dann aber der Finanzierung eines Zweckes dienen, für | |
den die EU bereits jetzt eine Kompetenz in den EU-Verträgen hat. Im Fall | |
des Corona-Wiederaufbaufonds sei es die Befugnis, den Mitgliedstaaten in | |
Notsituationen gemäß Artikel 122 EU-Arbeitsvertrag zu helfen. Weil solche | |
Notsituationen oft überraschend kommen, sei hier eine Kreditaufnahme | |
unumgänglich. | |
Die Verfassungsrichter räumen ein, dass die Argumentation juristisch etwas | |
gewagt ist und listen selbst eine Reihe von Bedenken auf. So seien die | |
„sonstigen Einnahmen“ bisher vernachlässigbar gering gewesen, während sie | |
nun plötzlich zwei Drittel des normalen EU-Haushalts ausmachen. Auch hätten | |
die Ausgaben für Klimaschutz nur bedingt etwas mit der Coronapandemie zu | |
tun. Doch die Richter:innen kommen immer wieder zum Schluss, es sei | |
„nicht offensichtlich ausgeschlossen“, dass die EU-Verträge eingehalten | |
sind. | |
## EU muss Schuldenaufnahme regeln | |
Für künftige Fälle stellen die Richter:innen aber mehrere Bedingungen | |
auf. So muss eine EU-Schuldenaufnahme im EU-Eigenmittel-Beschluss geregelt | |
werden, das heißt: alle EU-Staaten (und in Deutschland auch der Bundestag) | |
müssen zustimmen. Die Kreditaufnahme muss streng auf einen EU-vertraglichen | |
Zweck begrenzt, zeitlich befristet und in der Höhe beschränkt werden. Diese | |
Bedingungen des Bundesverfassungsgerichts sind aber recht großzügig. So | |
dürfte die EU mit Segen aus Karlsruhe immerhin so viele Schulden machen, | |
wie sie klassisch über Beiträge der Mitgliedsstaaten und Zölle einnimmt. | |
Das Urteil war am Gericht durchaus umstritten. Immerhin [3][hat das | |
Bundesverfassungsgericht noch vor zwei Jahren die Anleihe-Ankäufe der | |
Europäischen Zentralbank und deren mangelhafte Kontrolle durch den | |
Europäischen Gerichtshof als Kompetenzüberschreitungen („ultra vires“-Akt… | |
beanstandet]. | |
Diesmal plädierte aber nur ein einziger Verfassungsrichter, der ehemalige | |
saarländische CDU-Ministerpräsident Peter Müller, in einem Sondervotum für | |
strengere Maßstäbe. Er wolle nicht den Weg in eine „Fiskal- und | |
Transferunion“ öffnen, argumentierte Müller. Denn Gründe für neue Schulden | |
gebe es bei „kreativer“ Auslegung der Verträge immer. | |
Finanzstaatssekretär Florian Toncar (FDP) sagte in Karlsruhe: „Wir sehen | |
uns darin bestätigt, dass der Bundestag und die Bundesregierung | |
verfassungskonform gehandelt haben.“ | |
6 Dec 2022 | |
## LINKS | |
[1] /Corona-Aufbaufonds-der-EU/!5867328 | |
[2] /Corona-Finanzpaket-der-EU/!5701581 | |
[3] /Verfassungsrichter-zu-Anleihekaeufen/!5682971 | |
## AUTOREN | |
Christian Rath | |
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